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Aus heutiger Sicht ist es schwer zu beurteilen, warum "A ciascuno il suo" (Jedem das Seine), der in Cannes für sein Drehbuch eine Palme erhielt, von Beginn an ein Image verpasst wurde, dass zu falschen Erwartungshaltungen führen musste. Schon der Original-Trailer betonte die wenigen Actionelemente und vermittelte mit zackiger 60er-Jahre-Grafik den Eindruck einer blutrünstigen Auseinandersetzung. Der deutsche Titel "Zwei Särge auf Bestellung" suhlt sich dazu noch im Giallo-Sumpf, während der englische Titel "We still kill the old way" wenigstens nicht völlig frei erfunden ist, sondern einen Originalsatz fast korrekt zitiert, der allerdings für die Handlung nebensächlich ist.

"Er ist männlich, aber wahrscheinlich impotent"

Dieser Satz eines Polizisten, der bei der Beerdigung von Arturo Manno (Luigi Pistilli) und Dr. Antonio Roscio (Franco Tranchina) durch ein Fernglas die Trauernden observiert, gilt Prof. Paolo Laurana (Gian Maria Volontè), einem Freund der beiden Ermordeten, und ist deutlich aussagekräftiger hinsichtlich der Intention des Films. Laurana stammt wie fast alle Anwesenden aus dem kleinen sizilianischen Dorf "La Marca" und arbeitet als Dozent in Palermo, weshalb er nur in den Sommermonaten hier verweilt. Der Intellektuelle, der inzwischen wieder aus der kommunistischen Partei ausgetreten ist, wohnt bei seiner Mutter und hat keine Beziehungen zu Frauen. Das er Teil des Freundeskreises war, dem neben den Ermordeten auch der Anwalt Rossello (Gabriele Ferzetti) angehörte, ist nur durch seine Herkunft begründet.

Pietri verdeutlicht dessen Rolle als Außenseiter, in dem er den Film in drei Teile gliedert - die Vorgeschichte bis zum Tod der beiden Männer, den fast die gesamte Laufzeit einnehmenden Hauptteil, der ausschließlich aus der subjektiven Sicht Lauranas geschildert wird, und einen kurzen Nachspann. Eine Verzahnung zwischen Lauranas Erfahrungen und den tatsächlichen Hintergründen findet nicht statt. Letztlich bleibt Laurana nur ein Element, dass für die wesentlichen Entscheidungen der Strippenzieher keine Rolle spielt.

Im Mittelpunkt der Vorgeschichte steht der Apotheker Manno, dessen promiskuitives Verhalten im ganzen Ort bekannt ist, weshalb sich Niemand wundert, dass er anonyme Morddrohungen erhält. Laurana taucht nur kurz während dieser Sequenz auf, ohne Einfluss auf die Ereignisse zu nehmen. Es ist auch schwer vorstellbar, dass er mit den zwei Männern zur Jagd am frühen Morgen raus gefahren wäre, bei der Beide kaltblütig erschossen werden. Da Manno mit einer Minderjährigen aus einem heruntergekommenen Ortsteil geschlafen hatte, landen ihr Vater und ihre zwei Brüder als Verdächtige im Gefängnis. Laurana, der bei der Begutachtung des anonymen Briefes festgestellt hatte, dass die Buchstaben aus dem "Osservatore Romana", einer christlichen Zeitung, ausgeschnitten wurden, zweifelt deren Schuld sofort an, auch weil es sich bei den drei Männern um Analphabeten handelt, und bittet Anwalt Rossello um ihre Verteidigung.

Der Film lässt von Beginn an keinen Zweifel daran, dass die tatsächlichen Mörder aus anderen Kreisen kommen und aus anderen Beweggründen gehandelt haben. Als Laurana - von seiner detektivischen Erkenntnis noch ganz begeistert - nachspüren will, wer überhaupt den "Osservatore Romana" abonniert hat, wird er von dem Geistlichen mit den Worten begrüsst, dass er den Mord nicht begangen hätte. Da Petri ab dieser Phase immer nur bei Laurana bleibt, erfährt auch der Betrachter nichts von den tatsächlichen Hintergründen. Anders als in Kriminalfilmen, in denen so die Spannung aufrecht erhalten werden soll, wird in "A ciascuna il suo" damit der Eindruck forciert, dass Laurana weder Einfluss noch Beziehungen hat.

Leider wird Volontès Leistung in diesem Film auf Grund der falschen Erwartungshaltung zu wenig geschätzt. Großartig bleibt er seinem verhuschten, wenig am virilen Bild eines ermittelnden Einzelgängers orientierten Images, treu. Eher zufällig beginnt er nachzuforschen, ohne sich der Folgen bewusst zu sein. Das er sich, trotz diverser Warnungen, weiter hinter den "Fall" klemmt, liegt einzig an seinem verkorksten Verhältnis zu Frauen. Luisa Roscio (Irene Papas), die Witwe des ermordeten Arztes, ist der Grund für seine Bemühungen, denn es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass er schon lange in diese schöne Frau verliebt ist.

Das Volontè in dieser Rolle überhaupt als Identifikationsfigur funktioniert, liegt einzig an seinem intensiven, nachvollziehbaren Spiel. Ohne viele Worte zu machen, entwirft der Film das komplexe Bild eines Außenseiters, der eigentlich dazu gehören möchte. Laurana ist kein bewusster Antiheld, der eine kritische Haltung gegenüber den mafiösen Strukturen seiner Heimat hat, sondern Jemand, der sich in diesen Fall hineinsteigert, um damit die Frau zu gewinnen, die er schon lange begehrt. Sein Mut entspringt einzig dem Unwissen darüber, mit wem er sich anlegt und der fehlenden Einsicht, dass er keine Chance bei dieser Frau hat. Im gesamten Film gibt es keine politischen Parolen, keine moralischen Anklagen, nicht einmal die zu unrecht Verdächtigen kommen zu Wort. Wenn Laurana überhaupt einmal die Stimme erhebt, dann nur, um persönliche Enttäuschung auszudrücken. Der Film vermeidet bewusst jede emotionale Zuspitzung, so dass selbst die Morde den Charakter von Selbstverständlichkeit erhalten.

Trotzdem ist Elio Petris Film eine Anklage gegen diese Verhältnisse, aber er zäumt seine Argumentation von der anderen Seite auf. Damit geht er weit über die üblichen Anklagen an die Mafia hinaus, die hier konkret gar nicht vorkommt, und bleibt auch politisch zurückhaltend. Es ist die Menschenverachtung und skrupellose Machtausübung, die Jeden innerhalb einer solch dicht verflochtenen Struktur zum Opfer werden lassen kann, wenn er nicht die ihm vorgegebene Rolle einnimmt - und sei es die des Aussenseiters, als der Laurana lange geduldet war.

Es ist nur konsequent, dass Laurana nicht einmal einer großen Verschwörung auf der Spur war, denn damit betont Petri noch den eigentlichen Grund für dessen Tod - die fehlende Anpassungsfähigkeit oder wie es einer der Männer genauer ausdrückte "Laurana war ein Idiot" (9/10).

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