Revolver(2005)
Attention! Spoiler inside...
Schach ist vielleicht das interessanteste und bedeutendste Spiel überhaupt. Acht(a bis h) mal acht(1 bis 8) Felder, Zwei Spieler, 32 Spielfiguren(ein 16er Satz schwarz, ein 16er Satz weiß) und schier unendlich viele Möglichkeiten. Jede Figur hat ihre ganz speziellen Fähigkeiten und egal ob ein Bauer, ein Pferd, eine Dame oder der König höchst selbst...am Ende einer Partie kann jede Figur über Sieg, Niederlage oder, besonders interessant im Bezug auf den Film, über ein Remi entscheiden. Ein höchst anspruchsvolles und aufreibendes Spielerlebnis, das entweder wenige Minuten oder auch viele Stunden dauern kann und sich bei jeder neuen Runde völlig anders spielt. Es gibt kein böse oder gut in diesem Spiel. Auch mit einem echten Favoriten sollte man nie rechnen. Denn diese eine Waisheit, die auch im Film eine tragende Zitatenrolle spielt, gilt besonders beim Schach. Man wird besser mit jedem Spiel und um schlauer zu werden, muss man gegen schlauere Spieler spielen...
Jake Green(Staham) kommt nach 7 Jahren Einzelhaft aus dem Gefängnis und möchte sich an dem rächen, dem er diesem Aufenthalt zu verdanken hat. Doch dabei geht einiges schief und zwei seltsame Kredithaie wollen ihm helfen...doch die haben weitaus mehr im Sinn als das Geld von Mr. Green.
Guy Ritchie hätte es sich schwerer nicht machen können mit diesem Film. Mit Bube Dame König Gras(1998) kam das geniale Debut, mit Snatch(2000) der absolute Durchbruch und mit Swept Away - Eine stürmische Liebe(2002) kam die größt möglichste Schelte, die man sich im Filmgeschäft holen kann. Der Razzie Award. Was ihn da wohl geritten hat. Nur weil er seit 2000 mit Madonna liiert war. Swept Away ist einer dieser ganz besonders desaströsen Filme, von denen sich eigentlich kein Regisseur jemals erholt. Aber aber aber. Wir haben 2012 und der gute Ritchie hat mit den genialen Sherlock Holmes Filmen(2010, 2012) und dem herrlichen Abschluß seiner Gangster Saga Rock n Rolla(2008) wieder Fuß gefasst. Und Madonna? Na gut, lassen wir solche Neckereien. Aber das Muster für Künstler die mal mit Madonna verheiratet waren ist schon erkennbar...oder haben wir Sean Penn in Shanghai Surprise(1986) vergessen? Glücklicherweise ja. Und diesen Murks, den Guy Ritchie mit seiner einstigen Frau verzapft hat? Auch der wird eines Tages vergessen sein. Zwischen diesem Totalausfall auf Celluloid und dem Aufstieg, aus der Golden Raspberry Asche hat er aber womöglich seinen besten Film gemacht.
Revolver in ein filmisches Muster zu stecken ist gar nicht so einfach. Seine Konstellation aus vielen, teils skurillen Charakteren hält Ritchie schon mal die Treue. Aber so einen richtigen Faden gibt es nicht. Hier steckt viel David Lynch(Mullholland Drive, 2001) oder Richard Kelly(Donnie Darko, 2001) drin. Das Drehbuch ist ein wahres Fest an Plots, Subplots, Metaebenen, Metaphern, Zitaten und jeder Menge intellektueller Spielereien. Hier wird man wahrlich gefordert und am Schluss(zumindest nach der ersten Sichtung) kaum belohnt. Einen Twist a la Snatch gibt es hier nicht. Auch der locker flockige Tarantino Humor fehlt weitesgehend. Hier muss man als Zuschauer schon tiefer in die Trickkiste greifen um haltbare Dinge zu erkennen. Es wird zwar mit Schwarz(Night Club) und Weiß(Solarium) "Chess" Winkern um sich gehauen und auch zahlreiche Spieler und Gegenspieler werden eingeführt und wieder umgenietet, aber ein richtiges Hauptmotiv gibt es augenscheinlich nicht. Das geht sogar soweit, dass Ritchie das eigene Selbst als größten Feind der Hauptfigur(brilliant verstörend...Staham) stilisiert. Ritchie schöpft bei dieser Psychostudie tief aus dem Fundus vertrackter Vorbilder und geht aber noch weiter, in dem er öfters einen Charakter über Regelwidrigkeiten wettern lässt...was ja in einem Schachspiel (beinahe) unmöglich ist und die Bedeutung der Handlung immer wieder über den Haufen wirft. Das ist richtig heftiger Tobak, der locker für drei Filme greicht hätte.
Luc Besson(am Drehbuch beteiligt) und Guy Ritchie hätten auf Nummer Sicher gehen können und mit deutlich weniger Substanz einen vortrefflichen Fight Club Klon schaffen können...wollten sie aber offensichtlich nicht. Das ist mal ein richtiger Mindf*ck, der sogar für Leute, die Lost Highway(1998...ebenfalls Lynch) für ein Zuckerschlecken halten, eine richtige Kopfnuss. Die Frage die hier nun aufkeimt...für wen ist so ein Film denn gemacht?
Inszenatorisch ist Ritchie deutlich versierter als jemals zuvor und weiß, wie er optisch noch einen auf das wahnsinns Script draufsetzt. Schnitt, Kamera und Timing sind außergewöhnlich, selbst für diese Art von Film. Das Einbinden von Zitaten aus Brettspielbüchern und lang vergangen Kriegen ist bestens gelungen und regt genau in den richtigen Momenten zum Grübeln an. Auch das tauschen einiger Protagonisten Stimmen wirft immer wieder berechtigte Fragen in den Raum und sorgt so für Lösungen innerhalb des Konstrukts, nur um sie Minuten später wieder einzureißen(schon mal drei Schachzüge im voraus geplant?). Auch der psycholgisch gechickte Einsatz von dem Feind des eigenen Ich's, wird in vielen fabelhaft inszenierten Sequenzen wirklich bedrückend eingependelt. Die wohl beste Facette dieses zu Unrecht verschmähten Flop's ist der Score. Die Mischung aus klassischen Stücken, modernem Rock und wirklich genialem Acid Jazz ist beispiellos und verleiht dem Film eine Aura, die man sicher prätentios nennen kann, aber das sollte man nicht. Prätentiös wäre sowie so das völlig falsche Prädikat für diesen Film. Revolver versucht nicht effekthascherisch uns einen Berg an Intelligenz vorzugaukeln. Nein. Revolver wägt Möglichkeiten ab, präsentiert Alternativen und ist ganz und gar ein offenes Spiel im filmischen Sinne.
Auf der Besetzungs Couch gibt es keinen Grund zu meckern. Andrè Benjamin, Ray Liotta, Mark Strong(besonders genial) und natürlich Jason Statham geben allesamt Bestleistungen. Zwei kleine Sachen habe ich aber auch nach wiederholter Sichtung zu beanstanden. Das wäre zum einen, die Anime Sequenz in der Mitte des Filmes. Sie ist weder nützlich für den Plot Zug dieser Szene, noch ist sie wirklich gut gerendert. Zum anderen stellt sich Ritchie am Ende fast selbst ein Bein, in dem er echte Psycholgen im Abspann über (s)eine (mögliche) Vision schwafeln lässt. Das ist nicht nur Redundant, weil der Film uns genug Zwinkerei auf diesen Pfad gibt. Nein. Man wird das Gefühl nicht lost, das Ritchie seinen eigenen Film rechtfertigen möchte. Das würde einem David Lynch niemals passieren. Fakt ist. Diese Outtakes gehören höchstens ins Bonusmaterial.
Fazit: Für wen ist dieser Film denn nun gemacht? Für wen er schon mal nicht gemacht ist...ja...die Liste ist lang. Für den Fan gängiger Staham Flicks schon mal nicht. Auch Ritchie Fans erster Stunde werden sich langweilen. Genauso wie die, die einen reinen Action Film erwarten oder bevorzugt die x-te Blockbuster Sülze im Kino verfolgen. Eben für jene, die Filme im Fastfood verfahren konsumieren. Schnell, einmal, billig, macht nicht satt und ist schnell wieder vergessen. Aber für jene, die über Walhalla Rising(2010) oder I come with the rain(2008) auch noch Stunden nach dem Abspann rätseln, für jene die ein Mullholland Drive oder einen Tree of Life(2011) für ihre offene Interpretationsmöglichkeit schätzen. Ja selbst für die, die gerne weiter über den Tellerrand von Highlights wie, Die üblichen Verdächtigen(1995) oder Fight Club(1999) hinaus schauen möchten. Für die ist Revolver ein Fest. Vielleicht nicht beim ersten sehen. Man sollte eben nicht an seinen eigenen Erwartungen hängen und offen an jedes neue Spiel herangehen. Ich spiele seit ich sechs bin Schach und es gab 15 Jahre lang nur einen Gegner, den ich nie besiegt habe. Aber auch er ging irgendwann mal mit den immer selben Erwartung an das Spiel und hatte drei mal nacheinander keine Chance. Wer war wohl sein größter Feind. Nur wer gegen schlauere Spieler spielt...
2 Bauern, 2 Läufer, ein Pferd und die Dame fehlten mir am Ende meines größten Spieles.
Macht am Ende 10 Steine.