Nehmen wie einmal an, Guy Richie hat einen Film gedreht, der zwar aussieht wie "Snatch" und "Bube,Dame,König,Gras" und der auch wieder (nach seinem sommerlichen Ausflug mit Gattin) in den gewohnten nahezu frauenlosen Gangsterkreisen spielt, aber nicht über deren originelle Story und den gewohnt britisch-schwarzen Humor verfügt.
Nehmen wir dazu an, er wollte weg von den üblichen coolen Sprüchen und seinem Film mehr Tiefe geben, adaptierte ein Drehbuch von Luc Besson und vergriff sich dabei an philosophischen Sprüchen, esoterischen Weisheiten und schulpsychologischem Grundwissen.
Nehmen wir dann noch an, daß er eine verschachtelte dreidimensionale Story erzählen wollte, die nicht nur die zweidimensionale Dimension des Schachspiels benutzt, sondern noch tiefenpsychologisch diese wieder in Frage stellt, was eine notwendige Dauerkonzentration beim Betrachter erfordert, dem sich mit Fortschreiten des Films, immer mehr Fragen stellen, als das er Antworten bekommt.
Nehmen wir das Alles einmal an - rühren es kräftig zusammen, würzen es mit einigen Brutalo-Szenen, einer coolen Optik, bekannten Schauspielern (Jason Statham, Ray Liotta) und untermalen das Ganze mit einer super Musik - warum kam der Film nicht in die deutschen Kinos und ist hier bis heute noch nicht einmal auf DVD erschienen ? - Und ist der Film so schlecht, wie es die meisten Kritiker glauben machen wollen ?
Eine Antwort darauf führt unweigerlich zurück zu Ritchies Ursprüngen, die als erfrischende, britische Alternative zum sogenannten "Tarantino"-Stil daher kamen. Es handelte sich um respektlose Filme, die inmitten einer rein männlichen Szenerie spielten und ein Panoptikum ausschließlich krimineller Energien zeigten, bei denen es nur auf Feinheiten der inneren Konsequenz ankam, ob man die geschilderten Konstellationen gesund überstand. Darüber hinausgehende Inhalte waren nicht erwünscht, es ging einfach um das Spiel und den Spaß mit den beliebten Genreversatzstücken.
"Revolver" sieht exakt wie eine Kopie dieser Filme aus. Verschiedene Gangsterbanden, die sich gegenseitig das Leben schwer machen wollen, Einzelgänger wie der Spieler Jake Green (Jason Statham), die versuchen ihre eigenen Geschäfte zu machen, Profikiller (Mark Strong), die die Befehle der Bosse (Ray Liotta) ohne zu zögern umsetzen und massenhaft Fußvolk, daß entweder tötet und foltert oder zum Abschuss freigegeben wird. Ebenso bedient sich Ritchie auch in "Revolver" der beliebten Erzähltechnik, die gezeigten Handlungsstränge durch spätere Einblendungen und geschilderte Informationen anzureichern, um so erst ein vollständiges Bild der inneren Abläufe zu offenbaren.
Doch in einem wesentlichen Punkt unterschiedet sich "Revolver" von seinen Vorgängern - der Film macht keinen Spaß und befriedigt nicht die üblichen Erwartungshaltungen. Das beginnt schon mit dem Hauptdarsteller und seiner Identifikation für den Zuschauer. Im Mittelpunkt steht Jake Green, an dessen Seelenzustand wir ständig teilhaben. Statham zitiert hier seine coolen Rollen aus z.B. "Der Transporter" und wirkt vordergründig überlegen, aber hinter dieser gewohnten Fassade stecken tiefe Selbstzweifel. Zwar beginnt "Revolver" mit einer klassischen Sequenz des Profi-Spielers Green, in der er den Gangsterboss Macha (Ray Liotta) beim Spiel besiegt und demütigt, aber kurz danach verliert er völlig die Kontrolle über sein Handeln.
Schon auf dem Weg zu dem Spiel mit Macha überlegt er minutenlang, ob er den Aufzug nehmen soll oder lieber die 20 Etagen zu Fuß hochgehen soll - eine bei Profis völlig ungewohnte Unsicherheit. Diese setzt sich im gesamten Film fort, so daß Green immer im Zweifel zu sein scheint, welchen Zug er als nächsten wählen soll, ähnlich wie beim Schachspiel, daß ständig von Ritchie ins Bild gerückt wird. Aber hier geht es nicht einfach nur um den richtigen Zug, sondern um den Rückgewinn der eigenen Sicherheit und so ist "Revolver" angereichert von philosophischen Sprüchen, die regelmäßig ins Bild eingeblendet werden und noch öfter von den Protagonisten zitiert werden. Das hat manchmal die Tendenz esoterischer Selbstheilung, ist aber in seiner coolen Wirkung nicht penetrant und vermittelt überzeugend Greens Prozess.
Einhergehend mit Greens Weg zur Selbstkontrolle und inneren Sicherheit, macht Gangsterboss Macha den entgegengesetzten Prozess. Zu Beginn in seinem selbstgewissen Element und unterstützt von einer scheinbar unbesiegbaren Armada, beginnt seine Demontage mit der Niederlage im Spiel gegen Green. Sein darauf folgender Tötungsbefehl wird nicht erfolgreich umgesetzt, gekennzeichnet noch zusätzlich durch das erstmalige Versagen seines Profikillers, für das es keine logische Erklärung gibt. Ray Liotta verkörpert hervorragend den sich immer weiter in Selbstauflösung befindlichen Gangsterboss, dessen paranoide Phantasien und der verzweifelte Versuch wieder die Kontrolle zu erlangen, sein Verhalten bestimmen.
Sämtliche anderen Personen sind nur Beiwerk zu dem Prozess der beiden Protagonisten, die sich dreimal tatsächlich begegnen ,inclusive des abschließenden Showdowns. Selbst Avi (André Benjamin) und Zach (Vincent Pastore), die komplett die Kontrolle über Green übernehmen, und scheinbar sein Handeln bis zum Schluß bestimmen, sind nur Katalysatoren für dessen Entwicklung. Vergleiche in der Inszenierung mit David Lynch, bezüglich der zum Schluß stärker um sich greifenden paranoiden Wahnvorstellungen bei Macha und inneren Prozesse bei Green, sind weit her geholt, da Ritchie immer optisch und erzählerisch bei der Sache bleibt, auch wenn er nicht alles erklärt (wie bei Lynch gewohnt).
Ritchie gelingt hier eine ironische Abkehr zu seinen eigenen Filmen, die das Genre letztendlich in seine Einzelteile auflöst, ohne es deshalb mit zusätzlicher Tiefe zu versehen. An Hand einer äußerlich genretypischen Story beschäftigt er sich exakt mit dem, was normalerweise nie Inhalt dieser Gangsterballaden ist - den inneren Gedankenprozessen der beiden Protagonisten und Gegenspieler. Eine Identifikation mit diesen fällt dadurch naturgemäß schwer, da der eher sympathische Charakter nicht cool und sicher herüberkommt, der "Böse" aber auch nicht dämonisch und gefährlich wirkt.
Da Ritchie diese Differenzierungen aber nicht dazu nutzt, dem Film eine andere Moral oder inhaltliche Tiefe zu geben, sondern genauso im Außenraum verweilt, wie es bei dem Genre üblich ist, erfüllt er keinerlei Erwartungshaltungen. Weder an den Wunsch nach einer coolen, abgefuckten Story beim üblichen Liebhaber des Genres, noch nach einer echten Weiterentwicklung mit entsprechender Tiefe beim Kritiker der "hohlen" Gangsterstories. Letztendlich ist "Revolver" ein Abbild des Genres im "Tarantino"-Style , nur auseinandergenommen und anders zusammengesetzt - das "Spiel" geht weiter, aber Ritchie hat die Regeln geändert und damit macht man sich üblicherweise unbeliebt...
Fazit : Dass es "Revolver" bis heute nicht auf den deutschen Markt geschafft hat, ist nur damit zu erklären, dass dem Film kein Erfolg beim Publikum zugetraut wird und betrachtet man viele der bisherigen Kritiken, muß man konstatieren, daß der Kampf gegen die allgemeine Erwartungshaltung sehr schwer sein wird. Dabei hat Guy Ritchie gar nicht viel geändert, sondern zeigt uns hier eine klassische Gangsterstory mit teilweise optisch und inszenatorisch überragenden Szenen wie etwa die Restaurantszene, die kongenial mit Beethovens erstem Satz der "Mondschein-Sonate" untermalt ist.
Doch statt das er wieder auf seinen eigenen Stil aus "Snatch" zurückgreift, ändert er hier sein Konzept, in dem er die beiden Gegenspieler (Statham, Liotta) inhaltlich auseinandernimmt und deren inneren Prozesse auch bildlich so darstellt, daß beim Betrachter höchste Konzentration vonnöten ist und weder die übliche Identifikation noch Befriedigung erfolgt.
Doch wenn den Zuseher nach einem der ungewöhnlichsten "Showdowns" nur noch minutenlang ein von Klaviermusik untermaltes Schwarz anstarrt, kann man sich nicht des Gefühls erwehren, einen coolen Film gesehen zu haben (8,5/10).