Review

Dass “Training Day”-Autor David Ayer mit seinem Regiedebüt geschätzte 80 Prozent des Publikums aufs Glatteis führen und mit falschen Erwartungen umgarnen wird, steht ganz außer Frage. “Harsh Times” ist zu untypisch für das, was Ayer bisher gemacht hat, obwohl es eben doch irgendwie ein “typischer Ayer” ist. Der Milieu-Aspekt stand bisher fast immer im Vordergrund, wurde dabei aber immer durch einen dicht gestrickten, actionhaltigen Plot fortgetragen - bisher.

Denn im eigentlichen Sinne ist “Harsh Times” nun weder actionreich noch fesselnd und trotz der Gang-Attitüde nicht mal eine Milieustudie im eigentlichen Sinne. Das Cover suggeriert mitsamt der einprägsamen Typographie des Titels aber genau das. Zu überwiegenden Teilen handelt das Werk jedoch von der Psychologie des Protagonisten Jim Davis (gespielt von Christian Bale; die namentlichen Parallelen zum Garfield-Erfinder sind übrigens unbeabsichtigt) und seinen Auswirkungen in Form eines Dramas.

Wer sich das von vornherein klar macht, der dürfte schon mal auf dem richtigen Gleis fahren. Prinzipiell ist diese Ankündigung meines Ermessens nämlich zu begrüßen, da das Milieudrama als Genre langsam zu stagnieren droht - es ist noch lange nicht so abgewetzt wie die Gangsterkomödie, aber trotz der starken TV-Serie “The Shield”, die (zumindest in Amerika) auch für die Verbreitung des Genres in die Masse hinein steht, hat man das Gefühl, von einem neuen Genrevertreter seit “Training Day” nicht mehr viel erwarten zu können - außer vielleicht ein wenig kurzweilige Unterhaltung.

Der aufmerksame und geduldsame Zuschauer bekommt zu seiner Überraschung nun zwar keine Unterhaltung, aber - und das ist um einiges wertvoller - eine eigenständige Charakterstudie, die sich nur schwer mit seinesgleichen gegenüberstellen lässt. In gewissem Sinne ist “Harsh Times” dieser Zeiten wieder einzigartig und man muss schon etwas tiefer im Zeitstrahl und im Genrepool wühlen, um entsprechende Komparative zu finden.

Doch so löblich der Ansatz, den Ayer als Regisseur und Drehbuchautor verfolgt, so flach erscheint über weite Strecken die Umsetzung. Der Einstieg ist zunächst einmal schwer einzuordnen, macht aber im Nachhinein selbstverständlich Sinn - man bekommt Eindrücke aus den Momenten, die den Protagonisten zu dem seelischen Wrack machten, das nun analysiert werden soll. Seine Zeit als Teil einer Army-Einheit im Golfkrieg, gezeigt aus der Egoperspektive durch eine Schutzbrille hindurch. Der Inhalt: Krieg. Menschen werden niedergemetzelt.

Der folgende Aufbau bedient sich aber althergebrachter Konventionen, auf denen schließlich der komplette Film fußt. Man bekommt zu sehen, was man bereits mehrfach überliefert bekam, zumindest betrifft das Jims Umfeld: Sein Kumpel (Freddy Rodríguez) ist ein willensschwacher Mitläufer, der zwischen der Loyalität zu seinem besten Freund und der Liebe zu seiner Frau hin- und hergerissen ist und genau diese Situation bedeckt sich mit unzähligen Klischees, die ihre Tentakel vor allem um die Rolle von Eva Longoria als gutes Gewissen legen. Longoria spielt dabei sogar wider aller Erwartungen sehr ansehnlich, kann aber leider auch nicht verhindern, dass sie selbst niemals unbetretenen Boden erkunden darf.

Unverständlicherweise orientiert sich Ayer strukturell an der geradlinigen Erzählweise von “Training Day”. Aber was dort noch ins Konzept passte, ruft hier das Gefühl hervor, dass man zwei Tunichtguten beim Herumlungern zuschaut. Satte drei Viertel der Gesamtlaufzeit beschäftigen sich damit, Jim und Mike beim Abhängen zuzuschauen, dabei, wie sie gefakte Nachrichten auf dem eigenen Anrufbeantworter hinterlassen, damit die eigene Frau denkt, ihr Mann sei auf Jobsuche und dabei erfolgreich gewesen; wie sie durch die Straßen cruisen und verflossenen Liebschaften einen Besuch abstatten. Eine gewisse Monotonie lässt sich dabei nicht verhindern, auch wenn es durch emotional kritische Situationen versucht wird, mal auf gelungene Weise und mit nachvollziehbarem Sinn (etwa die Tests und Vorstellungsgespräche oder die Szene in der Bar), mal aber auch in verzichtbaren Szenen (eine Gang wird aufgemischt).

Dabei darf man den Lauf durch traditionelle Bahnen nicht zu wichtig nehmen, denn recht schnell wird dem oberflächlichen Skript ein semantischer Unterbau verpasst, den man - auch wenn man dazu ein wenig Aufmerksamkeit benötigt - wenigstens im Unterbewusstsein recht schnell registriert. Das handlungstechnische Drehen im Kreis ist nämlich nur Schein, in Wahrheit wird die Psyche der Hauptfigur hier bereits unterschwellig abgeklopft.
Und man wird sich schon etwas dabei gedacht haben, Christian Bale für die Rolle des Jim Davis zu engagieren. Die Verpflichtung Bales ist gleichzeitig eine Verpflichtung des Skripts zur individualisierten Charaktertiefe, denn diesen Mann besetzt man nicht einfach als Mitglied einer Clique in einer Sozialstudie; spätestens, seit er mit seiner beeindruckenden Performance in “American Psycho” (2000) den Blick der Masse auf sich gerichtet hat, ist er das neue Sinnbild der Charakterindividualität. Und wenn man sich in diesem sämtliche Erwartungen brechenden Werk auf eines verlassen kann, dann ist es seine Leistung. Meines Erachtens benötigt er etwas Zeit, dann aber wird er mit jeder Minute stärker und schließlich ist sie wieder da, die Rolle, die andere Darsteller als ihre Lebensrolle bezeichnen würden; aber der 2005 31-jährige Bale hat schon jetzt so viele davon.
An seiner Seite kämpft der mit der TV-Serie “Six Feet Under” bekannt gewordene Freddy Rodríguez wacker darum, nicht unterzugehen, und er tut es nicht - die Waage bleibt ausgeglichen. Ihm zum Dank kommt man auch nicht allzu schnell auf den Gedanken, dass die Figurenkonstellation zwischen ihm und seinen Co-Stars Bale und Longoria etwas altbacken wirken könnte, denn genau diese Dissonanzen, die er spürt, als er zwischen zwei Lagern steht, weiß er ausgezeichnet zu kolportieren, ebenso wie die mehr als glaubwürdigen Ausbrüche aus dem Muster des Coolen und Abgeklärten, wenn er in eine Extremsituation gerät.

Im letzten Viertel macht David Ayer erfreulicherweise endlich klar Schiff und bringt sein Debüt doch noch zu einem relativ runden Abschluss. Spätestens ab dem Moment, als Jim und Mike nach Mexiko fahren, wird das Muster des Scheins aufgebrochen und fast wird man von der Erkenntnis überrumpelt, als das eigene Unterbewusstsein urplötzlich nach außen getragen wird und man zu realisieren beginnt, was genau die ganze Zeit unter der Oberfläche gebrodelt hatte. An dem Leerlauf, der zwischenzeitlich herrscht, ändert das jedoch rein gar nichts, da kann der psychologische Unterbau noch so fundiert sein. Das Drehbuch ist in knappen drei Vierteln letztendlich das entscheidende Problem von “Harsh Times”. David Ayer hat sich nicht hundertprozentig von seinem Restwerk trennen können und liebäugelt noch mit alten Strukturen und eher oberflächlich geschriebenen Figuren. Nicht zuletzt durch die herausragenden Leistungen Bales und Rodríguez’ erlangen sie dennoch die gewünschte psychologische Vertiefung und insofern lässt sich gerade noch so sagen: Mission geglückt.

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