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Seit dem Ende der Stummfilmzeit hatte Alessandro Blasetti erfolgreich als Regisseur und Drehbuchautor unter der Ägide der faschistischen Regierung Mussolinis gearbeitet, bevor es 1942 mit "Quattro passi fra le nuvole" (sinngemäß "Wandeln auf den Wolken") zu einem Bruch in seinem Werk kam, wie er auch bei Roberto Rossellini ("L'uomo dalla croce" 1943) in dieser Phase zu beobachten ist. Anders als im nationalsozialistisch regierten Deutschland waren die Kulturschaffenden in Italien weniger gleichgeschaltet, weshalb sich moderne Stile entfalten konnten - auch Michelangelo Antonioni arbeitete parallel zur Entwicklung seines ersten Kurzfilms "Gente del Po" (1943) als Kritiker bei der von Mussolinis Sohn herausgegebenen Filmzeitschrift "Cinema".

"Quattro passi fra le nuvole" - der deutsche Titel "Lüge einer Sommernacht" betont mehr den pragmatischen, als den emotionalen Hintergrund - gilt neben "Ossessione" (Besessenheit, 1942) von Luchino Visconti nicht nur als entscheidender Wegbereiter des "Neorealismus", sondern nahm auch dessen in den 50er Jahren aufkommende, komödiantische Variante - die "Comedia all'italiana" - früh vorweg. Trotzdem ist der Film, dessen Drehbuch auch für den Autor Cesare Zavattini der erste Schritt zum realistischen Stil bedeutete, den er unter vielen anderen Filmen mit "Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe, 1948)) maßgeblich beeinflussen sollte, heute nicht nur unbekannt, sondern wird in kaum einer Publikation über den „Neorealismus“ erwähnt, da dem Film wesentliche Stilmerkmale zu fehlen scheinen. Weder zeigte "Quattro passi fra le nuvole" offensichtliche Missstände, noch basierte die Story auf einem dramatischen Hintergrund wie Viscontis „Ossessione“.

Im Gegensatz zu den Filmen der „Commedia all’italiana“ wie Monicellis „I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer, 1958), deren Humor die konkret gezeigten Missstände kontrastierte und damit auf unterhaltende Weise erst betonte, nutzten Blasetti und Zavattini den komödiantischen Gestus, um ihre im Kern ernste Story zu kaschieren – die Intention war ähnlich, aber anders wäre es Blasetti kaum möglich gewesen, ein Tabu wie die Schwangerschaft einer unverheirateten jungen Frau in dieser humanistischen Form aufzugreifen. Ein Tabu, dass die tatsächliche Intention des Films zusätzlich verbarg – die Darstellung eines eintönigen, gleichförmigen Lebens, dass keine Aussicht auf Veränderung verspricht. Es geht in "Quattro passi fra le nuvole" nicht um eine Lüge – diese gönnt der jungen Maria (Adriana Benetti) nur einen Moment der Zuflucht vor dem Urteil ihres Vaters – sondern es geht um das „Wandeln auf den Wolken“, das der Vertreter für Süßwaren, Paolo Bianchi (Gino Cervi), einen Augenblick lang erleben darf, als er sich fälschlich als Ehemann von Maria ausgibt. Es sind nicht nur die Augen von Maria und die Landschaft, die Paolo an eine kurze glückliche Phase seiner Kindheit erinnert, es ist vor allem der Blick in ein anderes Leben, auf das er keine Chance hat.

"Quattro passi fra le nuvole" griff noch nicht die Armut eines großen Teils der Bevölkerung auf, zeigte weder Arbeitslosigkeit, Hungersnot, noch heruntergekommene oder vom Krieg zerstörte Häuser, wie die Werke des Neorealismus ab Mitte der 40er Jahre, sondern verankerte seine Story in einem scheinbar funktionierenden Italien. Der Film beginnt in einer modernen Wohnung in Turin, aber Gino Cervi - der später als Peppone in den „Don Camillo“ (1952) - Filmen populär werden sollte (interessanterweise spielte ausgerechnet „Camillo“ Fernandel seine Rolle als Vertreter in dem ersten Remake von Blasettis Film „Era di venerdi 17“ (Vater wider Willen, 1957)) – lässt trotz seines flexiblen, leichten Spiels nie Zweifel an einer Realität aufkommen, die dem selbst gewählten Bild der Mussolini-Regierung widersprach. Paolo Bianchi ist ein fleißiger, angepasster Bürger, äußerlich mustergültig gekleidet, dem es trotzdem kaum gelingt, den Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen.

Der morgendliche Streit mit seiner Frau (Giuditta Rissone), die Kritik an deren Bruder, der seit zwei Jahren in seiner Wohnung lebt, weil er keine Arbeit findet, der überfüllte Zug, mit dem die Menschen jeden Morgen versuchen, zu ihrer Arbeit zu gelangen, zeigen in "Quattro passi fra le nuvole" einen Alltag, der ohne Dramatik auskommt. Im Gegenteil entwickelt sich die Geschichte um die traurige junge Frau, die Paolo im Zug erst versehentlich den glücklich ergatterten Sitzplatz wegnimmt, bevor er ihr diesen doch überlässt, humorvoll, selbst als Paolo aus dem Zug geschmissen wird, weil er seine Fahrkarte zu Hause liegen gelassen hatte. Der eigentliche Grund war der verärgerte Schaffner, den Paolo zuvor kritisiert hatte, als er die Geduld verlor, weil die junge Frau nicht sofort ihre Fahrkarte fand. Anders als in vielen Komödien der 60er Jahre, die damit gerne die angeblich so leichte italienische Lebensart feierten, verband Blasetti mit der Schilderung wenig tüchtiger Bahnbeamter und einem Busfahrer, der erst zu spät kommt, weil er noch auf die Geburt seines Sohnes wartete, bevor er nach ausführlichem Feiern mit dem Bus im Graben landet – Blasetti inszenierte diese Sequenz im rasanten Stil späterer Polizieschi – eine unterschwellige Kritik an einem wenig funktionierenden Gemeinwesen.

Entwickelte sich die Begegnung zwischen Maria und Paolo, die sich nach seinem erzwungen Ausstieg zufällig in dem Bus wieder treffen, bis zu dem Zeitpunkt des Busunfalls langsam, bewies Blasetti spätestens mit der nun folgenden Annäherung, die dazu führt, dass Paolo sich gegenüber den Eltern der schwangeren jungen Frau als ihr Ehemann ausgibt, sein exaktes Timing für die emotionale Ebene des Films. Keinen Moment fällt Paolo Bianchi aus seiner bürgerlichen Rolle, niemals agiert Adriana Benetti als ängstliche junge Frau übertrieben, und nie gibt es Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Bedrohlichkeit in den Gesprächen mit ihrem Vater Luca (Aldo Sivani), der erst kritisiert, dass sie geheiratet haben, ohne ihn zu fragen, bevor es am nächsten Tag – als er die Wahrheit erfahren hat – zum entscheidenden Gespräch zwischen ihm und Paolo kommt. Trotz der gemeinsamen Feierlichkeiten auf dem Land und der sehr witzigen nächtlichen Begegnung zwischen Paolo und Marias Großvater (Giacinto Molteni), entsteht nicht der Charakter einer ausgelassenen Komödie, sondern bleibt die Ernsthaftigkeit der Thematik jederzeit gegenwärtig.

Dass es Paolo dank eines humanistischen Plädoyers am Ende gelingt, den Patriarchen davon zu überzeugen, nicht seine Tochter zu verstoßen, wurde in Italien als verklausulierte Kritik an Mussolini interpretiert, der zu einem solchen Umdenken nicht in der Lage war. Es verleiht "Quattro passi fra le nuvole" einen versöhnlichen Abschluss, aber kein Happy-End. Einen kurzen Augenblick lang konnte Paolo Bianchi, Vertreter für Süßwaren, aus seinem gleichförmigen, vorbestimmten Leben heraustreten, konnte sich für einen Menschen und ein anderes Denken einsetzen – er wandelte auf den Wolken – aber dann kehrt er wieder an seinen angestammten Platz zurück. Konsequenter ist dieser bis heute gültige Blick auf die Gesellschaft selten gelungen (9/10).

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