"American History X" ist keine klare Absage gegenüber dem Neonazismus. Zum Glück.
Denn Filme, die einfach nur sagen, wie eine richtige Meinung auszusehen hat, so dass das Publikum am Ende erleichtert dem Regisseur und sich selbst applaudieren kann, weil es richtig erkannt hat, dass Neonazismus böse ist, das, was es also vorher schon geahnt hat, während ideologisch Andersdenkende ihn sich ohnehin getrost schenken können, gibt es ja auch schon genug.
Die triumphalen Errungenschaften dieses Films sind die schauspielerische Leistung Ed Nortons, der wie alle übrigen Akteure teilweise schier unglaublich gut agiert, und die Konzeption seiner Figur als Neonazi, die sich in 3 Jahren Gefängnisaufenthalt zu einem anderen Menschen wandelt.
Derek als Skinhead ist keine dumpfe Karikatur eines Menschen sondern als Neonazi eine Lichtgestalt, ausgezeichnet mit ungewöhnlicher Intelligenz und einem aufrichtigen Ehrenkodex. Er stellt die richtigen Fragen und argumentiert absolut nachvollziehbar, wie etwa bei der Frage nach der öffentlichen Meinungsbildung durch einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit, das den großen Aufstand in Los Angeles auslöste. Gute Drehbucharbeit, weil hier nichts gekünstelt werden muss, und diese Szene genauso im Kleinen wie im großen wirksam ist.
Ob man dem menschlichen Wandel Dereks während seiner Haft als Zuschauer nachvollziehen kann oder will, hängt meines Erachtens davon ab, ob man die Veränderung Dereks als Schnellkurs "vom Saulus zum Paulus" versteht, oder ob man sieht, dass Derek erkennt, dass nicht die Ideologie falsch war, sondern dass sie lediglich die einzige war, die sich mit seinem bisherigen Seelenleben (permanente Wut) in Einklang bringen ließ (welche damit vollkommen beliebig war).
Ich denke, letzteres ist der Fall und ziehe vor dieser Umsetzung meinen Hut. Denn die Erkenntnis, dass Ideologien und nicht einzelne Menschen falsch oder richtig sind und sich verändern können, ist gerade in Zeiten, wo solche Themen speziell im Film nur proforma oder politically correct abgehandelt werden, unschätzbar wertvoll.
Auch wenn der eine oder andere Beteiligte (oder Zuschauer) gerne einzelne Szenen anders umgesetzt gesehen hätte, zum Beispiel, indem auf den erwachsenen Drahtzieher im Hintergrund verzichtet wird, ist "American History X" trotz und wegen seiner Widersprüche ein sehr starker, kraftvoller und menschlicher Film geworden. Die Glaubwürdigkeit entsteht auch dadurch, dass die Figur Derek nicht einfach in zwei Hälften zerfällt, sondern dass es die gesamte Zeit eine Konstante für sie gibt: die Liebe zu ihrem jüngeren Bruder, die trotz ihrer Sanftheit nicht ins kitschige abstürzt.
"American History X" funktioniert mühelos als intimes Drama über eine Familie wie über philosophische Fragen, so dass das Schlusszitat leider reichlich unnötig ist.
Auf den ersten Blick kommt er nicht ohne Klischees aus. Bei näherem Hinsehen liegt er aber häufig goldrichtig: beispielsweise bei der Figur des schwarzen Englischlehrers als weiser Ratgeber. Dieser ist kein verwässerter Bilderbuchschwarzer - dafür ist er Derek zu ähnlich, (er reagierte in seiner Vergangenheit genauso mit blinder Wut auf Verwirrungen und Enttäuschungen) - und er belehrt und moralisiert nicht über die Gleichwertigkeit aller Menschen vor sich hin, sondern stellt Derek die Frage "Was hast du getan, damit dein Leben besser wird?" und signalisiert ihm hier wiederum das vorrangige Interesse am Menschen, nicht an der Ideologie, wiederum Respekt für das gelungene Drehbuch.
Der Film ist auch formal, insbesondere was die Kameraarbeit belangt, eine echte "Sehenswürdigkeit", die weder nötige Härte noch Gefühlstiefe scheut.