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Sanft und schön gleiten die Wellen des Meeres in den schwarzweißen Bildern des Vorspanns. Ein Gänsehaut erzeugender Chor erklingt. Völlig konträr dazu verhält sich das hierauf folgende Geschehen: Das Bild ist immer noch schwarzweiß, als drei Afroamerikaner im Begriff sind, ein Auto aufzubrechen. Es gehört Derek. Von seinem Bruder Danny darauf aufmerksam gemacht, stürmt dieser mit geladener Schusswaffe in der Hand aus der Tür - und schießt. Zwei Menschen sterben, der dritte Kleinkriminelle kann mit dem gestohlenen Auto entkommen.

Die ganze schockierende Brutalität dieses Anfangsszenarios, einem Schlüsselerlebnis in sowohl Dereks als auch Dannys Leben, hält Tony Kaye vorerst zurück. Später, in einer Rückblende, wird der erschreckende Hass Dereks deutlicher. Es zeigt sich, dass er einen bereits angeschossenen Schwarzen regelrecht exekutierte. In geradezu ästhetischen Zeitlupensequenzen übermittelt Kaye dem Zuschauer Dereks anschließende Verhaftung. Höhnisch, gar diabolisch grinsend sinkt er auf die Knie; die Arme hinter dem Kopf verschränkend, während ihn stolz sein auf die linke Brust tätowiertes Hakenkreuz ziert.

Nein, "American History X" ist keine Ode an den Rechtsradikalismus oder Neonazismus. "American History X" ist aber auch keine plump kritische Abhandlung dieser infernalischen gesellschaftspolitischen Phänomene. "American History X" ist in erster Linie eine Darlegung des Schicksals derer, die ideologisch vom rechten Wege abgekommen sind und derer, die unter direktem Einfluss der ideologisch vom rechten Wege Abgekommenen stehen. Tony Kayes Werk könnte eindrucksvoller nicht sein - so facettenreich analysiert er den Menschen Derek, wie er angreifbar und anfällig vom rechtsradikalen Sog erfasst wurde und sich gegenüber seinem Umfeld allmählich selbst zum Sog entwickelte.

Geschickt greift Kaye für die Darstellung der Vergangenheit stilistisch auf ein kühles Schwarzweiß. Schwarz und Weiß, gleichzeitig auch Teil der Lebensphilosophie Dereks. Kaye schildert, wie es dazu kam - von den ersten Einflüssen seines dem Rassismus nicht abgeneigten Vaters, über dessen Tod, bis hin zum chauvinistischen, nicht-glatzköpfigen, ihn beeinflussenden Drahtzieher der lokalen rechtsextremistischen Bewegung. So schützt selbst Intelligenz, mit der Derek in jedem Falle gesegnet ist, nicht vor Milieu, Desillusionierung, Frustration und Perspektivlosigkeit. Und es ist gar erschreckend, wie augenscheinlich intelligent und argumentativ Hass, wie ungeheuer schmal der Grat zwischen gesundem Unrechtsbewusstsein und dem als gesunden Unrechtsbewusstsein getarnten Rassismus sein kann.

Dabei geht es Tony Kaye jedoch nicht ausschließlich um den einseitig beleuchteten Rassenhass radikaler Rechtsextremisten. Der allgegenwärtige Hass beider Seiten ist es - der tragische Schluss verdeutlicht dies nur allzu drastisch -, der bis heute nicht abgelegt worden ist. Der weiße Mann ist es allerdings, der gesellschaftlich immer noch dominiert und Schwarze diskriminiert, indem er ihnen für einen gestohlenen Fernseher unverhältnismäßig viele Jahre Gefängnis - im Falle eines Mithäftlings von Derek sind es sechs - aufbrummt. Kaye versucht nicht nur diesen Zustand aufzuzeigen, sondern ihm auch entgegenzuwirken. Zum einen in der Figur des Dr. Sweeney. Dannys Direktor, ein kämpferischer Afroamerikaner, arbeitet bewusst und konsequent gegen rassistische Tendenzen und war letztendlich eine wesentliche Stütze für Derek im Kampf gegen seine eigene verklärte Ideologie.

Dereks Figur ist der Dreh- und Angelpunkt. Seine Wandlung vom eingefleischten Rechtsextremisten zum toleranten, komplett neuen Menschen stieß nicht selten auf Kritik. Zu wundersam sei seine völlige Umkrempelung. Doch Derek wurde nicht als Rechtsextremist geboren, sondern zu einem herangezüchtet, der die Fähigkeit zur mehrdimensionalen Sichtweise in sein Unterbewusstein verbannte. Tony Kaye zeigt in Rückblenden, was diesen Bann sprengte, was sich während Dereks Gefängnisaufenthalt abspielte: Er war der weißen Bestie ausgeliefert. Nur durch einen schwarzen Freund ließ sich die harte Zeit überstehen. Kaye geht es hierbei aber nicht um den Knast als perfekte Resozialisierungsmaschine, sondern um die alleinige Möglichkeit, den auf die falsche Bahn Geratenen, auch wieder auf den rechten Pfad bringen zu können.

Natürlich konnte auf der Figur des Derek Vinyard so nur eine schwere Hypothek lasten. Allerdings meisterte sie Edward Norton mit Bravour. Ob ausgezeichnete Rollen in "Zwielicht" oder "Fight Club" - keine andere seiner zweifellos brillanten schauspielerischen Leistungen ist konkurrenzfähig zu Nortons Darbietung in "American History X". Vor allem die Schwierigkeit, einerseits den Rassisten und andererseits den bekehrten und besorgten großen Bruder, der Danny aus dem Sumpf des Neonazismus befreien will, zu verkörpern, macht Edward Nortons Darbietung noch famoser. Beachtung sollte bei aller Fokussierung auf Nortons Leistung jedoch insbesondere auch Edward Furlong und Beverly D'Angelo geschenkt werden, die in ihren Rollen ebenfalls schlichtweg herausragen.

Herausragend - das ist ohne Zweifel auch der "American History X" am vortrefflichsten umschreibende Begriff. Nie zuvor widmete man sich der Thematik des Rechtsradikalismus mit dieser Reife und Intensität, mit dieser intelligenten Tiefgründigkeit und über den ersten Eindruck hinausgehenden Vielschichtigkeit. Tony Kayes Werk ist eine fabelhafte Studie über die gefährliche Anziehungskraft des Rechtsextremismus und die komplizierten Strukturen des Rassendenkens, die uns keine moralische Predigt hält und es dennoch schafft, Gemüter aufzuwühlen - ein Meisterwerk.

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