-- VORSICHT! EXTREME SPOILER --
"Das Leben ist zu kurz, um immer nur zu hassen, um immer nur wütend zu sein.“ Wütend war vor allem Regisseur Tony Kaye, der sogar darüber nachdachte, seinen Namen vom Titel zu entfernen, und sich durch Alan Smithee verleugnen lassen wollte. Weil angeblich Edward Norton zuviel an dem Drehbuch geändert hätte. Niemand hat wirklich Ahnung, wie Kayes Vision des Filmes "American History X" hätte aussehen sollen. Ich weiß nur, dass er ein verdammt guter Film ist.
"American History X" ist nicht nur ein Film über die Rassenproblematik in Amerika. Über die Beeinflußbarkeit des jugendlichen Geistes. Er ist auch ein Film über freie Meinungsäußerung. Es ist ein problematischer Film, der auf verheerende Weise mißverstanden werden könnte - und auch wird. Denn "American History X" erzählt die Geschichte eines Neonazis. Derek Vinyard ist nicht nur Neonazi - er zelebriert dies. Ein riesiges Hakenkreuz ist über seine Brust tätowiert, direkt am Herzen. Er ist die Ikone der Neonazis. Sein Förderer, ein alter Rechtsextremist, fördert ihn, und sieht in ihm einen potenziellen Nachfolger. Die Familie Dereks verachtet seine Tendenzen. Sein kleiner Bruder Danny jedoch ist fasziniert von seinem "Vorbild". Er ist auch der einzige, der Derek dabei zusieht, wie er in der schicksalshaften Nacht zwei Afroamerikaner dabei erwischt, wie sie sein Auto stehlen wollen. Er bringt seine schwarzen Mitbürger um - und landet im Gefängnis.
Der Film setzt an dem Tag ein, an dem Derek wieder aus dem Gefängnis kommt. Statt Glatze hat er nun einen ganz normalen Putz auf dem Kopf. Dafür trägt nun Danny seine Haare milimeterkurz. Man merkt: Derek hat eine Läuterung durchgemacht. Die beiden Jahre Gefängnis haben aus dem haßerfüllten jungen Mann einen reiferen, nachdenklicheren Menschen gemacht. Kein Rassenhaß, keine Gewalt mehr. Leider muss er mit ansehen, wie nun Danny in den Fängen seiner alten Neonazi-Clique ist. Mit vielen Gesprächen und mit Unterstützung des schwarzen Lehrers Sweeney (toll: Avery Brooks) möchte er Danny, der noch am Morgen einen glorifizierenden Aufsatz über Hitlers "Mein Kampf" abgegeben hatt, von dem richtigen Weg überzeugen.
Der Kampf um einen Menschen endet tragisch, unerwartet. Nachdem Danny erkannt hat, dass seine rassistische Haltung keinen Wert hat, kehrt er in die Schule zurück. Der dort verschriene Neonazi wird allerdings, noch bevor er seine neue Gesinnung wirklich leben kann, von einem seiner "schwarzen Feinde" auf der Toilette erschossen. Was möchte uns Tony Kaye mit einer solch drastischen Geschichte sagen?
Es gibt überall Rassismus. Wenn die Afroamerikaner von "Black Power" reden, dann ist das genauso rassistisch, wie die "White Power"-Bewegung. Es ist wichtig über solche Mißstände zu reden. Und nachzudenken. Denn Kaye trifft hier keines Falls eine klare Aussage, oder bezieht Stellung für eine Partei. Nein, vielmehr läßt er die gefährlichen, nationalistischen Aussagen der Neonazis im Raume stehen - wohlwissend, dass diese Aussagen, die sich zunächst immer plausibel und gefällig anhören, immer auf Ohren trifft, die dies gerne hören.
Aber auch optisch macht es Kaye dem Zuschauer schwierig, die Vergangenheit Dereks abzulehnen. In hochstilisierten, sehr ästhetischen Schwarzweißbildern spielt Edward Norton Basketball. In Zeitlupe. Sehr glorreich ist sein Triumph über die schwarze Basketballmannschaft. Und im nächsten Moment will er uns sagen, dass diese familiäre Atmosphäre, dieses schöne Beisammensein weißer Bürger so falsch ist? Für Zuschauer ohne Unterscheidungsvermögen schwierig zu differenzieren. Und so sitzen auch zwei bedenklich gekleidete mit ebenso bedenklichen Frisuren hinter mir im Kino. Sie lachen und freuen sich, wenn in einer Szene die versammelten Neonazis "Sieg Heil" rufen und zu rassistischer Mucke abgehen.
Aber dennoch ist und bleibt "American History X" ein wichtiger, guter Film. Denn nicht nur Story und Inhalt sind überdurchschnittlich gut, auch die Darsteller überzeugen auf fantastische Weise. Edward Furlong spielt den zerrissenen Teenie zwar zum x-ten Mal, hat aber immer noch nicht an Intensität verloren. Und Elliot Gould und Stacey Keach haben zwei gallende Kurzauftritte. Und Edward Norton sieht man deutlich an, dass er der neue De Niro sein könnte. So ein fabelhaftes Acting habe ich schon lange nicht mehr gesehen.
"Derek sagt, es ist immer gut, mit einem Zitat abzuschließen. Wenn ein anderer es schon am besten formuliert hat und man selber es nicht besser kann, stiehlt man eben von ihm und verschafft sich 'nen starken Abgang." Ein Zitat? Ich schließe mit den Worten Danny Vinyards. "Wir sind keine Feinde, sondern Freunde - wir dürfen keine Feinde sein. Leidenschaft mag die Bande unserer Zuneigung anspannen, aber zerreissen darf sie sie nicht. Die mystischen Klänge der Erinnerung werden ertönen, wenn - und das ist sicher - die besseren Engel unserer Natur sie wieder berühren."