Kann ein Film mit der Thematik Rassismus die gewünschte, erschreckende Wirkung erzielen, auch wenn nicht mit der Moralkeule geschwungen wird?? Die beeindruckende Antwort liefert „American History X“, denn eigentlich ist das Projekt nicht nur ein Film, sondern ein Portrait einer komplexen Ideologie.
Zusammen mit den Brüdern Derek (Edward Norton) und Danny (Edward Furlong) erlebt der Betrachter einen gefährlichen Trip, durch den alle Facetten rassistischer Ideologien beleuchtet werden. Regisseur Tony Kaye und Drehbuchautor David McKenna werten nicht, sie erzählen die „rechte Karriere“ von Derek und deren Auswirkungen auf Danny. Die Wirkung entfaltet „American History X“ in seiner Vielseitigkeit, abstoßende Taten und der verbohrte Hass sind ebenso Bestandteile wie die Ursachen, weshalb immer mehr Jugendliche der rechten Mentalität verfallen. Kaye zeigt aber auch die allgemeinen Schattenseiten der Gesellschaft, beispielsweise die Auswirkungen der Gettoisierung afroamerikanischer Jugendlicher. Dem folgen die einfachen Erklärungen der Rechtsradikalen, die fernab von Armut alle Ursachen in Rassenideologien suchen. Der Hass zwischen beiden Parteien ist dabei auch das Resultat von gegenseitigen Provokationen, Machtkämpfen und die Flucht vor eigenen Problemen.
Klischees vermeidet man, niemand scheint vor den Gefahren, der Faszination und Fluchtmöglichkeit in einfachen Antworten brauner Ideologien gefeit. Derek ist das Gegenteil eines stereotypen Skinheads. Er ist intelligent, hat Charisma und verfällt trotzdem dem Hass, weil er den Tod seines Vaters, der von Schwarzen getötet wurde, nie verkraftet hat. Seine charismatische Gewalt und das selbstbewusste Auftreten machen ihn zu einem Vorbild für alle Jugendlichen des Milieus. Derek ist der potenzielle Nachfolger von Anführer Cameron Alexander (Stacy Keach). Erst als er drei Schwarze tötet und zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wird, erkennt Derek die Absurdität der hasserfüllten Ideologie. Ihm wird nicht nur bewusst, dass er vor der eigenen Verzweiflung geflüchtet war; sein größtes Opfer ist Bruder Danny.
Auch in punkto Erzähltechnik zeigt sich die Besonderheit des ganzen Werks. Die Gegenwart ist in realen Farbtönen dargestellt, während die Vergangenheit schlicht in schwarz-weiß mit Hilfe von Reflexionen erzählt wird. Als Nebenlot fügt man geschickt den schwarzen Lehrer bzw. Schuldirektor Sweeney (Avery Brooks) ein, von dem Danny gezwungen wird einen Aufsatz über seinen Bruder Derek zu schreiben, nachdem der junge Skinhead zum Thema Kampf um die Bürgerrechte Adolf Hitler glorifizierte. Sweeney hat die beiden Brüder, die er schon seit deren Schulanfang kennt, trotz aller direkten und indirekten Anfeindungen nie aufgegeben, er erkannte deren Intelligenz und kann sich über den entgegengebrachten Hass hinwegsetzen. Zusammen mit Derek versucht er Danny vom „rechten Weg“ abzubringen. Progressiv zeigt sich wie komplex die Suggestion in den Fängen des Rassismus ist. Einfache Antworten auf schwierige Fragen, die gewaltsamen Lösungen, Zusammengehörigkeit, vereint im Hass; all jene Aspekte lösen einen Verfall, fast schon suchtartigen Zustand aus. Eine Abkehr gestaltet sich nicht weniger diffizil, als bei einem Drogenentzug. Die Droge ist gewaltig und Tony Kaye und Drehbuchautor David McKenna erklären, wie sehr jeder ihr verfallen kann.
Am Ende zeigt sich nicht nur erzähltechnisch, dass die Gegenwart mehr denn je eine Konsequenz der Vergangenheit ist.
Trotz aller inhaltlichen und technisch komplementären Finessen, wäre die Wirkung von „American History X“ nicht derart effektiv, wenn die Schauspieler ihre Talente nicht kollektiv, vollends ausschöpfen würden. Avery Brooks brilliert als Schuldirektor, ein Mann, der Menschen nicht aufgibt, weil er die Gabe hat hinter die Fassade zu blicken und nicht nur den entgegenbrachten Hass seitens Derek und Danny sieht. Edward Furlong glänzt als zerrissener Jugendlicher, der seinen Bruder in der Vergangenheit als Vorbild bewunderte, aber in der Gegenwart nicht verstehen kann, welchen Wandel er vollzogen hat. Edward Norton zeigt eine grandiose, vollkommene Leistung, da er seinem Charakter zu jeder Sekunde das passende Profil verleiht. Er lässt Derek als Ikone im Kampf gegen Rassismus erscheinen, offenbart ebenso die damit verbundenen Verlockungen wie den Schrecken und kämpft letztendlich gegen die eigene Vergangenheit. Ihm wird bewusst, welche Opfer seine Taten und die Auswirkungen seiner Vorbildsfunktion hervorbrachten. Stacy Keach spielt den abscheulichen Altnazi Cameron Alexander mit erschreckender Intensität und Glaubwürdigkeit.
Aus einer an sich einfachen Geschichte, wird ein allumfassendes Meisterwerk, das die Komplexität des Faschismus überwältigend beleuchtet. Tony Kaye zeigt mit Hilfe von grandiosen Schauspielern, ohne Moralismus, warum jedermann der Absurdität und Einfachheit verfallen kann und wie sehr banalste Bedürfnisse wie Zusammengehörigkeit und Stärke dazu verleiten. „Hass ist Ballast“, eindrucksvoller kann die Botschaft nicht vermittelt werden. (10/10)