Noch kurz zuvor erklang der zum Hüfteschwingen einladende Swing, dann unter Begleitung der Speed Metal Band Powermad zerschneidet ein spontaner Ausdruck wildester Gewalt die feierliche Atmosphäre kurzerhand. Mit bloßen Händen bringt Sailor Bob Ray Lemon zur Strecke. David Lynch kündigt dem überrumpelten Zuschauer gleich zu Beginn ein Kontrastprogramm an, einen unkonventionellen Mix aus leidenschaftlichem Roadmovie und nicht alltäglichem Liebesfilm, verpackt in einem Lynch-eigenen Popart-Gewand.
In "Wild at Heart" geht es Lynch nicht um das tiefe Eindringen in seelische Abgründe zwiespältiger Individuen. Rückblenden oder anderweitige Erfahrungen über die Vergangenheit des verliebten Paares Lula und Sailor - sie sind zwar relevant für den Plot, kratzen aber lediglich an der Oberfläche der nichtsdestotrotz interessanten Gestalten. "Wild at Heart" ist kein typischer Lynch-Film. Nicht so intensiv und düster, nicht so verschlüsselt und abgründig. Doch genauso wenig ist "Wild at Heart" gewöhnlich, dieses Wort, das in David Lynchs Vokabular ohnehin einen außerordentlichen Seltenheitswert hat. Die Geschichte von Sailor und Lula ist keine reale Geschichte. Die Charaktere bergen bewusst Klischees und symbolisieren Illusionsfiguren längst vergangener Kulturphänomene. Nicht zuletzt verschmelzen am Ende Märchen und irreale Filmwelt zu einem zuckrigen Ganzen, einem verträumten Schluss. Als Sailor schließlich die gute Fee erscheint, dürfte die Beziehung zu Lynchs Lieblingsmärchen, dem "Zauberer von Oz", keinem mehr entgangen sein. Dabei offenbarte der Vergleich von Lulas Mutter mit der bösen Hexe des Ostens bereits Lynchs Liebesgeständnis.
"Wild at Heart" allerdings ist zu exzessiv für ein rein filmisches Märchen. Wie so häufig herrschen vor allem die Kontraste in Lynchland. Da wären die scharfen, aus dem nichts kommenden Wechsel von sanften, gar romantischen Klängen zu treibendem Rock oder die teilweise harten, disharmonisierenden Schnitte. Eine obszöne Wortwahl steht Liebesgeflüster gegenüber. Ein vor den Augen von Lula und Sailor sterbendes Unfallopfer, ein unheilvoller, wunderbar ekelhaft von William Dafoe verkörperter Bobby Peru oder seltene, aber herbe Gewaltsequenzen mit Splatterelementen wirken wie Fremdkörper in dem sich am Ende entladenen, positiven Märchenzauber.
So sehr "Wild at Heart" auch den allgemeinen, an einen markanten Lynch-Film gestellten Erwartungen hinsichtlich einer tiefgreifenden Darstellung von psychologischen Abgründen widerstrebt, bleibt dieses gut besetzte Werk doch wiederum faszinierend; zwar auch ungewöhnlich positiv in seinem Schluss, aber dennoch insgesamt reichlich kontrastreich und abstrakt - eben Lynchs sonderbar schrille wie schillernde Variante einer illusorischen Romanze.