Patricia Highsmith war eine amerikanische Krimiautorin, die sich bevorzugt für die Analyse, nicht aber die Aufklärung von Verbrechen interessierte, womit sie zunächst weniger in den USA, sondern in Europa zu Beliebtheit gelangte. Ihr Schaffen entdeckte schließlich Alfred Hitchcock für den Film, der einen ihrer Romane als Stoff für Verschwörung im Nordexpreß lizensierte. Wurde dieser von manchem als indirekter Anschluß an Cocktail für eine Leiche empfunden, schlägt auch René Cléments Nur die Sonne war Zeuge - eine Adaption der Highsmith Geschichte Der talentierte Mr. Ripley, welche zuvor nur in der TV Show Studio One Verwendung fand - als Psychodrama eine ähnliche Richtung ein.
Von einem Fortsetzungspotential war seinerzeit jedoch noch keine Rede, denn den später als populärste ihrer Romanfiguren bezeichneten Mr. Ripley ließ Patricia Highsmith erst 1970 in Ripley Under Ground wieder auftreten und legte dann noch weitere drei Fortsetzungen nach, von denen Wim Wenders Der amerikanische Freund filmisch aufgriff. Mit dem gehörigen Abstand von vierzig Jahren hauchte Anthony Minghella dem Stoff mit seiner Neuinterpretation von Der talentierte Mr. Ripley neues Leben ein - ein kleines Zeugnis dessen, daß die Geschichte auch heute noch einem breiten Interesse begegnet, man dem Werk von René Clément also durchaus Beachtung schenken sollte, so man es bisher nicht getan hat.
Die Sonne aus dem Titel aufgreifend, fängt die Kamera von Henri Decaë postkartentaugliche Bilder des schönen Italiens ein. In Rom begegnen wir dem reich geborenen Philippe Greenleaf (Maurice Ronet) und seinem Begleiter Tom Ripley (Alain Delon). Ihre Beziehung wird uns im Folgenden dargestellt, unterstrichen von einer Begegnung mit Freddy Miles (Billy Kearns), einem Freund Phillippes, der seine Mißgunst gegenüber Tom ausspricht. Unter den Begleiterinnen hier in einer Nebenrolle übrigens Delons Geliebte Romy Schneider.
Doch Philippe hält Tom für einen amüsanten wie nützlichen Gespielen, kann dieser doch sogar Unterschriften fälschen. Herrisch kommandiert Philippe seine Späße, zieht Tom mit, als er einem Blinden den Gehstock abkauft, um damit eine Passantin zunächst zum Narren zu halten, sie dann zu bezirzen und zu berauschen, mit ihr zu knutschen und zu fummeln, wobei er dem neidischen Tom, der zunächst beherzt zugreift, zu verstehen gibt, daß die Dame sein Spielzeug sei, welches er kurz darauf gelangweilt aus der Kutsche stößt.
Toms augenscheinliche Bewunderung des reichen Amerikaners gerät gegenüber der von Philippes Vater gesetzten Aufgabe, seinen Jugendfreund zurück zu holen, komplett in den Hintergrund. Selbst während des emotionalen Wiedersehens Philippes mit seiner Verlobten Marge (Marie Laforêt) weicht Tom nur durch barsches Zurufen im Eifer des in die Horizontale gewechselten Gefechts von seiner Seite. In Philippes Kleidung dessen Rolle annehmend, zuckt er ertappt peinlich berührt zusammen.
Hier arbeitet Nur die Sonne war Zeuge nun auf verschiedenen Ebenen. Wie bei der Episode in Rom bildet sich auf einem Segelschiff eine Dreieckskonstellation mit einer Frau, diesmal gesellt sich zu den beiden Jugendfreunden jedoch Marge, der Philippe seine Liebe beteuert. Ihr gegenüber reduziert er Tom auf ein reines Objekt und stellt dies unter Beweis, als er diesen auf dem Beiboot ins Schlepptau nimmt. Als die Leine reißt, zieht es ihn dennoch zurück um Tom zu retten. Tom hingegen versucht Marge zu erklären, daß sie einen Philippe liebe, den es gar nicht gäbe. Er versteckt den Damenschmuck, den ihre Begleitung in Rom verloren hatte, um eine Eifersuchtsszene heraufzubeschwören und schafft es tatsächlich Marge entrüstet an Land gehen zu lassen.
Mit Philippe allein an Bord offenbart er nun seine Spielregeln, die ihn oberflächlich als Nichtsnutz erscheinen lassen, der sein Leben durch Geld aufwerten möchte. Eiskalt erläutert er, wie es ihm nach Phillipes Tod gelingen soll, an dessen Besitz zu gelangen.
Besonders unter Berücksichtigung von homosexuellen Themen, die eine selbst lesbische Liebe praktizierende Patricia Highsmith in ihre Romane einfließen ließ, steht dieses Beziehungsspiel in einem deutlich anderen Kontext, welcher sich jedoch im Verlaufe des Films zerschlägt, nachdem Tom die Verlobten getrennt hat, wie als Akt einer vollständigen Vereinnahmung mit dem Messer als psychologischem Phallussymbol in Philippe eindringt und mit seinen Fälschermethoden fortan dessen Person steuert, um sich an dessen Kapital zu bereichern.
In wie weit Nur die Sonne war Zeuge, über dessen in ihren Augen zu moralisches Ende sich Highsmith echauffierte, nun seiner literarischen Vorlage entspricht, kann ich leider nicht beurteilen, da diese bisher nicht zu meiner Lektüre zählte.
Objektiv kann man René Clément für seine Version hieraus keinen Mangel attestieren. Fast bar jeder Suspense versteht er seinen Zuschauer mit einer Studie zu fesseln, die gesellschaftliche Schichten aufeinander prallen läßt und dezent funktionierende Schutzmechanismen aufzeigt. Durch skrupellose Art gelingt es Tom Ripley zunächst, Kreditbriefen habhaft zu werden, doch sein Rollenspiel erfordert viel Aufwand, für den er sich eben nicht die Beziehungen seiner Figur Philippe Greenleaf zu Nutze machen kann. Für Tom wird das unbeschwerte Leben eines Millionärs damit zur harten Arbeit. Er muß die Person scheinbar am Leben halten, Lebenszeichen von Orten abgeben, an denen Philippe unbekannt ist.
Zunächst kann er Polizei und sogar Marge zum Narren halten. Immer kurz davor aufzufliegen, muß er sich der Entdeckung erwehren, auch wenn dazu ein weiterer Mord notwendig ist, dessen durch schieres Glück Philippe verdächtigt wird. Fast scheint sein Vorhaben mit Erfolg gekrönt zu sein, als Vater Greenleaf den testamentarischen Nachlaß an Marge akzeptiert, denn Philippe soll nun ebenfalls tot sein. Tom gelingt es eine Liaison mit Marge einzugehen, ist also fast vollständig an Philippes Stelle getreten.
Bezeichnend für den Menschen jedoch ist, daß er trotz Strebens nach Perfektion immer von einem Makel befallen ist. So bricht Tom Ripleys fragiles Lügenkonstrukt aufgrund eines kapitalen Fehlers zusammen, der die Qualität dieser Unternehmung bereits an der Wurzel in Frage stellt. Hätte er nicht so hoch gepokert, wäre es ihm vielleicht gelungen unterzutauchen, bevor die Maskerade auffliegt.
Zwar strebt Nur die Sonne war Zeuge weniger offensiv nach dem perfekten Verbrechen, als Cocktail für eine Leiche jedoch läßt sich ein ähnliches Grundmuster vorfinden. Heute, mit der Komplexität der Ermittlung im Stil von C.S.I. verglichen wirken beide Filme wie eine leichtfüßige Fabel. In Der Staatsfeind Nr. 1 wäre auf hoher See vermutlich nicht nur die Sonne, sondern auch ein Satellit zum Zeugen geworden. Doch ändert diese zeitgemäße Anpassung des Fokus auf die technische Komponente etwas an den Menschen die sich zwischen Moral, Neid und Besitzdrang orientieren müssen?
Es ist wünschenswert, daß sich auch jüngere Generationen noch auf Filme dieser Art einstellen mögen, können diese doch wesentlich glaubhafter die Ermittlungsarbeiten weiträumig ausklammern und sich die Zeit für die Ausarbeitung der Figuren nehmen. Mit Nur die Sonne war Zeuge gelang Clément ein solch ausgefeilter, zudem wunderschön photographierter Krimi, der sich zu den sehenswertesten Genrevertretern des letzten Jahrhunderts zählen lassen darf.