Die Story setze ich jetzt doch mal als allgemein bekannt voraus: Großer Affe verliebt sich in blonde Frau und verliert nach seinem Herzen auch sein Leben.
Über so einen Film eine „Besprechung“ zu schreiben, zumal als Amateur, ist sinnlos. Fast 90 Jahre nach seiner Entstehung ist KING KONG durch unzählige Texte und Analysen gewandert, wurde hunderte oder wahrscheinlich sogar tausende Male auseinandergerissen und auf seinen Inhalt abgeklopft. Wie werden die Eingeborenen dargestellt? Wie der Einfluss der Zivilisation auf den animalischen Affen? Wie sind die Referenzen auf DIE VERLORENE WELT von 1925 eingebaut? Wie wurde KING KONG im Laufe der Jahrzehnte innerhalb der Filmwelt immer wieder referenziert? Wie sind die Darstellungen von Gewalt und Sex einzuordnen?
Gewalt und Sex. Zwei der drei Dinge, die mir bei der Erstsichtung(!) im Frühjahr 2022 als substantielle Bestandteile dieses Films aufgefallen sind, und deren offensive Abbildung mich zutiefst beeindruckt hat:
Die Darstellung einer fast unmenschlichen Grausamkeit. Wenn King Kong mit seinen tierischen Widersachern kämpft, frage ich mich ernsthaft, wo hier der Grund für eine FSK 6-Freigabe zu finden ist. Wenn der Affe den Dinosaurier tötet, indem er dessen Kiefer nach und nach auseinanderreißt, sogar mit der Darstellung von fließendem Blut. Wenn ein Vogel getötet wird, indem vermutlich sein Rückgrat gebrochen wird. Wenn eine Seeschlange mit dem Schädel immer und immer wieder auf den Boden geschleudert wird. Doch diese Szenen sind bei aller Brutalität nichts gegen eine Frau, die aus dem Schlafzimmer hinter einem Hochhausfenster gegriffen und außen einfach fallen gelassen wird, während die Kamera den Sturz geradezu teilnahmslos von oben filmt und filmt und filmt. Menschen die zwischen Kongs Zähnen zerfleischt und wie Knorpel in der Currywurst wieder ausgepult und weggeworfen werden, Menschen die von riesigen Affenfüßen erbarmungslos in den Schlamm gepresst werden (was mich auch in der Durchführung stark an eine Szene mit einem Panzer und einem jungen Soldaten in der französischen Fassung von Bernhard Wickis DIE BRÜCKE erinnerte), Männer die in eine Schlucht stürzen und deren Aufprall die Kamera mit fast lustvollem Voyeurismus begleitet… Wenn diese Fassung von KING KONG in Farbe wäre, würde sie meines Erachtens modernen Torture Porn-Filmen in nichts nachstehen. Mich persönlich hat diese Grausamkeit schockiert, und fast noch mehr die Selbstverständlichkeit, mit der diese Szenen in den Film eingebettet sind als Bestandteile einer filmischen und sozialen Kultur, die sich anscheinend durch Brutalität definiert. Selbst in den kleinen Szenen ohne den Affen ist diese Grausamkeit immanent, wenn ein Matrose des Schiffes von dem Seeungeheuer (ich nenne es jetzt mal Nessie) zerbissen wird, und anschließend sogar voller Schmerz noch einmal in Großaufnahme im Wasser stirbt, oder wenn ein anderer Matrose auf einen Baum klettert, und Nessie ihn dann zerfleischt. Faszinierend und widerlich zugleich …
Diese schier überbordende Sexualität. Rund anderthalb Jahre vor der Einführung des Hays-Codes ist der Film neben aller Gewalt zudem eine sexuell hochgradig aufgeladene Nummernrevue, deren einziger Zwecke es scheint, Fay Wray in den Status einer Sexgöttin zu heben. Allein bereits, wenn sie bei den Probeaufnahmen ohne BH im halbtransparenten Kleid erscheint hebt sich die Stimmung beim männlichen Zuschauer zusehends, aber der erste Höhepunkt ist natürlich ganz klar Fay Wray im leicht zerrissenen Kleid, an beiden Armen gefesselt und barfuß, hilflos und bereit zur Penetration durch ein großes und stark behaartes männliches Wesen. Später dürfen wir dem Affen zuschauen, wie er die einzelnen Kleidungsstücke Stück für Stück, wie bei einer Zwiebel, abzieht und begutachtet, während Frau Wray immer nackter und am Ende zärtlichst an den Brüsten gestreichelt wird. Der Affe hält dann noch rechtzeitig inne, aber dafür landet die Hauptdarstellerin dann während der Flucht noch in einem See und darf sich kurzzeitig nass und mit geschwellten Brüsten kurz vor der Kamera tummeln. Auch das Getrommel des Affen auf seine Brust, also letzten Endes die klare Ansage „Ich habe den Größten“ schallt immer wieder durch den Raum und gibt damit eine testosteron- geschwängerte und sexuell äußerst aufgeladene Atmosphäre vor. So unverblümt habe ich Sex im Film erst in den 60er-Jahren wieder bewundern dürfen, und damit meine ich nicht Liselotte Pulver in Billy Wilders EINS, ZWEI, DREI …
Diese ikonischen Bilder, die einem Filmfan einfach immer wieder begegnen und seine Wahrnehmung beeinflussen. King Kong im zerstörten Tor des Eingeborenendorfs, wutentbrannt. King Kong der auf das Empire State Building klettert. King Kong im Kampf gegen die Flugzeuge. Und natürlich auch immer wieder die schöne und wehrlose weiße Frau in der Hand des übermächtigen Naturwesens.
KING KONG UND DIE WEISSE FRAU hat mich entschieden beeindruckt, und neben den genannten Aspekten auch durch die einfache und dabei gut erzählte Geschichte, die erstklassige Tricktechnik und die grundsätzlich eben von Gewalt und Sex geprägte Stimmung. Die Hintergründe der einzelnen Szenen erinnern dabei durchaus an die Bilder von Gustav Doré oder auch Giovanni Battista Piranesi, die sicher beiderseits einen großen Einfluss hatten auf die Erstellung der Matte Paintings, genauso wie andersherum diese Bilder ihren Einfluss auf die Grafiken moderner Fantasykünstler hatten.
Wie mag der Film 1933 auf der großen Leinwand auf die Zuschauer gewirkt haben? KING KONG muss einen geradezu brachialen Eindruck hinterlassen haben, vergleichbar vielleicht mit späteren Filmen wie VOM WINDE VERWEHT, DOKTOR SCHIWAGO oder DER HERR DER RINGE, die genauso wie KING KONG mit visueller Brillanz und narrativem Druck das Publikum einfach bei den Eiern packen und in ein anderes Universum zerren. Ein großartiger Film, der seinen Ruf als Fantasy-Klassiker vollkommen zu Recht hat.
Mindestens ebenso faszinierend ist im Vergleich dann die deutsche Fassung aus dem Jahr 1933, die als DIE FABEL VON KING KONG – EIN AMERIKANISCHER TRICK- UND SENSATIONSFILM im Dezember 1933 einem sicher staunenden deutschen Publikum vorgeführt wurde. Das Ereignis beginnt damit, dass den Zuschauern erklärt wird, dass es sich hier um eine erfundene Geschichte handelt, und nicht um einen Tatsachenbericht, weswegen der Film ja auch als TRICK- UND SENSATIONSFILM bezeichnet wird. Wäre jemals jemand auf die Idee gekommen, METROPOLIS als Trick- und Sensationsfilm zu bezeichnen? Oder DR. MABUSE? Allein dieser Umstand gibt großen Anlass zum Staunen, genauso wie die dann folgende Tour de Force durch die Höhepunkte des wüst zerschnittenen Originals. 28 Minuten fehlen im Vergleich zur US-amerikanischen Fassung, darunter die gesamte Einführung der Personen, viele sexuell aufgeladenen Szenen, und interessanterweise auch die schlimmsten Brutalitäten. So ist der Überfall King Kongs auf das Eingeborenendorf um einiges weniger grausam dargestellt, weil das direkte Töten der Menschen fehlt, genauso wie etwa die Frau in New York zwar aus ihrem Bett gezerrt wird, Kong sie aber niemals loslässt und sie dementsprechend auch nicht in die Tiefe stürzt. Die Figuren wirken durch die fehlende Einführung zwar etwas flach, aber als reine Nummernrevue mit den Highlights des eigentlichen Films, und somit reduziert auf seine Qualitäten als reiner Actioner, funktionier FABEL erstaunlich gut, und interlässt auch heute noch einen atemlosen und staunenden Zuschauer. Wie die 8mm-Fassung eines langen Kinofilms …
Bei der Sichtung dieser Fassung mit der Originalsynchronisation von 1933 hatte ich erstaunlicherweise Probleme, den Film als amerikanischen Film wahrzunehmen. Die oft aggressiven Stimmen passen erstklassig zum Benehmen der weißen Herrenmenschen, und gerade in der ersten Hälfte im Dschungel musste ich mich oft erst daran erinnern, dass dies kein deutscher Film ist, der die Überlegenheit der arischen Rasse darstellen soll. Von dieser Kurzfassung mit diesen speziellen Stimmen geht ein sehr eigenartiges Flair aus, ein Flair wie aus einem NS-Propagandafilm, der uns zeigen will, wie deutsche Abenteurer wilde Eingeborene und urtümliche Monster gegen alle Widerstände besiegen.
Aber alles in allem bin ich froh, dass ich diesen Film in dieser erstklassigen Qualität sehen durfte! Zurück blieb ein zutiefst beeindruckter und atemloser Maulwurf, der sich sehr wünscht, dieses Epos einmal auf der ganz großen Leinwand erleben zu dürfen.