Vor der Zeit des Effektkinos mit seinen phantastischen Schauwerten vergnügten sich die Menschen auf andere Weise: Sie gingen auf Jahrmärkte und begafften behaarte Frauen, siamesische Zwillinge und den Elefantenmenschen. Schausteller priesen armselige Kreaturen an, um die schnelle Mark zu verdienen – das Schicksal der Kreaturen war ihnen dabei herzlich egal.
„King Kong“ brüllt uns schon im Vorspann an: DAS ACHTE WELTWUNDER! Ein „Sensationsfilm“, wie der dümmliche deutsche Kinotitel damals verlautbarte. Und tatsächlich: Dieser Film ist sensationell, in jeder Hinsicht.
Der geltungssüchtige Semidokumentarfilmer Denham will zu einer entlegenen Insel reisen, um den legendenumwobenen Riesenaffen Kong zu fotografieren. Dazu sucht er eine hübsche Frau, um „Die Schöne und das Biest“ perfekt in Szene setzen zu können. Er findet die unbedarfte blonde Unschuld Ann Darrow (herrlich hilflos dargestellt von Fay Wray) und macht sich mit seiner Crew auf den Weg. Auf der Insel kidnappen die Eingeborenen die Frau und setzen sie ihrem Gott Kong vor. Der springt auf die Blondine gleich an und entführt sie. Die Schiffs- und Filmcrew nehmen ihn jedoch nachher gefangen und bringen ihn nach Amerika, um ihn dort einem staunenden Publikum vorzuführen.
Natürlich steht hier König Kong im Vordergrund. Nach knapp der Hälfte des Films sehen wir ihn zum ersten Mal – und selbst nach einem Dreivierteljahrhundert ist der Anblick atemberaubend: Im wahrsten Sinne des Wortes großartig animiert und perfekt in den Film (mittels Rückprojektion) hineinkopiert, verbreitet er Furcht und Schrecken. Die bahnbrechende und noch jahrzehntelange Standardtechnik der Stop Motion wurde hier bereits genial eingesetzt. Kein Wunder – ein Lehrer des legendären Ray Harryhausen, Willis O’Brien, zeichnete verantwortlich. Auch die vielen auftretenden Saurier wurden so animiert. Geübt hatte O’Brien dafür einige Jahre zuvor schon bei der –ebenfalls superben– Verfilmung von Doyles „Lost World“. Durch die Stop Motion wirken die Dinos unwirklicher als die flüssig und natürlich wesentlich realistischer animierten CGI-Echsen von heute. Aber gerade das lässt sie auch so unheimlich, so fremd und gefährlich für unsere bekannte Existenz erscheinen. Dass bei „King Kong“ dummerweise gerade pflanzenfressende Dinosaurierarten auf Menschenjagd gehen, tut dem Vergnügen daran keinen Abbruch.
Aber nicht die Dinos, sondern Kong steht im Mittelpunkt. Er ist der Herrscher der Insel, keiner kann ihm was. Die weiße Frau aber hat es ihm angetan: So ungewöhnlich vom Aussehen, so anders und zerbrechlich weckt sie seinen Beschützerinstinkt - ja, er liebt sie. Die Story auf der Insel folgt jetzt immer dem gleichen Schema: Ein böses Urzeit-Monstrum kommt, bedroht die Frau, Kong macht kurzen Prozess mit ihm und klopft sich die Brust. Der Kampf gegen den Tyrannosaurus Rex ist der Höhepunkt an Tricktechnik, den der Film zu bieten hat. So etwas hat der Zuschauer bis dahin noch nicht gesehen, seine Schaulust wird rundum befriedigt.
Der Film reiht nach dem Auftritt von Kong eine spannende Szene an die andere, es bleibt keine Zeit zu verschnaufen und sich in Sicherheit zu wiegen. Und es wird noch getoppt, nach bewährtem Muster: Genau wie in „Lost World“ von 1925 wüten die Monster zunächst auf einer fernen Insel, um zum Finale das größte Monster auf die Großstadt, gewissermaßen ganz in unserer Nähe, loszulassen. Steven Spielberg hat in seinem zweiten „Jurassic Park“ dieses Muster in einer eigenen Hommage neu aufgelegt. (Nebenbei: Diverse Logiklücken der Geschichte mögen als genretypisch großzügig übersehen werden...)
„King Kong“ war der erste Tonfilm, der nicht nur während des Vor- und Abspanns, sondern auch während der Handlung Musik spielte – was auf Anhieb hervorragend funktionierte, denn die Musik passt genau. Auch die Schauspieler sind treffsicher gewählt, neben Fay Wray allen voran Robert Armstrong als rücksichtsloser Filmemacher Denham und Bruce Cabot als Held und Liebhaber für Ann. Dass die Dialoge –zumal in der deutschen Synchronisation– zum Teil arg hölzern und unfreiwillig komisch wirken, soll hier nicht weiter vertieft werden...
Kong wird von der Crew nach New York gebracht. Der Filmemacher wittert das große Geld, moralische Grundsätze waren ihm eh stets völlig egal. Schon zu Beginn setzt er die Frau ohne Wimpernzuckern aufs Schiff, ohne sie über seine wahren Absichten aufzuklären. Später will er sie als Lockvogel für Kong einsetzen. Was kümmert ihn also ein Riesenaffe, solch ein abscheuliches Monstrum? In New York wird Kong einem gespannten Theaterpublikum vorgeführt. In Ketten gefesselt, steht Kong allein auf der Bühne, wird unter gnadenlosem Blitzlicht fotografiert und von Hunderten Augenpaaren begafft. Angekündigt wird er als achtes Weltwunder – jetzt wird dem Filmzuschauer endgültig der Spiegel vorgesetzt: Ja, auch er ist voyeuristisch und sensationsgeil und will seinem grauen Alltag für den reinen Schauwert entgehen.
Und genau an dieser Stelle gelingt dem Film das eigentlich Sensationelle: Schlagartig empfindet der Zuschauer Mitleid. Nein, nicht mit den Menschen, die Kong nach seinem nun folgenden Ausbruch niedertrampelt. Sondern mit Kong selbst. Die Tricktechniker haben es geschafft, seine Augen melancholisch erscheinen zu lassen, wenn er die Frau anblickt, seine gewaltigen Pranken können liebevoll und zärtlich sein. Und jetzt ist er, einst King auf seiner Insel, in der totalen Fremde, völlig allein. Während die Eingeborenen auf der Insel ihn respektierten, ihn vergötterten, ist er für die angeblich so zivilisierten Menschen unserer Welt nur ein weiteres Schauobjekt, ohne eigenes Lebensrecht, ohne Anspruch auf seine Gefühle.
Und obwohl er das Monstrum ist, freut man sich über seinen Ausbruch jetzt, über die Eroberung des damals höchsten vom Menschen erbauten Punktes Amerikas, des Empire State Building. Dort oben zeigt sich seine, ja, Menschlichkeit, als er die angebetete Frau freilässt, um dann ohne große Gegenwehr verzweifelt in den Tod zu stürzen.
Man kann vielleicht noch weitergehen: Macht Liebe nicht tatsächlich so verletzlich, wie im Film immer wieder insistiert wird? Ist „King Kong“ gar eine Parabel auf den Rassismus des Weißen gegenüber dem Schwarzen, auf seine Angst, die weiße Frau müsse vor diesem beschützt werden (der heutige deutsche Titel deutet es ja an)? Man muss nicht so weit gehen. Aber diese Gedanken zeigen, wie sehr es mit „King Kong“ gelungen ist, einem Monster aus der Trickkiste wahre Menschlichkeit einzuflößen. Daran wird kein Sequel und kein Remake je etwas ändern können.
8 von 10 Punkten.