„Schokolade zum Mord"
Brenda Lee Johnson ist süchtig. Für einen Deputy Chief des LAPD nicht gerade die beste Referenz. Glücklicherweise handelt es sich bei ihrer Abhängigkeit lediglich um ein unstillbares Verlangen nach Süßigkeiten aller Art. Besonders in Stresssituationen wird der schnöde Schokoriegel oder der gemeine Muffin zur Bewältigungsdroge Nr.1. Und Stress hat Brenda reichlich.
Ihre Versetzung von Atlanta zum LAPD löst unter den Ordnungshütern der Stadt der Engel nämlich nicht gerade Begeisterungsstürme aus. Ganz im Gegenteil. Dass ausgerechnet eine Frau und - noch dazu aus dem Süden - den hoch gehandelten und heiß begehrten Chefposten der neu gegründeten Priority Homicide Division übernehmen soll, ist nicht wenigen der zukünftigen Kollegen ein pfahlgroßer Dorn im Auge. Vor allem in der bisherigen Nr.2 Commander Russel Taylor hat sie von Beginn an einen intriganten Intimfeind, schließlich hat er es sich zumindest mental schon auf dem ersehnten Chief-Sessel gemütlich gemacht. Assistant Chief Will Pope, der Brenda von früher kennt und für die Leitung der neuen Spezialeinheit empfohlen hat, beginnt sich bereits zu fragen, ob er sich besser nicht an die ermittlerischen Fähigkeiten seiner ehemaligen Geliebten erinnert hätte.
Diese Konfliktbeladene Ausgangsituation bildet das Grundgerüst für eine der besten und pfiffigsten Cop-Serien der letzten Jahre: The Closer (steht im US-amerikanischen Polizeijargon für jemanden, der einen Fall abschließt). Im Vordergrund stehen häufig nicht die clever erdachten Mordfälle, sondern die unkonventionellen Methoden Brenda Lee Johnsons bei deren Aufklärung.
Ein besonderer Reiz liegt im Canyongroßen Kontrast zwischen Brendas privater Schusseligkeit und Exzentrik und ihrer enormen Erfolgsquote bei der Lösung selbst der kniffligsten Fälle. So muss sich der neu ernannte Deputy Chief stets von Sergeant Gabriel zum Tatort chauffieren lassen, da ihr Orientierungssinn mit LAs Straßenwirrwarr heillos überfordert ist. Dazu gesellt sich eine Einparktechnik, die auf häufigen Kontakt mit benachbarten Stoßstangen beruht. In Brendas Heim - wie auch auf ihrem Schreibtisch - wird die Chaostheorie täglich aufs Neue auf ihre Stichhaltigkeit überprüft. Bei ihrer Ermittlungsarbeit glänzt sie dagegen mit messerscharfem Verstand, außerordentlichen kombinatorischen Fähigkeiten sowie einer psychologisch äußerst raffinierten und knallharten Verhörtechnik. Stets trifft sie den richtigen Ton um den Tatverdächtigen je nach Situation und Bedarf einzulullen, einzuschüchtern oder auf irgendeine andere Weise zum Sprechen zu bringen.
Ihr Team - bestehend aus dem immer korrekten Sergeant Gabriel (Corey Reynolds), dem nie um einen respektlosen Spruch verlegenen Detective Lieutenant Provenza (G.W. Bailey), dem leicht aufbrausenden mexikanisch-stämmigen Detective Sanchez (Raymond Cruz) und der wandelnden Datenbank Detective Lieutenant Tao (Michael Paul Chan) - steht der unkonventionellen Chefin zunächst äußerst reserviert gegenüber. Eher widerwillig rafft man sich zur Zusammenarbeit auf und erledigt nur das Nötigste. Mit dem zunächst unbeliebten Detective Lieutenant Flynn (Anthony John Denison) platziert der düpierte Beinahe-Chef Commander Taylor (Robert Gossett) einen Spitzel in Brendas Abteilung, der immer wieder für Störfeuer sorgt.
Erst nach einigen Fällen (an)erkennen die Beamten die außergewöhnlichen Fähigkeiten ihrer Chefin und lernen insbesondere ihre bedingungslose Loyalität zur eigenen Mannschaft schätzen. Aus anfänglicher Abneigung entsteht zunächst Respekt und gegen Ende der Staffel sogar Sympathie. Sehr zum Leidwesen des immer wieder von Brenda ausgetricksten Taylor läuft sogar sein Protege Flynn ins feindliche Lager über.
Assistant Chief Will Pope (Peter „Spiderman" Parkers Verleger J.K. Simmons in einer weiteren Paraderolle) sitzt derweil zwischen allen Stühlen. Brendas ausgeprägtes Autoritätsproblem lässt sie selbst an runden Tischen anecken, dazu gesellen sich Taylors mehr oder weniger clevere Intrigen gegen die lästige Rivalin, so dass Pope permanent zwischen verständigem Vermittler und einem Diskussionsbeendenden Machtwort sprechenden Polizeiboss hin und her lavieren muss. Ihre gemeinsame Vergangenheit (Pope hat Brenda wegen seiner aktuellen Frau verlassen) sowie Popes wenig harmonische zweite Ehe machen die Situation nicht unbedingt entspannter. Zumal Popes zarte Versuche die alte Flamme wieder zum Lodern zu bringen mit Brendas aufkeimender Liebesbeziehung zum früheren Kollegen und jetzigem FBI-Mann Fritz Howard (Jon Tenney) kollidieren.
Es sind vor allem diese verschachtelten Figurenkonstellationen die neben den liebevoll ausgearbeiteten Charakteren den enormen Unterhaltungswert der Serie ausmachen. Es gibt allerlei peinliche wie skurrile Situationen, die trotz der ernsten Grundthematik immer wieder für befreiende Komik und witzige Einlagen sorgen. Abgerundet durch geschliffene und pointenreiche Dialoge ragt The Closer Turmhoch aus dem Einheitsbrei verwandter Serienkost.
Das gilt auch für die zu lösenden Mordfälle. Häufig streifen die intelligent geschriebenen Plots vor allem für den Großraum Los Angeles typische, gesellschaftspolitische heiße Eisen wie Gangkriminalität, illegale Einwanderer oder die Rassenproblematik. Der multikulturelle Anstrich der kalifornischen Metropole zieht sich auch quer durch Brendas Truppe. Sergeant Gabriel ist Afroamerikaner, Lt. Tao hat chinesische Wurzeln und Detective Sanchez kommt aus Mittelamerika.
Die Diskrepanz zwischen öffentlichem und privatem Rechtsverständnis bzw. - empfinden ist ein Subthema zahlreicher Episoden. Die scheinbar simple Frage nach „Gut und Böse" erhält trotz 100-prozentiger Erfolgsquote der Priority Homicide Division ein ums andere Mal eine eher unbefriedigende Antwort. Überhaupt ist das komplexe Geflecht zwischen Ethik, Moral, Recht und Unrecht ein dauerhafter Subplot. Nicht selten wird die (oft verlogene) Fassade der heilen amerikanischen Familienidylle schonungslos demontiert.
Erster Garant für den lang anhaltenden Erfolg (Season 5 ist bereits abgedreht) ist aber Hauptdarstellerin Kyra Sedgwick. Die Ehefrau von Schauspielkollege Kevin Bacon gibt eine famose Vorstellung als spleenige Sonderermittlerin. Brenda Lee Johnson ist ein äußerst vielschichtiger Charakter, der vor allem durch seine zahlreichen Widersprüche nicht einfach zu spielen ist. Sedgwick gelingt es allerdings wunderbar, sowohl die chaotische wie auch die toughe Seite ihrer Figur auf überzeugende und charmante Art ans Publikum zu bringen. Zwei Golden Globes in Folge für die beste Hauptdarstellerin (2006 und 2007) waren bisher der verdiente Lohn.
Fazit:
The Closer ist eine intelligent geschriebene und flott erzählte Copserie um eine Sondereinheit des LAPD unter der Leitung einer unkonventionellen Chefin. Scharfzüngige Dialoge, clever konstruierte, gesellschaftspolitisch brisante und ethisch-moralisch aufgeladene Mordfälle sowie eine für allerlei Komik sorgende, konfliktträchtige Figurenkonstellation stehen für überdurchschnittliche Krimiunterhaltung vom Feinsten. Hauptdarstellerin Kyra Sedgwick liefert eine Galavorstellung als privat schusselig-exzentrische, aber beruflich stets brillante und knallharte Ermittlungsbeamtin Brenda Lee Johnson.