"Salvador" ist nicht nur einer der wenigen Filme, die sich kritisch mit den politischen Vorgängen in Mittel- und Südamerika der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts beschäftigten, sondern auch exemplarisch für Oliver Stones Stil, ein solches Thema anzupacken. Ähnlich wie in Costa-Cavras "Vermisst" ,der wenige Jahre zuvor entstand und der den militärischen Putsch in Chile behandelte, steht auch hier ein eher unbedarfter us-amerikanischer Bürger im Mittelpunkt, der mehr oder weniger zufällig in das entstehende Chaos eines Bürgerkriegs hinein stolpert. Vergleichbar zu Costa-Cavras Werk ist auch der autobiografische Hintergrund, da "Salvador" auf den Tatsachenbericht des Fotoreporters Richard Boyle fusst, der neben Stone am Drehbuch mitwirkte.
Trotz dieser Voraussetzungen und der sehr zeitnahen Umsetzung stand Stones Werk von Beginn in der Kritik, die "Salvador" wahlweise als polemisch, plakativ, blutrünstig oder in ihrer Konzentration auf den von James Woods gespielten Boyle sogar verharmlosend bezeichnete. Aus heutiger Sicht sind die Parallelen in der kritischen Auseinandersetzung bis zu Stones "World Trade Center" mehr als offensichtlich. Wie bei Costa-Cavras "Vermisst" und weiteren Filme des Polit-Genres ("Ein Jahr in der Hölle") wird der Versuch, an Hand einer privaten Geschichte einen realen politischen Hintergrund mit populären erzählerischen Mitteln begreifbar zu machen, die seriöse Intention abgesprochen. So als wenn die hier geschilderten Fakten nur bei einer objektiven, dokumentarisch gefärbten Erzählweise richtig wären...
Richard Boyles Weg in das kleine mittelamerikanische Land ist eine Flucht in die eigene Vergangenheit, denn hier erhofft er sich eine letzte Chance, aus seinem beruflichen und privaten Niedergang herauszukommen. Stone gelingt es - auch dank Woods hervorragender Performance - in wenigen Minuten das Bild eines Mannes zu zeichnen, der seine tiefe innere Verunsicherung nur noch mit seiner großen Klappe überspielen kann. Doch inzwischen hat er schon so lange jedes Verantwortungsgefühl vermissen lassen und seine unmittelbare Umgebung betrogen, dass ihm außer seinem Freund Doctor Rock (James Belushi), dessen Leben ähnlich desaströs verläuft, keiner mehr seinen Worten glaubt. Seine Frau verlässt ihn mit dem gemeinsamen Kind und seine ehemaligen Auftraggeber haben keine Lust mehr, ihn als Reporter zu beschäftigen.
Nur in Salvador, wo er vor zehn Jahren erfolgreich war, verfügt er noch über Reste von Beziehungen, nicht zuletzt zu Maria (Elpidia Carrillo), seiner früheren Geliebten. Woods gelingt überzeugend die Darstellung eines Mannes, der über viel Charme und soziales Einfühlungsvermögen verfügt, der diese Fähigkeiten aber meist nur dazu nutzt, seine Mitmenschen, die ihn offensichtlich mögen, auszunutzen. Auch in Salvador verlässt er seine Linie nicht, sich auf Kosten anderer durchzulavieren. Nicht nur, dass er seinen besten Freund Doctor Rock gleich bei der ersten Patroille fälschlich verrät (was keine Folgen hat), sondern er lügt ihn auch an, indem er den "Ausflug" nach Salvador als Ferienreise tarnt und dieser somit mittellos in dem kleinen Land festsitzt.
An Belushis Spiel und seiner Haltung zu Boyle ist auch unsere Identifikation zum Hauptdarsteller abzulesen. Trotz der offensichtlichen charakterlichen Schwächen, mag man Woods die Sympathie nicht entziehen, denn man spürt, dass er kein schlechter Kerl ist, sondern sich vor allem selbst im Weg steht. Doch gerade diese überzeugende Charakterisierung im Zusammenspiel mit dem sehr guten Belushi, der seine innere Verlorenheit hinter einer ruhigen Gutmütigkeit tarnt, scheint der politischen Intention des Films zu schaden. Woods zieht fast alle Aufmerksamkeit auf sich und seine hektische Betriebsamkeit drückt dem Film seinen Stempel auf.
Stone verzichtete 1986 noch auf graphische Tricks und verwendete die Handkamera nur bei Straßenszenen, doch durch sein erzählerisches Tempo entsteht ein Gefühl der ständigen Unruhe. Kaum einmal verweilt der Film in einer ruhigen Szene, immer wieder wird die Handlung unterbrochen von plötzlichen Ereignissen, von Kampfhandlungen oder Gefühlsausbrüchen. In diesem Wirrwarr macht Boyle selten eine gute Figur, denn trotz seines nach wie vor selbstbewußten Auftretens, ist er nie Herr der Lage. Ganz im Gegenteil zu den militärischen Machthabern, die von Stone mit arroganter Miene und betont ruhigem Gestus gezeigt werden und deren Reaktion immer unterschwellig bleibt, indem sie ihre Befehle zu diversen Meuchelmorden im Hintergrund erteilen.
So wird auch der Mord an Erzbischof Romero inszeniert, der letztendlich der Auslöser für den Bürgerkrieg und die Machtübernahme der Militärs wurde. Stone zeigt uns eine Versammlung ,in der der Präsidentschaftskandidat Major Max den Befehl zum Mord gibt und den Attentäter dafür aussucht. Während er eine Wahlrede hält, in der er seine Nähe zur Kirche betont, wird der Mord ausgeführt. Das entstehenden Chaos nutzt Max dazu, vor einer ausgewählten Journalistenschaft seine Machtübernahme damit zu begründen, Salvador zu einem ruhigen, sicheren und wirtschaftlich prosperierenden Land führen zu wollen. Doch die Opposition ruht nicht und versammelt sich in den Bergen zu einem militärischen Gegenschlag...
Stone gibt sich nur wenig Mühe, historisch exakte Abläufe bis zu Romeros Ermordung zu schildern und ohne Vorkenntnisse ist es nicht leicht nachzuvollziehen, welche Partei hier welche Interessen verfolgt. Deutlich sind die Parallelen in seinem Stil zu "World Trade Center" zu erkennen, denn Stone macht aus einem subjektiven Standpunkt heraus Stimmung. Ihm geht es nicht um einen überlegenen Gesichtspunkt, der die verschiedenen Interessen und Verknüpfungen nachvollziehbar werden lässt, sondern er will polarisieren.
Er blendet Ronald Reagans Rede ein, in der dieser die roten Horden Süd- und Mittelamerikas schon in der Wallstreet aufmarschieren sieht, er zeigt amerikanisches Militär, Geheimdienstler und Botschafter, die nur daran arbeiten, dass die Interessen der USA gewahrt werden und amerikanische Journalisten, die willfährige Berichte abliefern. Und mittendrin immer Boyle, der hin und her schwankt zwischen Anpassung und der eigenen Meinung, die geprägt wird von den unzähligen alltäglichen Morden, nicht zuletzt der drastisch von Stone gezeigten Vergewaltigung und Tötung an vier amerikanischen Nonnen.
Der Vorwurf der Polemik, Einseitigkeit und nicht korrekten historischen Schilderung ist gerechtfertigt, aber diese Stilmittel werden so angewendet, dass Stone auch heute noch das Bild eines Landes vermittelt, das in seinem völligen Chaos keine Sicherheit mehr für seine Bürger bieten kann. Gerade Boyles Situation macht das besonders deutlich, denn er ist dann am stärksten, wenn er sich am meisten erniedrigt. Wenn man ihn zum Schluß in lächerlicher Aufmachung mit dem Werbe-Basecap und T-Shirt des militärischen Machthabers in trauter Runde mit dessen Anhängern sieht, wirkt das wie ein Symbol für die unmenschliche Degradierung, die ein solches System seinen Bürgern aufzwingt.
Aus heutiger Sicht weiß man, dass die meisten hier von Stone behaupteten Abläufe - gerade hinsichtlich der Einmischung des amerikanischen Geheimdienstes - stimmen, aber wichtiger und bis heute zeitlos ist die dargestellte Atmosphäre eines Landes, indem die Bürgerrechte verloren gegangen sind. Die dauernde Unruhe und Hektik sind dabei das geeignete Stilmittel, um Kritiken an einer Verharmlosung oder blutrünstigen Action verstummen zu lassen, denn erst dadurch überträgt sich die Anstrengung auf den Zuschauer und lässt keinen Augenblick zu, das Geschehen aus einer ruhigen Warte heraus zu betrachten.
Vielleicht hat das der Popularität des Films geschadet, denn "Salvador" ist in Vergessenheit geraten und bisher nicht auf DVD in Deutsch erschienen, aber gleichzeitig ist diese Unbequemlichkeit seine größte Stärke (9/10).