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„Ich schwör‘s bei meiner Mutter, nicht nur bei meiner Mutter – bei Jesus Christus!“

US-Ausnahmeregisseur Martin Scorseses dritter abendfüllender Spielfilm nach „Wer klopft denn da an meine Tür?“ und „Boxcar Bertha“, der im Jahre 1973 veröffentlichte „Hexenkessel“, markiert seine erste Zusammenarbeit mit Robert De Niro („Grüße“), seine zweite mit seinem früheren Stammmimen Harvey Keitel („Alice lebt hier nicht mehr“) und ist zudem seiner erster – wenn man es so nennen will – Mafiafilm. Er wurde zu seinem ersten wirklichen kommerziellen Erfolg und fand viel künstlerische Anerkennung.

„Was ist ein Moog?“

New York, „Little Italy“ in den 1960ern: Mafioso Charlie (Harvey Keitel) arbeitet für seinen Onkel Giovanni (Cesare Danova, „Che!“), ist mit der epilepsiekranken Teresa (Amy Robinson, „A Brand New Life“) liiert (was er allerdings geheimhält) und greift immer wieder seinem Cousin Johnny Boy (Robert De Niro), einem wahren Tunichtgut, unter die Arme, seit ihm dieser einst selbst aus der Patche geholfen hatte. Dies gestaltet sich nicht immer einfach, denn Johnny Boy ist aufgrund seines Lebens auf großem Fuße und seiner Spielsucht bei Gott und der Welt verschuldet. Leider sieht Charlie dadurch auch zunehmend sein Langzeitprojekt gefährdet, nämlich die Übernahme und Leitung eines Restaurants seines Onkels, der weder von Teresa noch von Johnny Boy sonderlich viel hält. Die Situation spitzt sich zu, als Charlies Freund Michael (Richard Romanus, „Walk the Walk“) es leid ist, von Johnny Boy länger hingehalten zu werden, und endlich sein Geld zurückhaben will…

„Be My Little Baby“ als Titelsong sorgt direkt für zeitliche Einordnung, dazu laufen Super-8-Aufnahmen Charlies. Auf einem Kneipenklo setzt sich jemand einen Schuss. „Hexenkessel“ spielt in Little Italy, wo Scorsese selbst aufgewachsen ist, weshalb der Film autobiografische Züge tragen dürfte – und weshalb diese Figuren, die mittels Namenseinblendungen vorgestellt werden, Scorsese so sehr liegen. In seinem ersten Mafiafilm zwischen dem Dreck New Yorks lässt er Charlies innere Monologe erklingen, damit vielleicht auch andere Zugang zu diesen Figuren finden, sie ein Stück weit verstehen lernen. In einem Billardsalon entbrennt eine wüste Schlägerei, gegen die (korrupte) Polizei wird dann aber zusammengehalten. Das hat viel Komik, veranschaulicht aber die Geisteshaltung innerhalb dieses Milieus. Auch der Rassismus gegen Schwarze wird zuweilen angerissen.

Allgegenwärtiges Dauerproblem ist es jedoch, dass Johnny Boy seine Schulden nicht zahlt. Dies wird häppchenweise bzw. episodenhaft immer wieder eingestreut, während als horizontale Handlung Charlies Übernahme des Restaurants dient. Scorsese nimmt sich Zeit, bis er den Konflikt Johnny Boy versus Michael in den Fokus rückt. Dabei verfügt „Hexenkessel“ über keine wirklichen Sympathieträger und wirkt dramaturgisch zunehmend ziellos. Offenbar war Scorsese mehr daran gelegen, ein Milieu- und Sittenbild zu zeichnen, statt auf eine bestimmte Pointe zuzusteuern. Hierfür arbeitet er mit Zeitlupen, sehr dominanter Musik und einer wunderbar kreativen Kameraführung. De Niro als Johnny Boy lispelt, Amy Robinson als Teresa lässt alle Hüllen fallen und wenn mich nicht alles täuscht, schaut man sich im Kino Roger Cormans „Schwarze Geschichten“ an.

„Hexenkessel“ ist allein schon aufgrund seines Ensembles ein filmhistorischer Meilenstein und tatsächlich bereitet dessen Zusammenspiel einige Freude. Diese Milieustudie mit einer spannenderen oder berührenderen Geschichte zu kombinieren, wäre die Königsdisziplin gewesen, deren Beherrschen Scorsese später mehrfach unter Beweis stellen sollte. Aber so oder so: Sehenswert!

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