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„Sein Geist muss uns erhalten bleiben!“

„Woodoo Baby - Insel der Leidenschaft“, erschienen 1980, ist ein weiterer Sexploitater, den der damals vielbeschäftigte italienische Filmemacher Joe D’Amato („Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf“) in der Karibik, genauer: der Dominikanischen Republik drehte und für den er etwas expliziter zu Werke ging als noch zuvor für „Papaya – Die Liebesgöttin der Cannibalen“.

„Es ist nun mal so Brauch!“

Der weiße Anthropologe Paul (Richard Harrison, „Provinz ohne Gesetz“) reist mit seiner Ehefrau Helen (Nieves Navarro alias Susan Scott, „Nackt unter Kannibalen“) auf eine karibische Insel, um die Bräuche und Rituale der indigenen Bevölkerung zu erforschen. Helen findet das jedoch sterbenslangweilig. Da sie zudem auch keine rechte Befriedigung mehr verspürt, wenn sie Sex mit Paul hat, reißt sie sich die hübsche junge Einheimische Haini (Lucia Ramirez, „Porno Holocaust“) auf, die sie in die Welt der gleichgeschlechtlichen körperlichen Liebe einführt. Haini hat gerade ihren Vater zu Grabe getragen und verfällt der weltgewandten Helen schnell. Helen nimmt ihren Schützling mit in die gemeinsame Wohnung in der Großstadt. Das geht jedoch nur so lange gut, bis Paul seine Forschungen unterbricht und hinter die Affäre der beiden kommt. Der Konflikt führt aber dazu, dass Helen und Paul sich aussprechen und einen Neuanfang ihrer Beziehung wagen. Haini ist von nun an überflüssig und wird zurück auf die Insel zu Ihresgleichen geschickt. Doch Haini sinnt mittels eines Voodoo-Rituals auf Rache…

„Ich brauche eben Sex!“

Im Prolog inszeniert D’Amato eine Totenzeremonie am Strand, bei der der Leichnam zeremoniell ausgeweidet wird und seine Innereien verspeist werden. Wie sich herausstellen wird, handelte es sich um Hainis Vater – und beim blonden Weißen, der sich das mitansehen durfte, um einen gewissen Henry, der die mit einem Flugzeug in der Stadt landenden Helen abholt und sie sogleich angräbt. Noch bevor Helen zu ihrem Mann auf die Insel übersetzt, spendiert D’Amato eine Duschszene, in der er die Kamera auf Helens Intimbereich halten lässt. Man erfährt, dass Paul unbedingt einen Sohn von Helen will, und anhand einer Sexszene, in der Helen betont steif wie ein Brett daliegt, wie sehr die Leidenschaft für Paul in Helen erloschen ist. Da macht sie es sich anschließend lieber selbst. Als sie am nächsten Tag auf einem Baumstamm am Ufer sitzt, lernt sie die exotische Schönheit Haini kennen und geht mit ihr in Zeitlupe im Meer planschen, unterlegt von einigen Funk-Rhythmen Stelvio Ciprianis, der ansonsten Buschtrommeln mit Synthesizer-Musik zu einem eigenartigen, aber bisweilen durchaus reizvollen Klang-Strandcocktail vermischt. Anthropologe Paul mit seinem dicken Schnäuzer sitzt derweil an der Schreibmaschine und ahnt von nichts.

„Frei sind nur die Primitiven!“

Bereits in der nächsten Szene ist Haini nackt und führt einen ekstatischen Sitztanz (!) vor Helen auf, bis sie erschöpft liegenbleibt. Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen: Eine Lesbenszene liegt in der Luft. Doch zunächst lädt Haini Helen zu einem Stammesritual ein, Helen revanchiert sich mit einer Einladung in die Großstadt. Damit Haini von zu Hause ausziehen und sich Helen anschließen darf, muss sie sich von ihrer Mutter schlagen und verstoßen lassen – so will es der Brauch. Nachdem auch die Formalie abgehakt wurde, geht’s gemeinsam Sehenswürdigkeiten abklappern. Haini lässt sich im Motorboot chauffieren und zieht sich aus, den Befummelungen des Fahrers entgeht sie durch einen beherzten Sprung ins Wasser. Es folgt eine Lesbenszene mit Annj Goren („Papaya - Die Liebesgöttin der Cannibalen“), die gleichzeitig Hainis und ihre eigene Muschi reibt und damit Helen eifersüchtig macht. Haini weiß daraufhin zu erklären, dass in ihrem Stamm alle Mädchen zunächst mit einer Frau Sex hätten…

Doch D’Amato spannt sein Publikum weiter auf die Folter: Helen lässt sich zunächst von Henry im pornös offenen rosa Hemd besteigen, den sie erfolgreich verführt. Daran schließt sich unmittelbar eine Masturbationsszene Hainis an. Nachdem Helen mit Henry fertig ist, schnappt sie sich den nächstbesten dunkelhaarigen Weißen aus einer Kneipe und treibt’s mit ihm. Kurioserweise lässt dieser dabei seine Jeans oben… Haini ist nun deutlich verstimmt, greift zum Messer und geht damit auf den Stecher los. Helen jedoch geht in letzter Sekunde dazwischen, vertreibt den Kerl und küsst Haini, woraufhin sie sich vor einer malerischen Strandkulisse endlich voll einander hingeben. Haini wohnt von nun an bei Helen, wo Paul sie schließlich eines Tages miteinander in flagranti erwischt. Der anschließende Konflikt mündet in einer fragwürdigen Szene, in der Paul beide Frauen beim Sex miteinander beobachtet und schließlich Haini vor Helens Augen vergewaltigt, bis Helen selbst mitmacht und ein Dreier daraus wird, der allen zu gefallen scheint. Beim anschließenden Masturbieren denkt Haini an einen Mann, visualisiert in Form eines nun expliziten Fellatio am Strand (mit Mark Shannon, anscheinend eine Szene aus dem „Porno Holocaust“-Dreh), was vermutlich ihre nun entdeckte Lust auf Männer symbolisieren soll. Doch zu allem Überfluss erfährt Helen auch noch, dass sie endlich schwanger ist, womit Haini nun endgültig raus ist und so schnell wie möglich verschwinden soll. Diese Sequenz bildet die Zäsur des Films. Sämtliche Charakterentwicklungen finden unfassbar lieblos und in überstürzter Geschwindigkeit statt, sodass nur allzu deutlich wird, wie wenig Interesse D’Amato an ihnen hatte.

Stattdessen filmt D’Amato eine Softsex-Szene Pauls und Helens, während Haini ein Voodoo-Ritual durchführt – natürlich nackt. Zusammen führt man Haini auf die Insel zurück, wo mit im Kreis joggenden, u.a. weißen Komparsen mehr schlecht als recht die rituelle Ermordung Pauls unblutig inszeniert wird, die Kamera hält also nicht drauf. Helen beißt nichts Böses ahnend in Pauls entnommenes Herz und erschrickt in Standbildern, als sie ihren toten Mann entdeckt – finito.

Bis auf die Fellatio-Fantasie und die eine oder andere Fingerei handelt es sich also auch bei „Woodoo Baby“ noch um einen Softsex-Streifen des späteren Porno-Regisseurs, der jedoch bereits stärker als – um dieses Beispiel noch einmal heranzuziehen – „Papaya“ auf die Sexszenen ausgerichtet ist und alles andere zu vernachlässigen droht. Damit ist „Woodoo Baby“ nicht Fisch, nicht Fleisch und bildet so etwas wie ein mutmaßlich schnell heruntergekurbeltes Übergangsprodukt zwischen D’Amatos (S)Exploitation-Filmen und seinen Hardcore-Streifen. Auch dramaturgisch ist der Film bisweilen ein hartes Brot, ein auf Zuschauergewohnheiten oder -erwartungen zugeschnittenes Timing scheint beim Schnitt nicht die Priorität gewesen sein. Die Schludrigkeiten bilden einen unschönen Kontrast zu einer Handlung, die als so etwas wie die Rache der Naturvölker an der sie ausbeutenden „Zivilisation“ verstanden werden kann und aus der doch um einiges mehr hätte gemacht werden können. Der Kannibalismus des Stamms, dem Haini angehört, ist indes ein plakatives Zugeständnis an den Horrorelemente von D’Amato erwartenden Markt und war in seiner im Endeffekt rassistischen Konnotation damals sicherlich nicht bewusst – ein typisches Klischee eben. Andererseits wurde es so etwas wie D’Amatos Markenzeichen, auch seine Erotikfilme mit mindestens einer im völligen Kontrast stehenden, verstörenden Szene zu versehen, und tatsächlich ist der Sex in „Woodoo Baby“ nicht immer eine sinnliche Erfahrung, sondern beispielsweise auch Konsumgut und Machtinstrument. Dumm nur, dass die interessanten zivilisationskritischen und auch psychologischen Ansätze im Schamhaargewusel und Gestöhne untergehen und der eigentlichen Geschichte schon fast nicht mehr als Alibicharakter zubilligen, wofür sie dann wiederum aber noch zu prominent und präsent ist.

Neben den Fernweh weckenden karibischen Kulissen ist aber insbesondere D’Amatos Entdeckung Lucia Ramirez ein echter Hingucker, die ein unberührt-jugendliches Äußeres mit exotischer Ausstrahlung und freizügiger Natürlichkeit vereint (eine echte Schauspielerin hingegen ist sie – im Gegensatz zu Navarro – nicht). Es sollte nicht ihr einziger Film mit D’Amato bleiben. Dazu später an anderer Stelle mehr, „Woodoo Baby“ reiht sich mit 4,5 von 10 rituellen Sitztänzen im knapp unterdurchschnittlichen Bereich ein.

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