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Da bekommt das Wort Nekrophilie eine ganz neue Bedeutung.
Zwölf Jahre nachdem Tim Burton Henry Selicks „The Nightmare Before Christmas“ basierend auf einem eigenen Buch produziert hat, schickt er zusammen mit Co-Regisseur Mike Johnson erneut einen wunderbar animierten Knetfilm mit einem unverkennbaren morbiden Charme ins Rennen und zeigt, zusammen mit dem zufällig parallel laufenden ersten “Wallace & Gromit“-Langfilm, dass dieses Genre bzw. diese Technik noch lange nicht eingestaubt oder gar tot ist. Wobei tot wiederum sehr gut zu diesem Film passt.
Victor Van Dort (Johnny Depp in seiner bereits fünften Hauptrolle in einem Burton-Film) soll mit Victoria (wie passend) Everglot (Emily Watson) verheiratet werden. Es ist eine arrangierte Hochzeit, die beiden kennen sich nicht einmal. Doch schon bei der Hochzeitsprobe kriegt der schüchterne und nervöse Victor seinen Text nicht zusammen, was dem Priester (Hochwürden Christopher Lee) nach drei Stunden so dermaßen auf die Nerven geht, dass er ihn wutentbrannt zum Lernen wegjagt. Der eingeschüchterte Victor rennt in den naheliegenden Wald und sagt immer wieder die Verse auf, bis er sie perfekt beherrscht und einem vermeintlichen Ast voller Freude den Ehering anlegt. Der Ast entpuppt sich allerdings als Finger einer nur teilweise vergrabenen Leiche (Helena Bonham Carter), die das Eheversprechen ziemlich persönlich nimmt. Was sich entwickelt ist eine unangenehme Dreiecksbeziehung zwischen dem verwirrten Victor, Victoria und Emily, der Leiche mit der tragischen Vergangenheit.
Bevor ich überhaupt irgendwas zur Handlung sage, Burtons Design ist atemberaubend. Die Figuren sind unglaublich liebevoll und detailgetreu ausgearbeitet, dass ihre PC-Konkurrenten sich wirklich warm anziehen sollten. Das gleiche gilt für die detailverliebten Sets und selbstverständlich für die ganze Animation, denn was wären die schönsten Figuren, wenn sie sich nicht bewegten. Es ist die reinste Freude zu sehen, wie Burton sich hier austobt, vor allem in der Totenwelt mit dem zwergwüchsigen General Bonesapart, dem französischen Kellner, der eigentlich nur noch ein abgetrennter von Käfern transportierter Kopf ist, die glubschäugige Made, die Peter Lorre nachempfunden wurde, der senile Älteste mit der offenen Schädeldecke oder auch der Durchtrennte. Aber auch oberhalb des Erdbodens gibt es großartige Figuren zu bestaunen: der verschrobene Priester oder die schrulligen Eltern der zu Verheiratenden zum Beispiel. Das Ganze wird verpackt in die typisch skurrile Atmosphäre mit Krähen, Spinnen, Spiralen, finsteren Wäldern, schiefen Winkeln und einem bizarren Gag, der den nächsten jagt, unterstrichenen von der pompös-schaurigen Musik von Danny Elfman.
Einen ebensolchen Charme wie die Atmosphäre und die Optik kann auch die Handlung versprühen mit ihren sympathischen Hauptfiguren, den Geisterlegenden und sogar einem Zombieaufmarsch, der überaus friedlich und versöhnlich ausfällt. Es ist eine sehr klassische Geschichte über Selbstfindung und die Suche nach der wahren Liebe, wobei hier gekonnt mit gängigen Konventionen gespielt wird und manche Klauseln nur allzu genau genommen werden. So können Emily und Victor eigentlich gar nicht verheiratet sein, denn die Trauung gelte nur, bis dass der Tod sie scheide, und der sei schließlich schon eingetroffen. Und die Toten finden es äußerst gruselig, der Welt der Lebenden einen Besuch abzustatten. Wie fast alles von Burton macht auch dieser Film unheimlich viel Spaß, wobei die Effekte und Gags hier sogar noch ein ganzes Stück morbider ausfallen als seinerzeit in „Nightmare“. Ob es daran liegt, dass hier keine Produktionsfirma namens Disney dahinter steckt, weiß ich nicht, aber es gibt im Totenreich allerlei Kreaturen zu bewundern, deren Gliedmaßen nicht unbedingt immer am rechten Fleck sitzen oder die recht scharfe Schneidewerkzeuge an ziemlich ungünstigen Stellen (also nicht im Messerblock) stecken haben, was nicht heißt, dass der Film für Kinder ungeeignet wäre, denn natürlich ist alles mit dem gewissen Augenzwinkern inszeniert. Und gewisse Details sind einfach toll, wenn beispielsweise einem der Pioniere der Stop-Motion-Technik ein kleines Denkmal gesetzt wird, indem nämlich der Hersteller des Flügels laut Aufschrift Harryhausen heißt.
Am wenigsten überzeugt haben mich allerdings die gelegentlichen Gesangseinlagen, manche waren nett, ein paar eher weniger gelungen, wirklich nötig waren die wenigsten. Auch hab ich mich zwischenzeitlich an einem ziemlich markanten Logikfehler gestört, doch letztendlich überwiegen die positiven Aspekte bei Weitem, und nach Genuss dieses Films wünscht man sich nichts sehnlicher, als dass die Knetfigurenanimation bloß nicht in Vergessenheit gerate, denn Pixelfische mitsamt all ihren Freunden aus dem Rechner haben längst nicht so viel Charme wie diese handgemachten Wesen.
Wer sich also an den beeindruckenden Animationen nicht satt sehen kann und was für morbide Kinderfilme übrig hat, für den führt kein Weg an „Corpse Bride“ vorbei.

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