Vorhang auf für „Harold und Maude“! Wir sehen einen jungen Mann, der akribisch seinen Selbstmord vorbereitet. Wenige Momente später baumelt er an der Decke. Ein junges Leben vor der Zeit durch eigene Hand beendet. Schade eigentlich. Oder doch nicht? Das Publikum brüllt vor Lachen. Nie war eine Selbstmordszene komischer als in „Harold und Maude“. Und nur selten schilderte eine solche Szene deutlicher das Wesen eines Hauptdarstellers. Der junge Mann, der uns wenig später als Harold vorgestellt wird, hat ein recht seltsames Hobby: den Tod und im Wesentlichen die Inszenierung seines Todes. Es wird recht schnell deutlich: Harold ist von seinem Leben als Sohn reicher Eltern gelangweilt und sehnt seinen eigenen Tod herbei. Oder sucht er dadurch nur nach Aufmerksamkeit?
Die Aufmerksamkeit, die ihm seine Eltern nicht ausreichend schenken, findet er in der Seniorin Maude. Sie ist das perfekte Gegenstück zu Harold – das Ying zum Yang. Dort, wo der junge – noch Mitten im Leben stehende – Mann sich der Faszination des Todes nicht erwehren kann, dort erscheint die alte – sich dem nahenden Tode sichere – Frau und lässt die Leinwand durch ihre Lebensfreude aufblühen. Die gesamte Konstellation erscheint kurios, jedoch auch irgendwie alltäglich: Menschen, die noch mitten im Leben stehen, noch einiges erleben könnten, sehnen sich den eigenen Tod herbei, während Menschen, die dem Ende ihres Lebens entgegenblicken, gerne noch einige Momente mehr hätten, um die Schönheit des Lebens weiterhin zu genießen.
Vor diesem Hintergrund erscheint auch das, was Hal Ashby mit der Geschichte von „Harold und Maude“ auf Zelluloid gebannt hat, nicht mehr so befremdlich, wie es im ersten Moment vielleicht schien. Maude bringt dem melancholischen Harold nach und nach bei, dass das Leben auch seine schönen Seiten hat. Über diesen Lernprozess entwickelt sich die Beziehung zwischen den beiden zunächst zur Freundschaft und schlussendlich zur Liebe. Was noch Jahre zuvor im Film undenkbar gewesen wäre, wurde durch die seit Einsetzen der sexuellen Revolution zunehmend liberale Haltung in der Bevölkerung möglich. Zwar stieß die Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die fast 65 Jahre trennt, nicht nur in den konservativen Lagern auf reichlich Kritik, aber glücklicherweise wurden die Kritiker durch das hervorragende filmische Endergebnis mundtot gemacht. Denn es gelang Hal Ashby, in allen Belangen einen erstklassigen Film zu drehen, der letzten Endes auch in seiner Intention wichtiger daherkommt, als es der erste Blick auf eine simple Inhaltsangabe mutmaßen lässt.
Untermalt wird die seltsame und doch wundervolle Liebesgeschichte Harolds und Maudes durch Songs von Cat Stevens, die einen der besten Soundtracks aller Zeiten gestalten. Jeder einzelne Song repräsentiert den Zeitgeist der Entstehungszeit dieses Films und intensiviert zugleich die Lebensfreude, die „Harold und Maude“ letztendlich dem Zuschauer nahe bringen.
Bud Cort als Harold und Ruth Gordon als Maude kann man zweifelsohne hervorragende schauspielerische Leistungen attestieren, die sich mit schlafwandlerischer Sicherheit zwischen herzergreifender Romanze und rabenschwarzer Komödie bewegen. Auch wenn das Rabenschwarze normalerweise nicht so das typisch amerikanische Metier ist, so überzeugt auch diese Komponente des Filmes durchweg. Die Briten, Großmeister des schwarzen Humors, hätten die vielen Selbstmordinszenierungen Harolds nicht besser auf die Leinwand bringen können als es hier geschah.
Die Lehre von Ying und Yang wurde filmisch wohl noch nie so gut umgesetzt wie im vorliegenden Fall. Hier lernen wir aus einer Fülle alltäglicher Situationen die essentiellen Weisheiten:
Das auf den ersten Blick so Gegensätzliche kann oft das Beste sein, das uns in unserem Leben begegnet!
In der Liebe ist selbst das Unmögliche möglich!
Genieße das Leben! Es birgt so viel Wunderbares!
So viel Wunderbares wie zum Beispiel dieses Filmkunstwerk! Lebensbejahung pur, wundervolle Darsteller, tolle Bilder und ein Soundtrack, der noch lange nach dem Film nachklingt… 9/10