Review

„Das sind wir – die Jugend von heute!“

Produzent Wolf C. Hartwig erkannte 1970 die Zeichen der Zeit, die da waren: Aufbegehrende Studenten (die sog. ‘68er), die sexuelle Revolution, die sich nicht nur in Form der Anti-Baby-Pille zum Ausdruck brachte, sondern in immer lauter werdenden Forderungen nach persönlicher Freiheit, was auch das Ausbrechen aus klassischen Geschlechterrollen bedeutete, ein Streben nach Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Emanzipation der Sexualität. Während sich die deutsche Gesellschaft noch unentschlossen damit auseinanderzusetzen begann, wurde das Kinopublikum mit Aufklärungsfilmen à la Oswalt Kolle konfrontiert, mit halbdokumentarischen, frechen, als Vorläufer der Report-Filme betrachtet werden könnenden schwedischen Erzeugnissen wie Vilgot Sjömans „Ich bin neugierig gelb/blau“ sowie immer offensiver bzw. im Umgang mit Nacktheit offener und unverkrampfter umgehenden Erotikfilmen, die die Sexualität zunehmend in den Mittelpunkt rückten. Viele dieser Filme erzeugten kleinere und größere Skandale, avancierten nicht selten trotzdem oder gerade deshalb zu wahren Kassenschlagern. Innerhalb dieses gesellschaftlichen Klimas und der zeitgenössischen Filmlandschaft ließ sich Hartwig zudem vom titelgebenden „Schulmädchen-Report“ des Psychologen Günther Hunold inspirieren, einem 1969 erschienenen Buch nach Vorbild anderer Reports à la Kinsey, das Interviews mit jungen Frauen enthält, die offen aus ihrem Sexualleben berichten. Wissenschaftlichen Ansprüchen hält das Buch nicht Stand, allein schon, weil es keine Auskunft über seinen Repräsentativitätsfaktor gibt. Hartwig erwarb die Rechte am Buch, ließ Günther Heller ein Drehbuch daraus konstruieren, das der im Erotikbereich bereits erfahrene Wiener Regisseur Ernst Hofbauer („Heißes Pflaster Köln“) schließlich verfilmte – der „Schulmädchen-Report“ als Kinofilm und damit der Beginn einer der langlebigsten Erotikfilmreihen überhaupt war geboren.

„Die Wahrheit hört keiner gern!“

Zur fröhlichen Titelmelodie Gert Wildens ertönen selbstbewusste Protest-Aussagen und kesse Sprüche einer weiblichen, jugendlichen Stimme aus dem Off, die das Selbstverständnis der aufbegehrenden jungen Generation zum Ausdruck bringen sollen, bevor eine Reporterstimme die vermeintliche Seriosität des Films betont. Nach dem Vorspann beginnt die Rahmenhandlung: Eine Schulklasse befindet sich auf Exkursion ins Kraftwerk. Am Ziel angekommen, setzt sich Renate ab und treibt’s mit dem Busfahrer, wobei sie in flagranti von der Lehrerin erwischt wird. Sie muss zum Rapport beim Direx, welcher im zwölfköpfigen Elternrat einen Antrag auf Schulverweis der Schülerin stellt. Doch der anwesende Psychologe Dr. Bernauer (Günther Kieslich, „Prositution heute“) bricht eine Lanze für die Jugend und berichtet von seinen Befragungen Jugendlicher – der Startschuss für die fortan in einzelne Spielfilmepisoden aufgeteilte Handlung.

„Rechtzeitig den Hintern voll – das ist die beste Psychologie!“

So erzählte ihm eine 15-Jährige von ihrem Verhältnis mit ihrem Stiefvater. Dieser habe sie als 12-jährige (!) defloriert, aber sie habe ihn dazu verführt (!!). Zwei 16-jährige gehen zur Beichte, eine von ihnen berichtet dem Pfarrer von Sex mit einem älteren Mann und will ihn dadurch aufreizen. Und dann ist da noch die 17-jährige Susi (Lisa Fitz in ihrem Spielfilmdebüt), die ihren Nachhilfelehrer verführt. Die Episoden werden unterbrochen von einem Reporter (Friedrich von Thun, „Tante Frieda – Neue Lausbubengeschichten“), der auf offener Straße Mädchen zum Thema Petting etc. befragt und ihm die meisten bereitwillig antworten. In der anschließenden Episode probieren zwei Freundinnen Klamotten an. Am familiären Esstisch dreht der Patriarch feil. Die Tochter liegt nachts wach, denkt an kopulierende Pferde (!) und macht es sich selbst, wobei sie von ihrer Mutter ertappt wird, die ihr eine Standpauke hält. Der Psychologe kommentiert die Geschehnisse aus dem Off. Zurück auf der Straße führt der Reporter eine Befragung zum Thema Masturbation durch und zitiert in diesem Zusammenhang interessanterweise Ingmar Bergmans „Skandalfilm“ „Das Schweigen“. Wir lernen die 18-jährige Michelle kennen, die sich 13-jährig von einem fünf Jahre älteren Jungen hat entjungfern lassen. Im Schwimmbad befinden sich drei Mädchen, einen von ihnen hadert mit ihrem verhauenen Aufsatz und bezeichnet ihre Lehrerin als „Schwuchtel“ (?). Sie sind scharf auf den Bademeister und entblößen ihre Brüste, woraufhin dieser sie ausschimpft. Doch der Rothaarigen gelingt es, ihn zu überreden, das Trio nachts noch einmal allein ins Schwimmbad zu lassen. Dort gehen sie Nacktbaden. Eines der Mädchen hat genug und verdünnisiert sich, die übrigen beiden machen mit dem Bademeister rum. Nun hat die Rothaarige Angst, schwanger zu sein und will die Mutter den Bademeister bestrafen. Dieser wird tatsächlich verurteilt. Anlass für den Reporter, zu diesem Fall eine weitere Befragung durchzuführen.

„Man kommt nicht über die Liebe zum Sex, sondern über den Sex zur Liebe!“

Die nun folgende Episode ist komödiantisch angelegt. Zwei Mädchen verabreden sich mit zwei Jungen zum ersten Sex auf einer Baustelle. Dort kommt es zu peinlichen Pannen. Eine weitere Befragung hat Sex ohne Liebe und vor der Ehe zum Inhalt. Marlene steht im Mittelpunkt der nächsten Episode, denn sie bleibt nach dem Sportunterricht länger und macht mit ihrem Lehrer rum. Auf der Straße will der Reporter Information zum jeweils ersten Sex, über den sich anschließend zwei Mädchen unterhalten. Die eine berichtet von einer Beinahe-Vergewaltigung durch den Vater einer Freundin, konstatiert aber: „Ich glaub‘ übrigens, dass kein Mann eine Frau vergewaltigen kann, wenn sie nicht irgendwie trotzdem will!“ Es folgt die obligatorische Lesbennummer, als sie davon berichtet, nach ihrem Umzug eine neue Freundin beim Ballett kennengelernt zu haben – es wird sogar ein Dreier. Weiterhin kommt ihr erstes Mal mit einem Jungen zur Sprache, natürlich alles hübsch in Erotik- bzw. Softporno-Szenen visualisiert. Ihr erster Orgasmus, den sie beim Masturbieren mit einem Plüschelefanten erlebte, wird jedoch lediglich kurz angedeutet. Sie schließt mit Aussagen zu ihrem aktuellen Freund. Zurück beim Elternrat hält Dr. Bernauer sein Schlussplädoyer und erwirkt ein Umstimmen, Renate darf auf der Schule bleiben.

„Man will ja schließlich nicht für altmodisch gehalten werden!“

Das musste ja so kommen: Nachdem diverse sich progressiv mit dem Thema Sexualität auseinandersetzende Filme im Dokumentarstil aufgrund ihrer Skandalwirkung ein breites neugieriges Publikum erreicht hatten und auch ein Oswalt Kolle allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz selbstzweckhafte Softsexszenen sowie gestellte Interviews in seine Aufklärungsfilme integriert hatte, waren es schließlich findige, geschäftstüchtige Produzenten wie Wolf C. Hartwig, die das Thema in Sexploitation-Manier gewinnbringend für sich ausschlachteten und dabei vorrangig den eigenen Geldbeutel im Sinn hatten. Mit einem Budget von gerade einmal 220.000,- DM und unter Verpflichtung von größtenteils Laiendarstellern wurde ein rekordverdächtiges Ergebnis an den Kinokassen eingespielt. Natürlich ist der Film keine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern der wenig emanzipatorische, dafür überaus geglückte Versuch, aus der sexuellen Revolution Kasse zu schlagen, indem man sowohl die Phantasien einen lüsternen männlichen Publikums bedient, das sich hier die Pseudo-Bestätigung abholen durfte, dass auch minderjährige Jugendliche ständig auf Sex versessene Früchtchen sind, die einem an die Hose wollen, als auch die Ängste des konservativen Lagers bediente, was die Folgen einer sich in der Entwicklung befindenden neuen sexuellen Freizügigkeit betrifft, die nichts mehr auf kirchlich geprägte Moralvorstellungen gibt. Die mindestens zur Hälfte frei erfundenen Interviews sowie die wenn überhaupt nur Einzelfällen zugrunde liegenden, hier aber als exemplarisch verkauften Episoden vermitteln das Zerrbild junger weiblicher Sexualität, das insbesondere ältere Semester frohlocken haben lassen dürfte, zieht sich doch die Suche Minderjähriger nach Sex mit Erwachsenen durch den ganzen Film. Besonders kritisch wird diese Darstellung, wenn von Sex mit 12-Jährigen durch Aufsichtspersonen die Rede ist und angezweifelt wird, dass diese überhaupt Schuld tragen oder gar, dass Vergewaltigungen überhaupt möglich seien. Das ist Wasser auf die Mühlen einer der extremsten Formen des Sexismus und des sexuellen Missbrauchs und ich kann nur hoffen, dass kein Mädchen und keine Frau jemals Missbrauchs-/Vergewaltigungsopfer durch von den hier getroffenen Aussagen motivierten Tätern wurde. Damit ist „Schulmädchen-Report“ auch ein entlarvendes Dokument der Schattenseiten der sexuellen Revolution, als unter dem Deckmantel der Freiheit sexueller Missbrauch betrieben und der Gedanke weiblicher Emanzipation durch ihre Chance auf eine Vielzahl an Sexualpartnerinnen witternde, sich weltoffen und fortschrittlich gebende Männer pervertiert wurde.

Zu den positiven Seiten des Films zählt neben dem geballten Zeitkolorit der Unterhaltungsfaktor, der oftmals aus unfreiwilliger Komik, aber natürlich auch aus den offenherzigen, attraktiven Darstellerinnen in den als Phantasie- oder Sehnsuchtskonstrukte zumindest zum Teil als akzeptable Softsex-Erotik durchgehenden Episoden resultiert, aus der Tatsache, dass später zu einiger Berühmtheit gelangte Schauspielerinnen wie Jutta Speidel oder Lisa Fitz ihre ersten Gehversuche unternahmen sowie der bei allem Pseudo-Dokumentarstil und Spekulation letztendlich dann doch vorhandene aufklärerische Ansatz, der zumindest in denjenigen Straßen-Interviews, die authentisch waren oder denen zumindest echte Aussagen zugrunde lagen, in geballter Form ein neues Selbstverständnis der weiblichen Jugend transportiert, das heute tatsächlich selbstverständlich scheint, seinerzeit von vielen aber noch nicht wahrgehabt werden wollte. Hat der „Schulmädchen-Report“ dadurch das Verständnis für und die Akzeptanz von selbstbestimmter, von reaktionären und klerikalen moralistischen Fesseln befreiter weiblicher Sexualität ein Stück weit vorangetrieben, ist dies als positiver Nebeneffekt anzuerkennen. Last but not least handelt es selbstverständlich um ein interessantes filmhistorisches Zeitdokument, das aufgrund seiner Machart und seines Publikumszuspruchs Rückschlüsse auf den Zustand der damaligen Gesellschaft gestattet.

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