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Schon der Titel klingt verabscheuungswürdig: "Mädchen mit Gewalt" - Gibt es etwas Feigeres und Niederträchtigeres, als gegenüber Frauen Gewalt anzuwenden? - Nicht überraschend, dass Roger Fritz‘ dritter Langfilm nach "Mädchen, Mädchen" (1967) und "Häschen in der Grube" (1969) in die Ecke "Zynischer Reißer" (Katholischer Filmdienst) gestellt wurde, obwohl Klaus Löwitsch für seine Rolle als "Bester Schauspieler" ausgezeichnet wurde. Doch ähnlich der parallel erschienenen Filme "Deadlock" (Regie Roland Klick) und "Rote Sonne" (Regie Rudolf Thome) blieb Roger Fritz die Anerkennung im Rahmen des "Neuen deutschen Films" versagt und geriet sein Film schnell in Vergessenheit als ein gesellschaftskritische Aspekte effektheischend formulierendes Genre-Werk. Ein Urteil, dass sich wie ein roter Faden durch die Arbeiten eines Regisseurs zieht, der - ausgehend von Georg Tresslers Film "Die Halbstarken" (1956), über den der 20jährige Roger Fritz eine Bildreportage fertigte, bis zu seiner letzten Regie-Arbeit "Frankfurt Kaiserstraße" (1981) - die soziokulturelle Entwicklung der BRD nach dem Krieg begleitete und wie unter einem Brennglas fokussierte.

Das galt auch für seine Mitstreiter. Mit Klaus Löwitsch, der schon in "Der Pauker" (1958) einen gewalttätigen, kriminellen Jugendlichen als warnendes Beispiel mimte, hatte Fritz 1960 in "...und noch frech dazu" gemeinsam vor der Kamera gestanden, dazu unter Frank Wisbar in dessen NS-kritischen "Fabrik der Offiziere" (1960) einen Wehrmachtssoldaten gespielt, um nach einer Rolle in Marran Gosovs Kurzfilm "Iris auf der Bank" (1965) erstmals in "Mädchen, Mädchen" (1967) Regie, Drehbuch und Produktion zu vereinen. Der Karrierebeginn seiner damaligen Frau Helga Anders, die Fritz in seinen frühen Filmen immer in der weiblichen Hauptrolle besetzte, findet sich ebenfalls im moralisch ambitionierten Film der späten 50er/frühen 60er Jahre wieder. An der Seite Heinz Rühmanns in „Max, der Taschendieb“ (1962) trat sie noch als kecke Tochter auf, bevor sie selbst ins Fahrwasser immer freizügigerer Filme geriet („Das Rasthaus der grausamen Puppen“, 1967).

Auch dem dritten Hauptdarsteller, Arthur Brauss, und Co-Autor Jürgen Knop war dieses Sujet vertraut, dessen beim Feuilleton anrüchiger Ruf übersehen ließ, wie genau sich darin die entstehenden Konflikte durch eine sich verändernde Sozialisation widerspiegelten. Mit „Treibgut der Großstadt“ (1967), „Heißer Sand auf Sylt“ (1968) und „Straßenbekanntschaften auf St. Pauli“(1968) hatte Knop sein Gefühl für den 60er Jahre-Zeitgeist ebenso bewiesen, wie Brauss – hier schon gemeinsam mit Klaus Löwitsch - in „Heisses Pflaster Köln“ (1967, Regie Ernst Hofbauer) und Radley Metzgers „Carmen Baby“ (1967). Kurz vor dem Beginn der Dreharbeiten zu „Mädchen mit Gewalt“, spielte Roger Fritz noch eine tragende Rolle in der deutsch-italienischen Co-Produktion „Femmine insaziabili“ (Mord im schwarzen Cadillac, 1969) unter der Regie von Alberto De Martino, der darin Emanzipation, sexuelle Revolution und wachsenden Hedonismus zu einer Thriller-Handlung verband. Fritz‘ Rolle eines italienischen Familienvaters, der jede moralische Instanz verliert und Sex nur noch zur Machtausübung und Erniedrigung nutzt, kam einem frühen Abgesang auf die Ende der 60er Jahre noch propagierten Ideale gleich.

In ihrem sezierenden, schonungslosen und letztlich fatalistischen Blick auf die Geschlechterrollen ähneln sich beide Filme, aber Roger Fritz ging in „Mädchen mit Gewalt“ noch darüber hinaus und entwarf eine kammerspielartige Situation, die zwei Drittel des Films prägt, unterstützt von der sparsam eingesetzten „Can“-Musik und einer Kiesgruben-Location, die jeden unnötigen Ballast von der Story fernhalten. Nur die ersten 30 Minuten geben Zeugnis von der Lebenswelt der zwei männlichen Protagonisten Mike (Arthur Brauss) und Werner (Klaus Löwitsch), ihrer Arbeit und ihrem Freizeitverhalten, das allein von der gemeinsamen Jagd auf Frauen bestimmt wird. Als eingespieltes Team nehmen sie jede Gelegenheit war, um sie genauso schnell wieder fallenzulassen, wenn sich nicht der erwartete Erfolg einstellt. Nachdem sie auf einer Go-Kart-Rennbahn Alice (Helga Anders) kennenlernten, die eine vielversprechende Erotik ausstrahlt, gelingt es ihnen, sie von ihrer Gruppe zu separieren und nachts allein mit ihr in einer Kiesgrube zu landen. Zuerst entwickelt sich die Situation wie gewünscht, doch als der jungen Frau bewusst wird, dass die Anderen nicht mehr nachkommen, fordert sie die beiden Männer auf, sie wieder zurückzubringen.

Von besonderer Bedeutung dieser ersten Minuten ist der Konflikt zwischen den beiden knapp über 30jährigen Arbeitskollegen und der Studentengruppe, zu der Alice gehört. Rolf Zacher, der in den Jahren zuvor mehrfach als junger Freigeist in den Filmen von George Moorse auftrat („Der Griller“, 1968), steht für das damalige Selbstverständnis der jungen Männer in ihrem liberalen Umgang mit jungen Frauen – ein Umgang, der 10 Jahre zuvor noch ausgeschlossen und auch 1970 nur in einer Großstadt wie München vorstellbar war. Der Betrachter erfährt nichts von der Vergangenheit von Werner und Mike, aber dass sie mit Anfang 20 noch nicht diese Möglichkeiten hatten, steht außer Zweifel. Das verleiht ihrer permanenten Baggerei etwas getriebenes, wie der Versuch, die eigene Jugend nachzuholen. Zacher und seine Kumpels spüren das sofort und provozieren die „Älteren“ – Alice kann den handgreiflich werdenden Konflikt zwar schlichten, empfiehlt sich damit aber unbewusst noch mehr als Objekt der Begierde.

Der von Roger Fritz nicht autorisierte Alternativ-Filmtitel „Mädchen…nur mit Gewalt“ (gemäß seiner Aussage im Audio-Kommentar) erweist sich schon zu diesem Zeitpunkt als Unsinn. Weder Werner, noch Mike wollen Gewalt anwenden. Im Gegenteil überspielt ihr forsches Vorgehen nur ihre Sehnsucht nach Liebe, die sie sich in ihrer jeweiligen Männer-Rolle nicht zugestehen, die in der später eskalierenden Situation aber von wesentlicher Bedeutung wird. Die Antipoden Werner und Mike stehen geradezu prototypisch für den männlichen Charakter – eine legitime, auch in Theaterdramen übliche Zuspitzung, der nichts „reißerisches“ anhaftet. Werner ist der Macher, Mike gibt sich intelligent und gebildet. Normalerweise eine schwer vorstellbare Verbindung, aber Männer verstanden es schon immer, bei gleichem Interesse Unterschiede zu akzeptieren oder mehr noch, diese für sich zu nutzen. Für die Jagd auf Frauen erweisen sich ihre jeweiligen Fähigkeiten als vorteilhaft, vorausgesetzt sie kommen gleichberechtigt zum Zug. Doch Alice weckt in beiden Männern eigene Bedürfnisse, weshalb die sonst unterdrückten Empfindungen explosionsartig herausbrechen und zu unvorhersehbaren Konsequenzen führen.

Die umstrittenste Figur in diesem Dreieck ist die Frauenrolle. Helga Anders, schon optisch dafür prädestiniert, verkörperte eine sexuell freizügig auftretende junge Frau, die nicht nur sofort nackt baden geht, sobald die Drei in der Kiesgrube angekommen waren, sondern selbst nach der Vergewaltigung nie ihr Dekolleté zuhält. Die oberen zwei Knöpfe ihres Kleides waren abgerissen und Roger Fritz, der sich sonst mit Nacktaufnahmen sehr zurückhielt, lässt die Kamera permanent auf ihren nur knapp verhüllten Busen halten und bediente damit nicht nur den Voyeurismus des Betrachters, sondern auch das von Werner formulierte Vorurteil, dass Alice doch selbst schuld an ihrer Situation wäre. Auch das Verhalten der jungen Frau, dass zwischen verzweifelter Wut und Mitgefühl changiert, fördert diesen Eindruck noch.

Diese Form der Inszenierung, die entscheidend zum „reißerischen“ Eindruck beitrug, lässt wiederholt deutlich werden, welche Risiken Filmemacher eingehen, wenn sie vom Betrachter Selbstreflexion einfordern. Zur Entstehungszeit des Films provozierte Alice' Verhalten zwar deutlich mehr, aber an Mikes Ausführungen über die Folgen einer Anzeige wegen Vergewaltigung hat sich bis heute ebenso wenig geändert, wie an dem allgemeinen Urteil über promiskuitiv auftretende Frauen. Auch Mike und Werner – sieht man von der Verheißung einer damals noch frischen sexuellen Liberalisierung einmal ab – stehen stellvertretend für bis heute übliche männliche Charakterzüge. Zwar storytechnisch fokussiert und einer extremen Situation ausgesetzt, aber in ihrer Demaskierung generell gültig. „Mädchen mit Gewalt“ als zeitlos zu bezeichnen, ist deshalb noch zu schwach, auch Attribute wie „zynisch“ oder „böse“ - heute anerkennend gemeint - lassen nach wie vor den Abstand des Betrachters zum Geschehen erkennen. Doch dieser existiert hier nicht und das macht die Größe dieses Films aus.(10/10)

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