Nicht erst seit unzähligen Jugenddramen vor dem Hintergrund des maroden, amerikanischen Bildungssystem dürfte bekannt sein, dass sich mit der anklagenden Authentizität kritische Filme gleich viel einfacher glaubwürdig inszenieren lassen.
Für Regisseur Stuart Rosenberg, eigentlich eher ein Mann der durchschnittlichen Filme wie das Bronson-Vehikel „Love and Bullets“ oder der überschätzte Horror-Klassiker „The Amityville Horror“, wurde „Brubaker“ zu einem Glücksgriff und Höhepunkt seiner im TV-Sektor begonnenen Karriere.
Bereits in einer frühen Produktionsphase ersetzte er den, angeblich auf Druck von Robert Redford, gefeuerten Bob Rafelson („Black Widow“, „The House on Turk Street“) und gibt in zwei packenden Stunden grob wieder, was, und das beruht auf tatsächlichen Erfahrungen, Thomas O. Murton, der hier in beratender Funktion zur Seite stand, tatsächlich einst in amerikanischen Gefängnisse vorfand.
Arkansas, 1968: Henry Brubaker (Robert Redford, „Butch Cassidy and the Sundance Kid”, „Three Days of the Condor”) tritt auf gänzlich unkonventionelle Weise seinen Dienst als neuer Direktor des Wakefield-Gefängnisses an und besucht es zunächst getarnt als Krimineller, um sich ein Bild über die Situation vor Ort zu schaffen. Er findet katastrophale Zustände vor und beschließt die gesamte Institution zu reformieren, muss jedoch schließlich vor dem politischen System kapitulieren...
Packend, erschreckend und erschütternd kann man vor allem die ersten 40 Minuten beschreiben, in denen Rosenberg ganz unverfälscht die Missstände jener Einrichtung aufzeigt. Es fehlt an Betten und Hygiene ist ein Fremdwort. Vergewaltigungen, Folter und Schikane stehen auf dem Tagesprogramm, zumal das Gefängnis aufgrund von Personaleinsparungen zur Hälfte von Gefangenen geführt wird, die ihre Machtpositionen grenzenlos ausnutzen. Dieser Knast ist ein einziger Moloch, für die meisten eine Hölle.
Doch das ist bei weitem nicht alles. Eine medizinische Versorgung gibt es nur gegen Bares, für ein bisschen Blut bekommen die Insassen ein paar lumpige Dollar, im Essen schwimmen Maden und und und. „Brubaker“ übt unverhohlen Kritik, indem er einfach und direkt die schlichte Realität zeigt. Ein Gefängnis, in dem das Recht des Stärkeren gilt, die Sträflinge wie Sklaven an lokale Unternehmer verliehen und ausgebeutet werden, sowie das selbst angebaute Getreide und das Zuchtvieh privat von den Aufsehern verschachert wird.
Als Henry Brubaker genug gesehen hat, gibt er sich zu erkennen und versucht die Reformen, seine Ideale kompromissfrei durchzusetzen. Ein schwieriger Weg...
Neben den vor allem in der ersten Hälfte bedrückend echt wirkenden, unglaublichen Zuständen in Wakefield, die solche Revolten wie in Attica nur verständlich machen, überzeugt hier noch eine ganze Riege guter Darsteller, allen voran der integre Robert Redford, der mit Menschenkenntnis und dem nötigen Feingefühl die Insassen für sich gewinnt, gleichzeitig vor dem Problem steht, keine Politik machen zu können. Sobald er glaubt, er hätte schon alles gesehen, kredenzen ihm Wakefield und dessen Angestellte eine neue kriminelle Unverfrorenheit (u.a. Abzweigen von Nahrung und Zigaretten), die schließlich dazu führt, dass er selbst enge Vertraute entlassen muss. Er merkt einmal so treffend an, dass er den Laden eigentlich sprengen und dann wieder neu aufbauen müsste. So unrecht hat er nicht. Die Einrichtungen sind so marode, dass sie einstürzen, versichert sind sie nicht. Da setzen dann wieder die einflussreichen Politiker im Hintergrund an, die überflüssige Policen an Wakefield verkauften, um sich selbst zu bereichern. Alsbald führt Brubaker ein Kampf gegen das gesamte System, wobei er nur verlieren kann und kurz vor der Resignation steht. Er legt sich mit allen, den Aufsehern, den Einheimischen und den Politikern, die sein Gefängnis nur ausbeuten wollen an und bekommt schließlich dafür die Quittung.
Verlassen kann Stuart Rosenberg sich hier auf einen überaus spielfreudigen Supportcast, der sich unter anderem aus Yaphet Kotto („Live and Let Die“, „Alien“), sowie den damals noch unbekannten David Keith („Major League II“, „Raw Justice“) und in einer Minirolle zu sehenden Morgan Freeman („The Shawshank Redemption“, „Se7en“). Murray Hamilton gibt derweil den starrköpfigen, reformverdrossenen Dickkopf, den er seit „Jaws“ auch bestens beherrscht.
Dass Lalo Schifrin („Kelly's Heroes“, „Dirty Harry“) auch hier wieder einen sehr passenden, weil ruhigen und unaufdringlichen Score besteuerte soll nur ergänzend angemerkt werden, denn der Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf den tollen Darstellern und Rosenbergs niederschmetternden Bildern, die einen Klagepunkt nach dem anderen aus Hut zaubert und schließlich in einem fassungslosen Finale mündet.
So kann „Brubaker“ gleich Doppeltauglichkeit für sich verbuchen. Auf der einen Seite ist der Film eine hervorragendes, weil absolut an die Nieren gehendes Sozialdrama, auf der anderen Seite aber auch ein wirklich fesselnd inszenierter und schauspielerisch absolut überzeugender Gefängnis-Thriller, der ohne die Augen vor irgendetwas zu verschließen, bis ganz nach oben, bis zum Senator geht. Es darf bezweifelt werden, ob so ehrliche Filme heute noch in Hollywood Unterstützung finden würden.
Nebenbei bemerkt, hat der Film eine der vielleicht einprägsamsten, Gänsehaut verursachenden Momente der Filmgeschichte, als Brubaker am Ende das Gefängnis verlässt und die Gefangenen rhythmisch klatschend an den Zäunen stehen. Die Szene ging zumindest mir durch Mark und Bein.
Fazit:
In vollem Umfang überzeugende Kritik am Vollzug des amerikanischen Justizsystems, das, ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen, die seinerzeit bittere Realität vor Augen führt und sich neben der, den Rücken stärkenden, Wahrheit noch auf eine erstklassige Besetzung verlassen kann. Packendes und erschütterndes Kino, das nach 25 Jahren nicht an Qualität eingebüßt hat. Robert Redford selbst versuchte bekanntlich in „The Last Castle“ sich später nochmal an einer Gefängnisreform, erntete damit allerdings zurecht nur peinliches Gelächter.