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30.Oktober 1918. Für das deutsche Reich ist der erste Weltkrieg verloren. Jeder weiß das – Die Soldaten in den Schützengräben und die Matrosen genauso wie die Offiziere, die Politiker, und nicht zuletzt auch die Hausfrauen, die stundenlang anstehen für Butter, Fleisch oder Wasser. Oft genug auch umsonst … Und doch sind einige kaisertreue Offiziere im Flottenkommando nicht willens, einem Waffenstillstand oder gar einer Kapitulation ins Auge zu sehen. Sie wollen nicht wahrnehmen, dass nach 5 Kriegsjahren kein Menschenmaterial mehr vorhanden ist, das noch in irgendwelche Offensiven geworfen werden könnte. Sie nehmen auch nicht wahr, dass die Bevölkerung längst ausgeblutet ist und sich nur noch nach Frieden sehnt. Und sie ignorieren den Befehl des Reichskanzlers, dass nichts geschehen dürfe, um den Friedensprozess mit den Alliierten zu stören. Ihr Plan ist, die Schiffe in Kiel, somit das I. und das III. Flottengeschwader gegen England fahren und englische Schiffe angreifen zu lassen. Unabhängig vom Ausgang der Schlacht wären damit die bereits begonnenen Friedensgespräche obsolet, die Kräfte der Entente würden verstärkt angreifen, und damit auch die Kriegsmüdigkeit bei Heer und Bevölkerung beheben.

Klingt idiotisch? Ist idiotisch. Aber für die Matrosen des III. Geschwaders war dies die Realität, und obwohl die Befehle strengster Geheimhaltung unterlagen, sickerten Informationen an die Besatzungen der Schiffe aus. Während die Mannschaften des I. Geschwaders den Seeklarbefehl verweigerten und sogar Sabotageakte durchführten, meuterten Matrosen des III. Geschwaders am 31. Oktober auf hoher See und zwangen ihre Schiffe zur Rückkehr nach Kiel. Der Vizeadmiral, unter dessen Befehl die Schiffe liefen, verhaftete aber während der Rückkehr die Meuterer, 48 Matrosen und Heizer, und ließ diese nach der Rückkehr in den Hafen einsperren.

Das Ergebnis dieser Vorgänge war dann der sogenannte Kieler Matrosenaufstand, der zwischen dem 1. und dem 4. Oktober in Kiel stattfand, der letzten Endes nichts anderes als eine Revolution war, und dessen Ausläufer es sogar schafften den Kaiser, ja sogar die gesamte Dynastie Hohenzollern zum Rücktritt zu bewegen. Der Krieg war zu Ende, und die meuternden Matrosen von Kiel waren der hauptsächliche Grund dafür.

Und mittendrin waren sieben Seeleute, deren Schicksal wir in DAS LIED DER MATROSEN begleiten. Erich Steigert war im Herbst 1917 bereits aufsässig, weil er sich weigerte, zwei Meuterer standrechtlich zu erschießen. Seitdem sitzt er im Gefängnis und wartet auf seine eigene Exekution. August Lenz ist Heizer und strammer SPD-Mann. Ohne Freigabe von Friedrich Ebert und Gustav Noske bohrt er nicht einmal in der Nase. Henne Lobke hat es eher mit der USPD. Beim Aufbringen eines russischen Frachters setzt er sich gemeinsam mit seinem Kameraden Jens Kasten nach Russland ab und kommt von dort wieder zurück nach Hause. Er lernt die junge Anna kennen und verliebt sich. Ludwig Bartuschek ist strammer Spartakist und brennt darauf, alle Kapitalisten und alle Offiziere persönlich abzusägen. Er ist klug und kann mitreißen, wird aber von den Zauderern der SPD oft gebremst. Sebastian Huber ist in erster Linie Bauer und dann erst Heizer. Er will nach Hause, es ist höchste Zeit für das Ausbringen der Wintersaat. Und Jupp König ist der Trumpf der organisierten Matrosen. Er ist eine Art Kammerdiener bei Admiral von Resten, und kommt somit mit allen Befehlen und allen Absichtserklärungen der Offiziere und der Flottenleitung als erster in Kontakt.

DAS LIED DER MATROSEN beginnt im Herbst 1917 mit der vergeblichen Exekution der meuternden Seeleute Max Reichpietsch und Albin Köbis. Vergeblich deswegen, weil die Marinesoldaten der Pelletons sich mehrmals weigern, ihre Kameraden zu erschießen. Steigert kommt deswegen auch in Haft, aber er bleibt unbeugsam. Die Handlung bleibt noch einige Zeit im Jahr 1917, um die Konsequenzen dieser Vorgänge aufzuzeigen, wir folgen unter anderem auch Henne und Jens Kasten auf ihrem Weg nach Russland und wieder zurück, und relativ bald springen wir dann in den Sommer 1918, um die Kriegspläne der kaisertreue Offizieren erfahren. Mittendrin sind immer wieder die Hauptcharaktere und ihre Freunde und Angehörigen, aber angenehmerweise behalten Regie und Zuschauer stets den Überblick über die vielen Namen. Auch die Zeitsprünge sind nachvollziehbar, der Rutscher vom August zum November 1918 ist kaum spürbar und hinterlässt auch kein Loch im Handlungsfluss. Einzig am Namedropping der politischen Organisationen ist spürbar, dass die hier vorgestellten Ereignisse für das Publikum als bekannt vorausgesetzt werden.

Denn machen wir uns nichts vor, DAS LIED DER MATROSEN ist ein Propagandastreifen wie er nicht zweckdienlicher sein könnte. Die Uraufführung war zum 40. Jahrestag der Novemberrevolution geplant, weswegen auch zwei Regisseure eingesetzt wurden, um den straffen Zeitplan zu halten: Kurt Maetzig drehte die Szenen um die Offiziere und Admiräle, während sich Günter Reisch um die Aufnahmen rund um die Matrosen kümmerte. Der Druck muss enorm gewesen sein, und offensichtlich wussten sich die Produzenten beim Zusammenfügen einzelner Handlungsfragmente nicht anders zu helfen, als ein von Karl-Heinz Wichert gesungenes Lied zu hinterlegen. Dieses Lied erzählt tatsächlich fehlende Handlungselemente oder kommentiert das Gesehene, was bemerkenswert an Brechts episches Theater erinnert, und dadurch einen ganz seltsamen Zeitbezug erhält. Ein interessantes Stilmittel, welches heute altmodisch und fremd wirkt, aber seine Wirkung gerade bei einem Propagandafilm nicht verfehlt.

Dem fertigen Film kann man vieles vorhalten. Zum Beispiel, dass die Ereignisse der ersten Novembertage aus dramaturgischen Gründen auf einige Stunden komprimiert wurden, oder dass es mit der tatsächlichen Darstellung der Ereignisse nicht immer ganz genau genommen wurde. Es gab nie einen Sturm auf das Marinegefängnis, eine Szene, die frappierend an den Sturm auf das Winterpalais in Eisensteins OKTOBER erinnert, und auch der war ja eine gefakte Erinnerung. Aber gerade diese Szenen sind ungeheuer dramatisch, hochgradig spannend, und es werden bewusst Emotionen beim Zuschauer erzeugt. Tatsächlich kommt man aus dem Film in einer absoluten Hochstimmung heraus. Man möchte marschieren, man möchte am liebsten den Kapitalisten eins aufs Maul hauen und selber mit der Revolution beginnen. Solche Gefühle werden erzeugt, und ich frage mich unweigerlich, welcher Film aus den letzten 30 Jahren so etwas noch schafft.
DAS LIED DER MATROSEN endet mit der Gründung der Kommunistischen Partei in Deutschland am 30. Dezember 1918, und zusammen mit dem hier gesungenen Lied vom wahren sozialistischen Traumstaat möchte man am liebsten einen Lachkrampf bekommen, wenn es denn nicht so traurig wäre. Schade, dass die Stoßrichtung ein so unmissverständliches Loblied auf den wunderschönen Arbeiter- und Bauernstaat ist, und schade, dass diese Absicht (mit mehr als 60 Jahren Abstand) so furchtbar lächerlich und durchsichtig ist, und damit die vielen starken Momente der vorhergehenden fast zwei Stunden ein klein wenig wieder zunichte macht, denn filmisch wie auch historisierend gibt es da einiges Begeisterndes:. Der Moment, wenn die Heizer die Kohle aus den Bunkern herausholen und mit Wasser löschen, damit die Schiffe keinen Dampf mehr machen können, und daraufhin die Offiziere mit vorgehaltener Waffe verlangen, dass die Kessel wieder angeheizt werden. Henne, der mit einem russischen Soldaten aus Freude über den Waffenstillstand tanzt, was einem kaisertreuen Offizier nicht passt, der auf die beiden sofort Feuerbefehl gibt. Der Sturm der Matrosen in das Hauptquartier des Flottenkommandos. Oder der großartige Moment, wenn der Parteibürokrat, der den erfolgreichen Matrosen ihren Erfolg kastrieren möchte, vom redegewandten Bartuschek zusammengefaltet wird. Mit dem „neuen“ Vorsitzenden des Soldatenrates, der für die Matrosen tatsächlich ein alter Bekannter ist, wird auch ein deutlicher Verweis auf die Bürokratie des westlichen Nachkriegsdeutschlands gesetzt, in dem viele Täter aus der NSDAP weiterhin ihr Gedankengut in Brot und Lohn verbreiten konnten. Hehres (und oft plattes) Pathos, sicher, aber eben auch viel Emotion. Große Gefühle, wenn man mit den Arbeitern und den Matrosen mitfiebert, und eine mehr oder weniger erfolgreiche Revolution an sich vorbeiziehen sieht, an deren Ende tatsächlich die Zeitenwende zur Demokratie stand.

Der Film schildert historische Geschehnisse auf verständliche Art. Er nimmt seine Figuren ernst und kann sie mit klaren Worten sowohl als Soldaten wie auch als Menschen charakterisieren, und vor allem ist er sehr spannend und emotional. Starke Massenszenen mit bis zu 15.000 Statisten auf der einen Seite, ergreifende Momente der Zwischenmenschlichkeit auf der anderen. Irgendwie kann ich mich nach der Sichtung des Gefühls nicht erwehren, dass die Kunst, packende und überzeugende Filme zu drehen, in den letzten Jahrzehnten ziemlich auf den Hund gekommen ist …

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