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Trotz seiner kurzen Laufzeit von 85min braucht auch Suen Chungs Bloody Escape eine Weile, um den Zuschauer fester im Griff zu haben. Zwar kann man auch vorher durchaus unterhalten, entwickelt sich aber zuerst zu strikt in Richtung Gewohntem. Auch ab der Hälfte bringt man nicht wirklich neue Erkenntnisse ein, aber hat nunmehr die Figuren und ihre Umstände so sicher aufgezeichnet, dass man schon mehr in den Ereignissen ist und quasi nur noch Wenig schiefgehen kann.
Letztlich ist die Regie dabei eine sehr präzise; Provokationen werden ebenso wie Unsicherheiten überhaupt nicht auffällig, Suen erzählt mit einer einbindenden Übersicht und trotz der Kürze auch ohne Hektik.

Die Einführung erfolgt über ein Getratsche Mitreisender und einer anschliessend detaillierten Rückblende. Zuerst das Jetzt der Tatsache der Flucht, die beginnende Bewegung verlangsamend zu einem Albtraum abstrahiert: Gu Hui [ Chen Kuan Tai ] wird von seiner ehemaligen Gang der Wolf Heads unter Leitung von Chief Du [ Wu Chi – chin ] gejagt. Er hat sich offen aufgelehnt und die Geisel Tang Li [ Shih Szu ] vor der Vergewaltigung gerettet; die Wolf Heads müssen nach seiner Abkehr verhindern, dass er ihre Geheimnisse und den Aufenthaltsort verrät. Ausserdem ist es fuer Du eine persönliche Angelegenheit.
Gu Hui hat jetzt das Problem, dass er nicht nur nirgends hinkann – da er ebenfalls von der Polizei gesucht wird –, sondern auch überall zwischen zwei Stühlen steht.

Dies ist der eigentliche Kern der Narration; das, was normalerweise als bekannter Vorgang mit dem Hang zum 08/15 erscheint, formiert sich hier zu einer Parabel auf einen ständigen Aussenseiter sowie die Einflüsse auf ihn und sein Tun. Ab dem Tod des alten Bandenchefs änderten sich die Zeiten; gewohnte Regeln und Grundsätze wandelten sich durch die neue Regentschaft um und änderten damit Gus Haltung. Er konnte sich damit abfinden, ein rechtschaffener Bandit zu sein; auch wenn das ein Widerspruch in sich ist, war es einfacher, den Leuten nur die Hälfte der Ersparnisse zu rauben und sie weder zu vergewaltigen noch zu töten. Das Glas war halbvoll, zumindest von seiner Warte aus und etwas Anderes als Wegelagerei und Raub kennt er eh nicht.

Die anfänglich konventionelle Regieführung spiegelt die Gepflogen- und Gewohnheiten des Banditenlebens dar; erst mit dem Wechsel der Sitten und dem Aufkommen der Gegensätze kommt etwas Leben in das Fort der Kriminellen hinein und damit wird nach und nach auch das Herz des Filmes getränkt. Die folgende Resozialisierung erhebt nicht den moralischen Zeigefinger, aber hält mit dem Schauspieler Yeung Chi Hing als Uncle Zhong das personifizierte Gute Gewissen bereit.

Zhong nimmt den Gesuchten unter seine Fittiche, bietet ihm Arbeit als Schuhmacher. Er stellt die Institution der Straffälligenhilfe und der Bewährungshilfe dar, hält Gu ganz locker an seiner Hand und zeigt ihm ohne zu belehren die Unterschiede zwischen der einen guten Tat der Befreiung Tang Lis und einem wirklich ehrbaren Leben auf. Der erste Schritt mag getan sein, aber der Rückfall kann jederzeit wieder ausbrechen. Gu kommt rasch an seine Grenzen; in eingefügten Beispielen wird er als Neuanfänger nur schikaniert, gegängelt und gedemütigt. Es ist kein Zuckerschlecken, sich mit harter Arbeit ehrliches Geld zu verdienen; vor allem dann nicht, wenn man zuvor viel mehr viel einfacher „erwirtschaftet“ hat. Der Preis für eine aktive Gegenwehr gegen die Kriminalität und einem ernsten Versuch der Anpassung lautet Armut, Beleidigung, Einsamkeit und Unruhe. Andererseits lockt weiter das grosse und vor allem schnelle Geld und eine feste Gemeinschaft; aber auch dort muss man sich einem Usus – dem des agressiven, von der gesetzlichen Norm abweichenden Verhaltens - unterwerfen.

Nun artet das beileibe nicht in Dialogen oder gar Predigten auf; Hinweise werden verbal und mimisch eher knapp, aber dennoch aussagekräftig gehalten. Auch die Umgebung in ihrer geographisch – ethnologischen Filterung bekommt die Aufgabe der Zuweisung verschiedener Seiten von Legalität und Illegalität und der changierenden Sichtweise für Gu zugewiesen.
Hier die eher rudimentär erbauten Holzhütten inmitten einer staubig – erdigen Kiesgrube; durch Witterung und Nutzung mehr zerfallen als heil. Notdürftige Umzäunung. Seine tartarengleichen Bewohner haben sich derselben Ebene gleichgesetzt und verhalten sich entsprechend ungezwungen; trinken viel und halten sich auch anderweitig schadlos. Gu ist bei den Wolf Heads Jemand, der nicht als anonymer Mitläufer in der Masse verschwinden kann, weil das nicht seine Art ist. Und er kann sich auch nicht mit den leitenden Rädelsführern anfreunden, da ihm diese und ihre Ansichten nicht passen.
In der Stadt, die sich als verwinkeltes Gewimmel von Casino, Bordell und gegenüberstehend Polizeirevier verästelt, kleidet er sich schon leichter in die Menge ein und fällt nur beim direkten Ansprechen durch seine Reaktion auf; Suen nutzt dies zur Beschreibung seiner Hauptfigur ebenso wie der offenkundigen Bredouille. Bei der Entscheidung der Zwiespalte im Schlussakt verlagert man sich deswegen auch folgerichtig von den Extremen hinweg in eine Art Niemandsland; eine weder bebaute noch gar bevölkerte grüne Landfläche dient als wörtlich weites Feld für die Vorbereitung der finalen Auseinandersetzungen. Am Ende interessiert die Herkunft genausowenig wie der Stand und es geht rein nach den körperlichen Fähigkeiten um die Verwirklichung der Ziele. Der Kampf um Leben und Tod als das beste Argument.

Sowieso bringen der Regisseur und sein Autor Ni Kuang einige schöne Abkürzungen ein, deren ausführliche Deutungen keinerlei Nutzen für Inhalt und Inszenierung erreicht hätten und durch die rationalisierte Verknappung viel prägnanter ihr Ergebnis finden. Man bewegt sich leicht, aber fasert nicht auseinander. Die intendierte Eingliederung in die Gesellschaft bekommt ihre tödlichen Gefahren und Hindernisse zugeordnet, so dass sich mit der Besinnung Gus auch zuhauf ordentliche Action assoziiert und so die Themen gefälliger speditieren kann. Ein Abgleiten ins sülzig – pathetische vermeidet man meist von vornherein durch angezogenes Tempo und klare Begebenheiten; wobei auch erfreulich ist, dass auch das Gute seine Schattenseiten beherbergt und man nicht tief ins Sentimentale driftet. Etwas Naivität und moralinsaure Dialoge plus den Einsatz von Streichern auf der Tonebene konnte man sich nicht verkneifen; dann hilft vor allem das weitgehend überzeugende und eben nicht menschelnde Spiel von Chen Kuan Tai und auch Shih Szu, sich ab der Hälfte vermehrt mit Aufbau und Fortgang zu identifizieren und so die Aufmerksamkeit zu fördern. Eine love story zwischen beiden wird dankesweise nur angeklungen, aber ansonst aussen vorgelassen.

Etwas Grosses, Mitreissendes oder gar einen Geheimtipp hat man hiermit nicht erschaffen, dazu macht es sich die Geschichte zu einfach und verhält sich viel zu einsilbig. Der umgekehrte Weg, also das Abgleiten in Verbrechen hinein wie beim The Delinquent, funktioniert schon von den Ausgangs- und Eckdaten her als aufregender Spannungsthriller weit besser.

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