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Unsere Geschichte beginnt in der vom Krieg heimgesuchten chinesischen Stadt Baskul. Dorthin war Robert Conway [ Ronald Colman ] gesandt, um neunzig Weisse zu evakuieren, bevor sie in einem lokalen Aufstand abgeschlachtet wurden.
Baskul ist am Abend des 10ten März 1935 ein Ort der Kriegswirren. Der Flüchtlingsstrom bahnt sich seinen Weg. Hektik, Aufruhr, Ausschreitung, Krawall, Tumult bestimmt den Ort. Der Flugplatz als Zentrum des Menschengewimmels, in dem Conway - Englands Mann im Osten. Soldat. Diplomat. Liebling der Öffentlichkeit - aussortieren muss, wer in die rettenden Flieger steigen darf und wer nicht. Als die Stromaggregate ausgeschaltet werden und sich die ganze Gegend samt Landebahnen verdunkelt, muss er im Stress und Hast auch noch ein Feuer legen, die angreifenden Chinesen abwehren und die übriggebliebenen Schutzbefohlenen in die letzte Maschine drängen. Dann möchte er erst einmal schlafen.

Regisseur Frank Capra, sonst eher bekannt als Meister der liebenswürdigen, optimistischen Komödie [ Lady für einen Tag und sein Remake Die unteren Zehntausend, Es geschah in einer Nacht, Mr. Deeds geht in die Stadt, Mr. Smith geht nach Washington ], legt seinen scheinbaren Ausflug in das Abenteuergenre rasant an. Die ersten Minuten hat man keine Zeit, sich neben all den türmenden Aufregungen gross um die Charaktere selber zu kümmern, gar den Überblick zu bewahren; aber man weiss jetzt bereits mehr als die Figuren. Der Pilot wurde gewaltsam ausgetauscht und das Flugzeug fliegt nicht gen Shanghai, sondern in eine entgegengesetzte Richtung. Es trägt die Insassen und das Publikum an einen Ort, den sie nie zuvor gesehen haben, an dem sie sich aber merkwürdig vertraut vorkommen werden. An einen Platz, einen Zustand, den sie sich selber schon vorgestellt haben, ohne daran zu glauben. Aber was wäre, wenn doch ? Wenn weitab von der Zivilisation, in einem unerforschten Gebiet, dass noch nie Jemand betreten hat, dieser Ort besteht. Wo man des Tages Last vergisst.
"Hast du in diesen Zeiten des Krieges, oder drohenden Krieges, noch nie von einem Ort geträumt, an dem es Frieden und Sicherheit gibt. In dem das Leben nicht Kampf, sondern andauernde Freude bedeudet ?
Natürlich hast du davon geträumt. So wie Jeder seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Immer derselbe Traum. Manchmal nennt man es Utopia. Manchmal Jungbrunnen."
Hier nennt man es Shangri-La.

Der Name der Oase ist egal [ Belovodye, Chang Shambala etc. ], die Merkmale gleichen sich. So sind auch hier die vier Begleiter von Conway und vor allem er selber überbewältigt von der schieren Schönheit des verwunschenen Geländes, dass eingeschlossen von allen vier Gebirgsseiten das Paradies schlechthin darstellt. Der Sehnsuchtsort spiritueller Einsichten. Eben hatten der Paläontologe Alexander P. Lovett [ Edward Everett Horton ], der Betrüger Henry Barnard [ Thomas Mitchell ], die totkranke Amerikanerin Gloria Stone [ Isabel Jewell ] und Roberts Bruder George Conway [ John Howard ] noch den drohenden Tod vor den Augen, waren ins Ungewisse entführt worden, überlebten nur mühsam einen Absturz und sahen sich ohne Verpflegung und Wärmekleidung einem Schneesturm im unzugänglichen Himalaya ausgesetzt, als sie das konträre Gegenteil erblicken.
Shangri-La bietet den jeweiligen Kontrast zu der realen Welt. Draussen Minusgrade in über fast 5000 Meter hohe Pässe, hier sommerliches Wetter. Vogelschwärme. Blühende Gartenanlagen, Fliederbüsche, Kirschblüten, Wasserfälle, Waldseen mit Rosen dekoriert, grünende Haine. Springbrunnen, breite Treppenhäuser, in die Luft schiessende Säulengänge. Blumenumrankt, urig, wildromantisch. Marmorsteinbrüche reihen sich an Holzschnitzereien und Tuchweberein. Durch die frische Luft schwirren Tauben mit Bambusflöten, die bei jedem Flügelschlag feine Melodien spielen.
Zu schön und perfekt, um wahr zu sein.

Basierend auf James Hiltons Roman "Lost Horizon", der ab der Veröffentlichung 1933 ein Millionenseller war und dessen sagenumwobener Schauplatz sehr vielen Menschen aus der Seele sprach und bis heute Faszination ausübt, ist der Film als Prestigeobjekt der damals noch jungen und kleinen Columbia Pictures weniger eine simple adventure - story. Wie auch, nahm das Budget mit 2,5 Millionen USD das halbe Jahresbudget der Columbia ein, die bis dahin auch nicht mehr als 500.000 in einen einzigen Film gesteckt haben. Es verbirgt sich auch viel mehr dahinter, obwohl es damals schon fraglich war, ob die Thematik überhaupt zeitgemässs sein könnte. Und es bei der zweiten Verfilmung Der verlorene Horizont [ 1973 ] erst recht nicht mehr war; die zudem noch Musicalnummern reinstopfte und sich so gleich dem ehrenrührigen Kitsch ergab. Während man hier immerhin noch Denkanstösse beigeben kann und sich als fast perfekter Ausweg aus der Trostlosigkeit präsentiert, und nebenbei auch Zweifel, Abkehr, Rückkehr und aussenstehende Sichtweisen einspielen lässt.

Wie auch die Vorlage beinhaltet man einen rätselhaften, unerklärlichen und mysteriösen Ursprung und wird symptomatisch in eine mystische, durch die offenen Fragen auch unheimliche, da eben unergründliche Welt gezogen, aber es geht nicht um einen direkten Spannungsaufbau, der auf Gefahren und ihre Überwindung setzt.
Nach dem rapiden und rauen Beginn - der auch nur so entstand, weil man nach ersten negativen Testvorführungen die ersten beiden Filmspulen schlichtweg wegliess - setzt man kaum noch auf Konfrontationen oder Abschattierungen, nicht einmal auf Obsessionen und unterdrückte Leidenschaften. Anfängliche Agressivität ist zugunsten von Ausritten in die Natur, Gesangsstunden und Schachspielen verschwunden. Die anfangs spürbar direkte Inszenierung und Votäuschung in perfekter Trickkunst durch Originalaufnahmen in Verbindung mit Wind-, Schnee- und Rückprojektionsmaschinen entlässt den Betrachter mit dem Eintritt nach Shangri-La in eine Art schwebender Erholung. In der man auch ohne Effekthascherei und oberflächliche Action genug damit zu tun hat, sich an der Optik der poetischen, zuweilen auch arg naiven bis geringfügig lächerlichen Geschichte sattzusehen und sich selber in ihr static set-piece Fundament zu versetzen.

Was wäre denn, wenn man selber die Möglichkeit hätte, die grenzenlose Gastfreundschaft geniessen zu können, sich täglich an den reich gedeckten Tisch zu setzen, wohlsortierte Bibliotheken zu erkunden und Instrumente und Skulpturen zu bewundern. Würde man Fragen stellen wie George, der vom ersten Moment an weg will oder würde man sich mit den wenigen, orakelhaften Antworten begnügen, die der Führer Chang [ H.B. Warner ] seinen Bruder Robert mitteilt ?
Könnte man mit der ständigen Eintracht, der Harmonie, Ruhe, Stille auf Dauer leben oder würde Einem etwas fehlen ?

Während in der Wirklichkeit in Spanien bereits Krieg herrschte und Hitler, Stalin und Mussolini am Aufrüsten waren, predigen die Bewohner Shangri-Las die Antithese: Die Tugend, Exzesse jeglicher Art zu vermeiden. Man regiert mit moderater Strenge und ist auch mit moderatem Gehorsam zufrieden. Es gibt keine Soldaten, keine Polizei und trotzdem keine Straftaten, weil alles ausreichend vorhanden ist. Man streitet sich nicht, nicht mal um die Liebe, denn ein klein bisschen Höflichkeit und Benehmen löst alle Probleme. Mäßigung ist das Schlagwort. Und die einzige simple Regel einer funktionierenden globalen Ordnungsstruktur ausstaffiert mit Glorienschein und Kreuznimbus lautet: Sich gegenseitig glücklich zu machen.

Also im Wesentlichen ein moralisches Gleichnis, technisch glänzend umgesetzt, etwas schwach und zuweilen unsympathisch gespielt. Eine Machtprobe der Traumfabrik, die in einer Drehzeit von zwei Jahren etliche neue Rekorde aufstellte - grösste Kulisse, sechsmonatige Aufnahmen in einem ummodulierten Gefrierhaus, die Gesamtkosten der zwanzig anderen Columbiaproduktionen gleichen Jahres in einem Projekt - aber trotzdem nicht erschlagend, sondern persönlich und desöfters intim wirkt. Keine Science Fiction, nur dem Schein nach Mutprobe und Nervenkitzel und allerhöchstens ein bisschen Fantasy, aber 'bloss' als Wunschvorstellung. Basierend auf kulturellen, religiösen und ethischen Merkmalen der Tibeter. Kein Realismus, sondern der Komplementärentwurf dazu, addiert mit Idealismus; aber trotzdem eine Anprangerung der sozialen Mißstände und ein Aufzeigen veränderter Umstände. In dieser eskapistischen, aber trotzdem nicht gänzlich weltfremden Verfilmung ist Conway nicht umsonst kurz vor der Ernennung zum britischen Aussenminister - im Remake ist es ein UN-Diplomat -, der sich als Vertreter der Gesellschaft mit dem kommenden Weltenbrand auseinandersetzen muss.

Capra, der kurze Zeit darauf mit den Why we fight ? - Filmen den Gegenangriff auf Riefenstahls Triumph des Willens setzte und für Demokratie und Freiheit des Individuums eintrat, arbeitete auch hiermit direkt am Nerv des Publikums. Bietet ihm im weltweit aparten Handlungsappell aber eine viel zu einfache Lösung aus Lyrik, Güte und märchenhafter Symbolik an, die nicht umsonst als Flucht vor dem Gewissen, Pflicht und Verantwortung und als Rückzug in Behaglichkeit, Gemütlichkeit und auch Mittelmäßigkeit betrachtet werden kann. Ja, sogar muss. So wie man in dieser speziellen, christliche mit buddhistische Motive verschmelzenden Glaubensansicht auch selber die Augen verschliessen und das Unangenehme vor allem bezüglich des Missbrauchs militärischer Kräfte ausblenden muss. Wenn man Verbrechen, Krieg und Gewalt da draussen einfach in schweigender Übereinstimmung abwartet, werden die in Liebe Gottes treuen Menschen zur Vollkommenheit gelangen, alle - Schwachen - miteinander in Frieden und Einheit leben und es Haß, Vorurteile, Armut, Not und Gier nicht mehr geben.

Ganz so einfach ist es dann doch nicht, zumal es frei von schockierender Offenheit, geistreicher gesellschaftskritischer Ironie und vielseitigen Überlegungen behandelt wird; was auch der Film selber bei verschiedenen Reaktionen zu spüren bekam und nach dessen Wind er auch sein Fähnchen drehen konnte, wie es ihm beliebte.
Die Engländer überschlugen sich vor Lob und machten ihn ebenso wie die Amerikaner zum Kassenschlager. Die Antikriegspropaganda stoch bei den deutschen Nationalsozialisten in ein Wespennest, während in Italien die Synchronisation den Inhalt nach Gutdünken des Duce del Fascismo ummünzte. Hollywood beteiligte sich an dieser Verfälschung des Ursprünglichen, brachte den Film 1943 neu heraus und setzte ihn mit geringfügig veränderten Schrifttafeln als Agitation gegen die Japaner ein; um so selbst zum Erfüllungsgehilfen politisch-kapitalistischer Mächte zu degenerieren.

Streicht man dies alles weg und interpretiert man die leicht patinierte Erzählung nicht mit Rationalismus und Wissenschaftsglauben zu Tode, so wird in über zwei Stunden Laufzeit der neben Das zauberhafte Land [ 1939 ] wohl grösste Traum jenseits des Alltags, zumal in einer einzigartigen, oft sehr attraktiven Faasade geboten. Eine Geschichte von Fernweh, der Entsagung aus Ödnis in die Idylle, der Antwort auf Verwirrung und Verunsicherung eines ganzes Lebens und des Findens individuellen Glücks.
Oder wie es das Schlusswort so milde sagt:
"Meine Herren, ich will mit Ihnen anstossen. Trinken wir auf die Hoffnung, dass Robert Conway einmal sein Shangri-La finden möge. Trinken wir auf die Hoffnung, dass wir alle einmal unser Shangri-La finden."

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