Eine Frau schminkt sich. Eine andere Frau raucht eine Zigarette und liest in einem Büchlein. Eine Frau blickt längere Zeit fast regungslos in die Kamera.
Mehr als fünf Minuten sind vorbei, in dieser Zeit hat man nichts anderes gesehen. Und auch in den folgenden Filmminuten sieht man in LE BERCEAU DE CRISTSAL praktisch nichts anderes, als die Gesichter von einigen Frauen.
Ich habe schon öfters etwas über Filme geschrieben, die für das Mainstream-Publikum definitiv nicht geeignet sind. Und auch LE BERCEAU DE CRISTSAL gehört auf keinen Fall zu den Filmen, die man sich rasch zwischen SAW III und dem neusten BATMAN-Film anschauen sollte...
Wobei dieser faszinierende Film von Philippe Garrel eh nie von jemandem gesehen werden wird, der sich nicht wirklich dafür interessiert. Die alte limitierte Videoausgabe ist längst ausverkauft, nur schon eine Kopie in akzeptabler Qualität aufzutreiben, ist alles andere als leicht.
In den 60er- und 70er-Jahren haben meiner Meinung nach Alain Robbe-Grillet und Philippe Garrel in Frankreich die interessantesten subversiven Meisterwerke realisiert.
Visuell ist LE BERCEAU DE CRISTSAL zwar nicht ganz so beeindruckend, wie einige seiner anderen Filme. Eine ganz besondere Atmosphäre hat er jedoch auch hier erzeugt.
Enorm faszinierend ist der Score von LE BERCEAU DE CRISTSAL. Die atmosphärische Musik schwankt immer wieder zwischen unbeschreiblich schön und traurig, manchmal ist der Sound auch ziemlich wirr. Die Darstellerin Nico war bekanntlich ein Bandmitglied von "The Velvet Underground".
Dialogpassagen gibt es in diesem speziellen Film keine. Nur ganz selten ist die verzerrte Stimme einer Frau zu hören. Und was man hört, passt bestens zu der meist tristen und melancholischen Grundstimmung.
In der letzten Filmsequenz schiesst sich eine der Frauen in den Kopf. Filmende. Puh...
LE BERCEAU DE CRISTSAL gehört zwar nicht zu den kreativsten und natürlich auch nicht zu den abwechslungsreichsten Filmen von Philippe Garrel. Trotzdem ist dieser subversive Kunstfilm in meinen Augen ein kleines Meisterwerk.
Das Werk aus dem Jahre 1976 gehört zu den wenigen Filmen, die mich auch nach dem Filmende noch für eine längere Zeit beschäftigt haben.
9 Punkte