"A cavallo della tigre" (Vergewaltigt in Ketten) brachte 1961 vier führende Vertreter der „Commedia all’italiana“ zusammen. Mario Monicelli, Agenor Incrocci (genannt "Age") und Furio Scarpelli hatten seit "Totò cerca casa" (1950) das tief im Neorealismus verwurzelte komödiantische Genre in Italien maßgeblich beeinflusst und mit "I soliti ignoti" (Diebe haben's schwer, 1958) und "Le grande guerra" (Man nannte es den großen Krieg, 1959) zwei stilbildende Filme herausgebracht. Auch Regisseur und Mit-Autor Luigi Comencini wurde vom Neorealismus geprägt und war seit "Pane, amore e fantasia" (Liebe,Brot und Fantasie, 1953) für seine leichten Komödien in einem realistischen Umfeld bekannt geworden. Ein Jahr zuvor hatte er gemeinsam mit Scarpelli und Age das Kriegs-Drama "Tutti a casa" (Zwischen den Fronten, 1960) entwickelt, weshalb die Ergänzung mit Mario Monicelli noch eine Steigerung der Qualität versprach. Zudem waren die männlichen Hauptrollen mit Nino Manfredi, Mario Adorf und Gian Maria Volonté in seiner ersten größeren Rolle ausgezeichnet besetzt, aber „A cavallo della tigre“ taucht heute in keiner Liste über die „Commedia all’italiana“ auf und wurde bei seinem Erscheinen zu einem heftig kritisierten Misserfolg.
Dabei beginnt der Film urkomisch, wenn Giacinto (Nino Manfredi) versucht einen Überfall auf sich selbst vorzutäuschen. Erst vergräbt er seine Tasche mit Habseligkeiten, dann fährt er sein schrottreifes Auto gegen eine herbei gerollte Baumwurzel, um sich mit einem Stein noch selbst zu schlagen, damit seine Verletzung überzeugender ist, bevor er sich selbst fesselt, in dem er sich in ein Seil hineindreht, dass er zuvor am Fahrzeug befestigte. Es ist kaum anzunehmen, dass sich die Polizei davon hätte täuschen lassen, aber dazu kommt es auch erst gar nicht. Als er einem vorbeigehenden Fischer zuruft, er wäre überfallen worden und er möge bitte Hilfe holen, erzählt dieser der Polizei, wie es sich tatsächlich zugetragen hatte – darauf, dass der Fischer ihn die gesamte Zeit beobachtet hatte, war Giacinto nicht gekommen. Der Versuch eines Versicherungsbetrugs war eine Verzweiflungstat, um seine Familie zu ernähren, bringt ihm stattdessen aber nur drei Jahre Gefängnis ein.
Nach dieser kurzen Vorgeschichte wird Giacinto auf der Krankenstation des Gefängnisses gezeigt, wo er im weißen Kittel als „Krankenschwester“ arbeitet – einen Job, den er schon während des Krieges in der Armee innehatte. Manfredi spielt die Figur des Giacinto als sympathischen und gutmütigen Naivling, der alles richtig machen will und sich ohne Egoismus für eine Sache einsetzt. Das er immer mehr in Schwierigkeiten gerät, verdankt er seinem fehlenden Durchsetzungsvermögen und der Unfähigkeit, Situationen richtig einzuschätzen. Von dem brutalen Mörder Mario Tagliabue (Mario Adorf), dessen Zellengenossen Papaleo (Gian Maria Volonté) - trotz seines intellektuellen Gehabes ein gefährlicher Gewalttäter - und einem kleinen, älteren Mann (Raymond Bussières), genannt „Il sorcio“ (Die Maus), wird er dazu gezwungen, Dinge zu organisieren, die sie für einen Ausbruch benötigen. Als er das dem „Commandante“ erzählt, einem älteren von Tagliabue misshandelten Häftling, rät dieser Giacinto, damit zum Gefängnisdirektor zu gehen, da er dann ein halbes Jahr früher frei käme.
Allein die Vorstellung, in einem Gefängnis um einen Termin beim Gefängnisdirektor zu bitten, nachdem man zuvor in eine geheime Aktion involviert war, ist absurd, aber Giacinto denkt sich nichts dabei. Es kommt zu den erwartbaren Konsequenzen – seine Zellengenossen sorgen dafür, dass er zu Tagliabue und seinen Kameraden verlegt wird, die ihm seine Idee schnell austreiben. Im Gegenteil planen sie ihn mitzunehmen, damit er sie nicht verraten kann, aber Giacinto fleht sie an, ihn zurückzulassen, da er in wenigen Monaten seine Strafe abgesessen hätte. Tagliabue fragt ihn, ob er einem harten Verhör standhalten könnte, was Giacinto vehement bejaht, aber als er schon bei einem Ohrdreher damit herausrückt, dass der „Commandante“ ihm den Tipp mit dem Direktor gegeben hatte, entscheidet Tagliabue endgültig, ihn mitzunehmen. Allein diese Szene ist in ihrer Direktheit sehr komisch, aber das täuscht darüber hinweg, dass nur Nino Manfredis hingebungsvolles, jede Konsequenz hinnehmendes Spiel eine Realität kontrastiert, die nicht härter und demoralisierender sein könnte, ohne das „A cavallo della tigre“ bei seiner Darstellung des Gefängnisalltags und der Armut der Bevölkerung übertreibt.
Der deutsche Titel „Vergewaltigt in Ketten“ ist nicht nur inhaltlich falsch, sondern vermittelt eine extreme, außergewöhnliche Situation. „Der Ritt auf dem Tiger“ - wie der Film nach einem chinesischen Sprichwort wörtlich übersetzt heißt – bezeichnet dagegen die generelle Schwierigkeit, aus einer Sache auszusteigen (vom Tiger abzusteigen) und bezieht sich auf die vordergründigen Ereignisse um den geplanten Ausbruch, mehr noch aber auf Giacintos armseliges Leben, das ihm von Beginn an keine Chance ließ. Auch in Monicellis „I soliti ignoti“ wechselten sich unmittelbar komische und tragische Momente ab, aber die Story hatte ein Herz für die Armen und betrachtete sie mit Sympathie. In „A cavallo della tigre“ gibt es dagegen keine Solidarität mehr, wird Giacinto mehrfach von Tagliabue und den anderen Männern brutal verprügelt und entkommt nur knapp dem Tod. Auch nach dem Ausbruch, der sich als gerissenes Meisterstück herausstellt, versucht jeder seinen eigenen Vorteil aus der Sache herauszuschlagen.
Trotz mancher gelungener Aktion entsteht in Comencinis Film nie der Eindruck von Entspannung oder Zufriedenheit, wie er den Protagonisten in anderen Komödien zumindest zeitweise gegönnt wird. In der Darstellung der Realität einer durch Armut korrumpierten Bevölkerung ähnelt der Film dagegen Antonionis „Il grido“ (Der Schrei, 1957), der diesem Zustand jede Sentimentalität ausgetrieben hatte. Denn trotz der Widrigkeiten, die Giacinto im Knast und auf der Flucht widerfahren waren, hinterlässt die Wiederbegegnung mit seiner Frau und seinen zwei Kindern den tristesten Eindruck. Anstatt ihn nur einen Moment zu begrüßen, belegt ihn seine Frau (Valeria Moriconi) mit Vorwürfen und verteidigt ihr Zusammenleben mit einem anderen Mann damit, das dieser sie und die Kinder wenigstens ernährt hätte. Beide brauchen in der ärmlichen, provisorisch gebauten Hütte auch nicht lange, um die Belohnung für sein Ergreifen einzufordern. Pragmatisch rechnen sie ihm vor, dass seine alleine nicht ausreicht, weshalb er auch noch Tagliabue, der neben ihm noch übrig blieb und mit dem er sich angefreundet hatte, verraten müsste – solidarische Gefühle sind längst egoistischen Interessen gewichen.
Einzig der sympathische und alles stoisch ertragene Giacinto verleiht „A cavallo della tigre“ seinen komischen Charakter, aber der Kontrast zu einer Realität, die keine Hoffnung bietet und dem Protagonisten keine Befriedigung erlaubt, war zu stark, um dem Film noch das komödiantische Prädikat zu verleihen – wahlweise galt das Spiel Manfredis als zu übertrieben oder der reale Hintergrund als zu ernst. Doch dieses Urteil, das später revidiert wurde, wird einem Film nicht gerecht, der die Ansichten seiner vier Macher perfekt widerspiegelte und zu einer konsequent radikalen „Commedia all’italiana“ wurde, allen sonstigen Einordnungen zum Trotz (9/10).