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Addio Onkel Tom ist ein Torpedo von einem Film. Das Intro zündet eine rasante Reise durch knapp 150 Jahre amerikanischer Geschichte bis in die frühen Siebziger. Eine radikale Achterbahnfahrt der Gefühle und Stimmungen begonnen bei Wut und Unverständnis, Humor und Ekel, Abscheu und Faszination. Der gesamte Film ist auf polarisierenden Gegensatzpaaren aufgebaut, die sich ebenso im Inhalt wie in der Gefühlswelt des Betrachters wiederspiegeln. Ständige Zeitsprünge zwischen Freiheitsbewegung, Martin Luther King-Ermordung, Radikalisierungstendenzen und Straßenkämpfen im Kontrast zu Sklavenschiffen, Plantagenarbeit, Menschenhandel und Folter. Derart zugespitzt werden die zeitlichen Grenzen verwischt, was dazu führt, dass eine Touristengruppe wild fotographierend und auf Souvenirjagd durch das Schlafzimmer einer Gutsherrin marschiert oder dass eine Bürgerkriegsschlacht von Sicherheitskräften und Sanitätern umringt wird.

Dieser Film tut weh.

Addio Onkel Tom ist ein kleines, inszenatorisches und höchst aufwendig ausgestattetes, gleichzeitig  auch ein zu tiefst verstörendes und absurdes Meisterwerk. Ein kontroverser Kunstgriff.

Wo die teils rassistische Interpretation der Kritiker herkommt, kann ich mir nicht erklären. Zu offensichtlich und plakativ sind die Seitenhiebe. Zu überspitzt sind die Kontraste, gerade auch durch die Zeitsprünge, als das der Rassismus sich als Intention der Regisseure manifestieren ließe. Aber immerhin entstand der Film 1971 (!). Er wird also in Amerika wie auch in Deutschland den Finger in offene Wunden gedrückt haben. Dadurch bekommt er aber auch eine nahezu prophetische Aura, die bei heutiger Sichtung umso mehr zum Vorschein tritt, als dies 1971 der Fall gewesen sein kann.

Allerdings, und hierher rühren die abgezogenen Punkte, ist der Film an einigen Stellen nicht hart genug oder konzeptuell zu wenig durchdacht, was den Gesamteindruck ein wenig unstimmig macht. Zum Beispiel  wirken viele der Gegenwartsszenen zu künstlich und konstruiert, als das ein wirkungsvoller Kontrast zum extremen Realismus der Szenen aus der Sklavenzeit entstehen könnte. Das finale Massaker hätte auch gern härter ausfallen können, gerade da es ja im Grunde einen Racheakt symbolisieren sollte. Auf der anderen Seite entsteht eine enorme Länge in der Freudenhaus-Episode, in der man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass Jacopetti sich hier eher an der exotischen Schönheit ergötzt als einen menschenverachtenden Kontrast zu erzeugen. Auch wirkt der invertierte Rassismus der freien Schwarzen im Kontrast zu den recht brav inszenierten Weißen am Strand ein wenig fehl am Platz. Dies ist aber angesichts eines derart polarisierenden Meisterwerks nur meckern auf hohem Niveau. Der Film ist und bleibt ein wirkungsvoller Tritt in die Magengrube.

Sollte man gesehen haben! 8/10

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