„Neger fühlen doch nichts!“
Es fällt mir schwer, etwas über diesen Film zu schreiben. Ich habe trotzdem mal versucht, meine wirren Gedanken halbwegs geordnet auf virtuelles Papier zu bringen:
Gualtiero Jacopetti und Franco Prosperi, die Begründer des „Mondo-Films“, jener italienischen reißerischen Pseudodokumentationen, die in etwas abgewandelter Form durch TV-Formate wie „Explosiv – Das Magazin“ und Konsorten unlängst Einzug in den hiesigen TV-Alltag und damit aktuelle Sehgewohnheiten gehalten haben und heute niemanden mehr hinterm Ofen vorlocken, drehten nach einem mir unbekannten, aber anscheinend ultraharten, ihnen Rassismus-Vorwürfe eingebracht habenden Mondo über den schwarzen Kontinent namens „Africa Addio“ 1971 den Film „Addio Onkel Tom“, der sich mit den US-amerikanischen Rassenkonflikten zwischen Schwarz und Weiß auseinandersetzt und sich auf Ursprungssuche begibt. Neben einer Kinofassung existiert ein längerer, sich erheblich unterscheidender Director’s Cut, auf den ich mich beziehe.
Ungewöhnlich erscheint bereits das Konzept: Anstatt mit Aufnahmen aus der Realität zu arbeiten oder dieses zumindest vorzugeben, wird „Addio Onkel Tom“ nach einem Prolog über die Rassenunruhen nach der Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King zu einem Spielfilm, innerhalb dessen die beiden Filmemacher sich selbst spielen, wie sie in der Vergangenheit zu Zeiten der Sklaverei als Reporter einen Dokumentarfilm über die Thematik drehen. Und was der Film ab diesem Zeitpunkt abbrennt, ist ein riesiges Feuerwerk rassistischster und menschenverachtendster Episoden, die mithilfe hunderter farbiger Statisten und Nebendarsteller die damaligen Vorgänge widerspiegeln wollen – inkl. zahlreicher Interviews mit den weißen „Mastern“. Doch das wirklich Besondere dabei ist, dass Jacopetti und Prosperi sich dafür der Stilmittel des Exploitationfilms bedienen, also reichlich Gewalt, Sex/Sleaze usw. in Nahaufnahmen zelebrieren und das Ganze dank ihres handwerklichen wie künstlerischen Geschicks mit einer beachtlichen, ganz wunderbaren Kameraarbeit veredeln und mit einen traumhaften Soundtrack von Riz Ortolani, einer der sichersten Bänke für gelungene Italo-Scores, unterlegt wird.
Vom Mainstream, einem vorgefilterten kulturellen Programm und allgemeiner, heuchlerischer Doppelmoral konditionierte Zuschauer mögen daraus ableiten, dass es sich um einen an niedere instinktive appellierenden, spekulativen Unterhaltungsfilm handelt und das mit Sicherheit empörend und verwerflich finden, doch lohnt es sich, genauer hinzusehen. „Addio Onkel Tom“ lässt zwar die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen, nimmt aber Bezug auf zahlreiche überlieferte tatsächliche Ereignisse und Personen – unverblümt und offensiv. „Addio Onkel Tom“ zeigt, wie man den afrikanischen Ureinwohnern das Menschsein abgesprochen und sie wie Vieh behandelt hat, und zwar auf eine Weise, wie es jeder Zuschauer versteht. Das Gezeigte wird dabei teilweise so sehr überzeichnet, dass es schon wie eine Karikatur wirkt, es gibt auch durchaus humorvolle Momente, doch liegt über allem ein wahnsinniger, bitterer Zynismus; fast so, als wäre es den Filmemachern nach ihren Recherchen unmöglich gewesen, eine andere Herangehensweise zu wählen, als wäre ein anderer Umgang mit der Thematik als ihr nicht gerecht werdend empfunden worden. „Addio Onkel Tom“ hat also etwas zu sagen und tut das, indem er den Zuschauer in eine ohnmächtige, ungläubige, voyeuristische Haltung zwingt und ihm seine Erkenntnisse ohne Rücksicht auf Verluste und losgelöst von ethisch-moralischen Bedenken um die Ohren haut, bis dieser kapituliert und in einer Mischung aus Abscheu und Faszination alles über sich ergehen lässt.
Im Epilog wird der Bogen wieder zum Prolog gespannt, der Kreis schließt sich und man befindet sich wieder in der damaligen Gegenwart bzw. die beiden Epochen verschmelzen miteinander. Man setzt die Verbrechen der Sklaverei in Kontext mit der Gegenwart, was in einem pessimistischen, ernüchternden Ende gipfelt.
Fazit: Eine so von mir zuvor noch nie vernommene Herangehensweise an ein Thema, das zu den Tiefpunkten moderner menschlicher Zivilisation gehört. Ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Filmerlebnis, über das sich am besten jeder Interessierte seine eigene Meinung bildet, sich dafür aber zunächst diverser moralischer Scheuklappen entledigen sollte. Dass auch waschechte Rassisten ihre Freude an diesem Film haben könnten, „Addio Onkel Tom“ für diese Klientel als Unterhaltungsfilm funktionieren könnte, hinterlässt aber einen faden Nachgeschmack.