Leider gibt es viel zu wenige Märchenfilme für Erwachsene; Ausnahmen wie der bisweilen surreal anmutende Company of the Wolves oder die düstere Schneewittchenverfilmung Snow White sind leider rar gesät. Wie bei dem Titel vielleicht zu erahnen ist, handelt es sich bei Red Riding Hood um eine Adaption der Rotkäppchengeschichte - wenn auch sehr vage interpretiert und mit dem klassischen Märchenfilm nur wenig gemeinsam. Nein, Red Riding Hood ist eher eine Rückbesinnung auf die “alte Schule” des italienischen Horrorfilms. Das heißt vor allem knallharte Latexeinlagen! Dem nicht genug, wird die interessante Geschichte noch in schicker Optik erzählt und mit einem sehr opulentem Score garniert. Doch inwieweit unterscheidet sich der klassische Stoff von dieser modernen Interpretation? Mit dem klassischen rote Haube tragenden Kind, einsam im Wald irrend und auf dem Weg zur Großmutter auf den Wolf stoßend, der voraus eilend sich im großmütterlichen Hause einquartiert hat diese Geschichte nur wenig gemeinsam. Eigentlich ist es schwer einen richtigen Vergleich zu erstellen, aber ich werde im Laufe der Kritik sicher auf die ein oder andere Parallele hinweisen.
Anfangen möchte ich mit der eigentlichen Person des Rotkäppchens. Dieses heißt hier Jennifer und ist eine - für ihr Alter von 12 Jahren - recht reife junge Dame, die nach dem Mord ihres geliebten Vaters, einen aufrechten Politiker, allein auf sich gestellt war. Über die Mutter wird wenig Worte verloren; was soll man auch über drogenversumpfte Nymphomaninnen schreiben? Ein, wie man so lesen kann, sehr in die Extreme gehendes Elternhaus, was sich auch in der Psyche des Kindes niedergeschlagen hat. Das aufmüpfige Blag beäugt schon sehr kritisch seine Umwelt, Unrecht und moralischer Verfall widern es regelrecht an; die Galle kommt ihr regelrecht hoch und wo einst ihr Vater verbal gegen Korruption und gesellschaftliche Missstände vorging, so geht sie noch eine Spur weiter. Des Nächtens macht sie sich mit ihrem maskierten Freund George auf, die Leute zu massakrieren, bei denen sie tagsüber moralische Verwerflichkeiten wie Ehebruch, Diebstahl oder Fahrerflucht beobachten konnten. Träumen hängt sie eher tagsüber nach, insbesondere wenn ihr heimlicher Schwarm - ein junger Hauslehrer - gastiert. Er ist der einzige Mensch dem sie einen Platz in ihrem Leben einräumen würde. So passt es ihr absolut gar nicht, das ihre Großmutter mütterlicherseits zu Besuch kommt und sie aus dem schönen Rom mit nach New York nehmen will. Eine wahre Tortur für die alte Dame beginnt, denn ihre geisteskranke Enkelin will unter keinen Umständen aus ihrer Traumwelt gerissen werden…
Dieses äußert sich in solch drastischen Szenarien, da könnte selbst Cathy Bates aus Misery noch etwas lernen. Insgesamt kommt Red Riding Hood auch wie eine Mischung aus Giallo, dem besagten Thriller von Stephen King und Versatzstücken aus Märchen daher - gut gewürzt mit viel schwarzem Humor und vielen versteckten Anspielungen auf seine geistige Vorlage. So etwas wildes und unorthodoxes konnte ja auch nur wieder aus Europa kommen, wieder einmal festigt sich Italien als mein liebstes Filmland. Nur hier in Europa traut man sich anscheinend noch etwas “neues” auszuprobieren, doch wahrscheinlich wird der Film eher unentdeckt bleiben und sich einem nur begrenztem Publikum erschließen. Das wäre schade, denn fernab von eingefahrenen und meist auch sehr vorhersehbaren Storyplots entwickelt Red Riding Hood einen faszinierenden Charme, dem man sich nur schwer entziehen kann. Grund ist vor allem die hassenswerte Hauptdarstellerin, deren unbarmherziges und kühles Auftreten, gerade in Verbindung mit ihrer sichtlichen Schizophrenie und des jungen Alters einen “etwas anderen” Killer mimend, hergibt.
Deren Morde fallen auf die alten Wurzeln besinnend recht graphisch aus, man fühlt sich fast in die Hochzeiten der 80er Jahre Horrorfilme versetzt. Richtig ausufernd wird es dabei selten, wenn auch nicht zimperlich mit Nagelschusspistole in Richtung Genitalien gezielt wird, Körperteile tranchiert werden oder Weinflaschen in Hälse gerammt werden. Interessanterweise stehen die Morde immer im direkten Bezug zu den “Untaten”: Ehebrecher bekommen Nägel in “das beste Stück”, diebische Elstern die Hände abgehackt und so weiter. Vielleicht noch krasser, weil den psychischen Aspekt mehr in den Vordergrund stellend, ist die Tortur der Großmutter, die ab ca. der Hälfte des Filmes beginnt. So wird der Allergikerin Erdnussbutter ins Gesicht und auf die Zunge gestrichen, welche derbe anschwillt und eine Artikulation kaum möglich macht. Aber das ist noch mit das harmloseste; wer Misery kennt kann sich ungefähr vorstellen wie man Leute ans Bett fesselt. Zu diesen Grausamkeiten kommt eben noch massive psychische Folter. Wie heißt es doch so schön? “Ein geschundener Geist in einem geschundetem Körper” !
Inszenatorisch verleugnet der Streifen seine barocke Umgebung nicht, die Kamera fängt - manchmal etwas zu wirr - die Kulisse Roms samt Markusplatz & Kolosseum schön ein und gerade die nächtlichen Mordszenen sind sehr atmosphärisch geraten. Jennifer und George sieht man dann mit ihren Fahrrädern den Opfern hinterher jagen, gekleidet mit roten Gummistiefeln und schwarzem Cape; George zusätzlich mit venezianisch anmutender Maske, deren weiße Schemen denen eines Wolfes ähneln. Dazu erschallt aus den Boxen extrem tiefes Wolfsknurren - sehr stimmig. Der Soundtrack, vorwiegend bestehend aus klassischen Opernmotiven und etwas zeitgenössischem Pop, ist ebenfalls sehr gelungen und vor allem die Streichorchestersequenzen lassen die herben Morde in einer Schönheit erstrahlen, wie man sie sonst nur aus den Filmen von Dario Argento her kennt. Wilde Kamerafahrten findet man genauso wie eine bedrückende Nähe der Kamera bei den Morden ohne sich in Details zu suhlen.
Eine scheinbar verquaste Mischung denkt sicher manch einer; wo sind denn nun die klassischen Rotkäppchenmotive? Schwer zu sagen, ich könnte da z.B. die roten Gummistiefel anbieten, das bei Company of the Wolves mehr herausgearbeitete Motiv des weiblichen sexuellen Erwachens bei der einseitigen Liebe mit dem Hauslehrer zu finden, der hier jedoch nicht (wirklich) den Part des behaarten Menschenfressers einnimmt. Es sind, wie ich schon an anderer Stelle erwähnte, kleine augenzwinkernde Momente die einem daran erinnern sich in einer modernen Rotkäppchenadaption zu befinden. So liest Jennifer ihrer Großmutter aus einem Märchenbuch eine leicht variierte Geschichte vor, im TV laufen Naturdokumentationen über Wölfe, in gar einer Szene - Jennifer “flieht” durch Rom - wird auf eine halsbrecherische Kamerafahrt durch den Wald geschnitten.
Eine tolle darstellerische Leistung von Kathleen Archebald - die Kunst gleichzeitig Mitgefühl und Verachtung zu erzeugen; Mitgefühl und Heroismus bei der Ausübung als Vertreterin von Moral und Anstand, Verachtung beim eiskalten Sadismus den sie bei der Erniedrigung ihres eigenen Fleisch und Blut ausübt. Man ist immer im Wechselbad der Gefühle. “Es ist doch noch ein Kind” sagt man sich und trotz der Grausamkeiten die Jennifer ausübt strahlt sie so eine naive Unschuld im Gesicht aus, das im nächsten Moment zu einer verzerrten Fratze wird. Auch die Rolle der Großmutter - von Anfang an in einer völlig anderen machtpolitischen Position als wie normalerweise gewohnt - wird von Susanna Satta gut gespielt. Ihre Verzweifelung und Hilflosigkeit geht einem in mancher Szene echt ans Gemüt und wäre da nicht der verspielte Score, so würde dieses noch einiges intensiver rüberkommen.
Die Story ist sehr clever und fesselnd aufgebaut, es gibt im Verlauf die ein oder andere unerwartete Wendung ohne das sich die Handlung in Nebensächlichkeiten verheddert. Dafür ist der Film dann doch zu linear aufgebaut, jedoch ohne in Klischees oder Bekanntem zu enden. Geschmackssache sicherlich das Ende, es wirkt etwas diffus - ohne jetzt großartige Vergleiche ziehen zu wollen: Haute Tension geht in ähnliche Richtung; auch dort streitet man sich ob dies nun ein großartiger Plottwist sei oder hanebüchener Unfug. Freunde von Euro-Horror aber sollten definitiv einen Blick riskieren!!!