Wir erinnern uns an den durchschlagenden Erfolg von Finchers Sieben, der Mitte der 90er das Thriller-Genre unter Zuhilfenahme einiger grotesker Szenen kräftig anschob. Fincher war es auch, der getreu Palahniuks Vorlage Fight Club auf der Kinoleinwand Fett zu Seife verarbeiten ließ. Auch die Verbindung nach Australien läßt sich schließen, ging von hieraus doch die lukrative Folterreihe Saw aus, die noch im Thriller-Format beheimatet startete.
Der im Horror-Genre groß gewordene Brett Leonard betritt nun mit Feed keine gänzlich unbetretenen Pfade mehr, versucht sich jedoch spekulativ Gehör zu verschaffen. Sein australischer Internetdetektiv ist dabei stets auf den Spuren grenzüberschreitender Praktiken, deren Aufklärung ihm in einigen Fällen zwar gelingt, das Verfahren jedoch oftmals eingestellt wird, nicht zuletzt, weil eben auch bei den grenzwertigsten Formen zwischenmenschlicher Zuneigung oftmals dennoch eine freiwillige Basis vorliegt. Auch das Opfer seines neuesten Falls ist überzeugt davon, aus Liebe zu handeln, wird jedoch für Onlinewetten mißbraucht, bei denen Fettfetischisten auf die Wahrscheinlichkeiten der Entwicklung einer Frau setzen, die nicht einmal mehr in der Lage ist das Bett zu verlassen.
Feed beruht auf einer Zweckgemeinschaft aus einem Feeder, meist ein schlanker Mann, und einem Gainer, eben im Normalfall einer Frau, die im Extrem bis zu ihrem Tode gemästet wird. So bizarr dies nun gerade in einer von Magersucht geprägten Gesellschaft klingt, die modisch ein gänzlich anderes Schönheitsideal erhebt, ist diese Form der Leidenschaft in mehr oder weniger starker Ausprägung durchaus präsent. Leonard betont mit einer Texttafel den Wahrheitsgehalt seiner Fiktion. Seine angebliche Absicht, mit Feed einen wirklichen gesellschaftlichen Kommentar abzugeben, bleibt aber doch überraschend im Hintergrund.
Zwar läßt er seine Figuren Aussagen über die allgemeinen Vorstellungen und Normen von Schönheit treffen, scheint aber schließlich doch mehr an der extremisierten Darstellung seiner Hauptfiguren interessiert zu sein, die eine unkommentierte Doppelmoral an den Tag legen.
Der Detektiv Jackson lebt dabei im moralischen Zwielicht, da seine nymphomane Freundin seine Abwesenheit zu Spielchen mit anderen Partnern nutzt und ihn bei seiner Rückkehr mit einem Intimpiercing überrascht. Darüber gibt er sich zwar nicht begeistert, beteiligt sich aber dennoch an Praktiken, die ein gewisses Aggressionspotential beinhalten. Auch er kann sich also nicht davon freisprechen, Grenzen zu übertreten, die für andere bereits ein Tabu darstellen würden.
Andererseits führt der Feeder ein biederes Familienleben, lebt seinen in der Kindheit begründeten Trieb nur im Geheimen aus. In seinen Internetvideos unerkannt bleibend wird deutlich, daß sein Handeln auf ihn eine erotisierende Wirkung ausübt. Dabei übertreibt er den Drang, die Völlerei zu fördern gänzlich, bringt es gar soweit, das Körperfett seines vorherigen Opfers der neuen Königin zwecks beschleunigter Gewichtszunahme einzutrichtern.
An dieser Stelle übertreibt Leonard mit Würgereizen, Erbrochenem und stetik im Bild zentriertem, nacktem Opfer, daß eine Diskussion bezüglich des Wertes über die schockierenden Szenen hinaus müßig wird. Ferner gerät er in den Verdacht, selbst das (wenngleich durch einen Silikonanzug erzeugte) Abbild eines adipösen Menschen als Effekt zu gebrauchen, anstatt die soziale Gleichstellung eines Übergewichtigen zu bestärken.
Leider strauchelt er dabei, seinen Figuren dazu ein schlüssiges Profil zu geben. Brett Leonard schließt sich in gewisser Weise durch den Kannibalen von Rotheburg aufgeworfenen Diskussionen um die Bedeutung des freien Willens bei lebensbedrohlichen Handlungen zwischen zweier Personen mit einem neuen Aspekt an, ohne jedoch eine klare These vorzustellen.
Nach seiner durchaus optisch ansprechend photographierten Titelsequenz verliert Feed durch seinen DV-Look schnell an wertigem Aussehen. Gerade die Verwendung von Farbfiltern wirkt in dieser Form aufgesetzt, entspricht eher den Koventionen des Fernsehens als des Kinos. Jagt der Detektiv seinem Verdächtigen per Pedes hinterher, so bleibt dieser tatsächlich an der Ecke stehen, um hier zu warten, damit auch der Verfolger richtig abgestimmt wieder im Bilde erscheint.
Diese Defizite zeugen von einer Verweigerung gegenüber eines flüssigen Spannungsfilms, legen jedoch auch nahe, wie sehr die Konzentration auf kontroverse Schockszenen gelegt wird.
Tatsächlich könnte sich Leonard mit Feed dabei verspekuliert haben, setzt er doch auf Bilder, die dem aktiven Internetuser ohne eigenes Zutun in der einen oder anderen Community schon begegnet sein könnten. Leider tragen Menschen wie Medien dazu bei, daß Unerwartetes schwerlich zu treffen ist. Das Groteske funktioniert vornehmlich bei dem Publikum, welches selbst über die Untiefen des Internets nur Mutmaßungen anstellen mag.
Ungefragt, ob dies dann unbedingt die Zielgruppe ist, funktioniert die Handlung als Thriller eher mäßig und geht als Schocker nach heutigen Kinokonventionen wohl nicht weit genug, um im Vergleich mit den teils wirklich fragwürdigen, auf den Leinwänden abgebildeten Absonderlichkeiten mithalten zu können. Kontrovers ist Feed ganz bestimmt, jedoch insbesondere bei der Begründung, warum man den Film eigentlich ansehen sollte. Dem Genre als solches hat er genauso wenig hinzuzufügen, wie dem Thema an sich.