Nach dem eher phantasie- und spannungsarmen Tief mit Holmes-Fall Nr.10 (oder Nr.8, je nachdem ob man die Fox-Filme dazu zählt), hieß es für die elfte Produktion wieder "Back to Basics".
Statt Mystery wurde wieder auf Krimi und Verbrechen gesetzt und zu diesem Zweck ließ man sich einen relativ verwinkelten Plot einfallen, der hoffentlich allen Erwartungen gerecht wurde. Doch der weitschweifige Flickenteppich, der später zu "The Woman in Green" geriet, hat zwar so seine zeitweisen Qualitäten, aber auch so große Dramatik- und Logiklöcher, das sie kaum noch auszuloten sind.
Alles beginnt, ungewohnterweise, mit einem Voiceover aus zweiter Hand, nämlich durch Inspektor Gregson, den ermittelnden Beamten in einer Mordserie, bei der den jungen, weiblichen Opfern stets ein Finger abgetrennt wurde. Gregson, im Gegensatz zum abwesenden Lestrade zwar ratlos, aber nicht inkompetent gezeichnet, wendet sich alsbald an Sherlock Holmes, während die titelgebende Frau in Grün bereits im selben Lokal den Adeligen Sir George Fenwick (Paul Cavanagh kehrt nach "The House of Fear" zur Serie zurück) angräbt und diesen mit zu sich in ihr Appartment nimmt. Von diesem Ausflug erwacht er in einer billigen Absteige mit einem abgetrennten Finger in der Tasche und obwohl schon jetzt alles nach Mord und/oder Erpressung schreit, kehrt Fenwick zu seiner Bekannten Lydia zurück, wo ihn schon ein sehr selbstsicherer, wenn auch halb unterwürfiger Mann mit dem Motiv erwartet: er will Geld...
Und schon an diesem Punkt sind die beliebten Elemente der Serie wieder alle beisammen: Holmes und Watson auf der Spur einer Mordserie, eine Verbrecherbande im Hintergrund, eine mysteriöse Frau, eine ungeahnte Bedrohung. Letztere wird sich in der Folge als Hypnose erweisen, die natürlich für Watson und Holmes ein heißdiskutiertes Thema sein wird - und nicht zuletzt eine Möglichkeit, den wie üblich wider früherer Erfahrungen immer noch überheblichen Watson in eine peinliche Lage bringen wird.
Auch in diesem Fall klingen die einzelnen Elemente aufgezählt besser als die fertige Gesamtkomposition an Film, die am Ende geflickschustert wurde. Das deutlichste Kennzeichen und die eigentliche Schwäche ist es, ein Thema aufzubringen, es aufzubauen und dann wieder fallen zu lassen. Eingangs scheint es dank Gregson Voiceovers mal ein Fall aus einer neuen Perspektive zu sein, doch außer der Einleitung hat Gregson dem Publikum nichts mehr zu berichten und verschwindet später lange aus der Handlung. Die Mordserie, die sich morbide dargestellt hat, gerät zum Mittel zum Zweck, um den Adeligen als möglichen Täter zu erpressen. Der Aufwand scheint jedoch ein bißchen groß zu sein für eine simple Gelderpressung - für diesen Fall allein (es gibt keine Hinweise darauf, daß es noch mehr Erpressungsopfer gibt) fünf Menschen umzubringen, ist schon eine soziopathische Großtat.
Womit wir auch beim Verursacher der Vorfälle und Morde wären: der ist nämlich kein Geringerer als Professor Moriarty selbst, der nun schon zum zweiten Mal ohne Erklärung von den Toten wieder aufersteht, um am Ende wieder ins Gras zu beißen, noch dazu zum dritten Mal (lernt der Mann denn nichts?) durch einen Sturz aus großer Höhe. Doch der Napoleon des Verbrechens geht hier nicht mit dem Florett, sondern offenbar mit der Dampfwalze voran, die Metzelei scheint in keinem Verhältnis zum Ziel zu stehen, aus dem funkelnden Intellektgenie ist ein banaler Erpresser geworden. Das bemerkt dann auch Holmes, als beide endlich zusammen treffen, doch auch hier sprühen kaum Funken, Henry Daniell kann das Charisma seiner Vorgänger nicht in einer Sekunde erreichen, die Boshaftigkeit ebenfalls nicht.
Sobald dann das bewährte Tatmittel, die Hypnose erst einmal bekannt ist, fokussiert der Film nur noch auf die Spielerei mit diesem Thema. Erst darf sich Watson auf einem Kongress voller Fachleute selbst milde blamieren (der Production Code verbat es, daß er sich in Trance seiner Hosen entledigte, woraufhin er nun irritierenderweise nur ein Hosenbein hochkrempelt, was seine große Verärgerung darüber noch bizarrer wirken läßt), dann muß sich Holmes wieder einmal in die Höhle der Löwin begeben, um sich von Lydia Marlowe hypnotisieren zu lassen, was Moriarty natürlich zu einer persönlichen Abrechnung nutzen will. Der finale Twist wird dann noch dazu gewollt und an den Haaren herbeigezogen sein - bis dahin hat man die fünf Frauenmorde bereits fast völlig vergessen.
Auch der Holmschen Deduktion wird öfters mal unlogisch auf die Sprünge geholfen, allein Fenwicks Tod ist ein Kuriosum, denn Watson bestätigt einen klaren Herztreffer mit sofortigem Tod, bei dessen Eintritt das Opfer aber noch Zeit hatte, auf den Schreibtisch zuzukriechen und auf einen weiteren Hinweis zu deuten - ein weiterer Beweis, wie weit sich die gedrexelten Filmfälle von der Conan Doyle'schen Deduktion entfernt hatten.
Darstellerisch ist der Film solide, Daniell und Hillary Brooke machen ihre Sache ausgezeichnet, Gregson wird von Matthew Boulton sehr solide gespielt und sogar die Hypnotiseure kommen ordentlich rüber. Holmes Sarkasmus Watson gegenüber ist einer väterlichen Milde gegenüber einem eben manchmal infantilen Kind gewichen und die Beziehung wirkt nicht mehr ganz so beleidigend. Auch Ausstattung und Kameraführung, speziell bei den Hynnoseszenen (mit Blüten, die auf einem Wasserbad schwimmen und mittels optischer Tricks etwa Holmes in einen verwirrenden Bildstrudel hinein ziehen), sind mehr als ordentlich - allein das Drehbuch bleibt ein rätselhaftes Flickwerk, das mehr als einmal den Zufall bemüht, um die Einzelteile miteinander zu verbinden.
Generell wird die "Frau in Grün" zwar sehr gemocht und mir speziell wird der Film auch eher in Erinnerung bleiben als der blasse Vorgänger, aber die Fehler sind einfach zu offensichtlich, um sie zu ignorieren. Von jetzt an wirkte die Serie zunehmend abgenutzt und es mußten neue Orte gefunden werden, um Holmes wieder in alter Form zu präsentieren.
Man fand sie, wie in moderner Zeit, in Form von "Closed Room Mysteries" - an Bord von Schiffen oder Zügen. (5/10)