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„Nicht in diesem Ton, es ist Weihnachten!“

Mit seinem vorletzten abendfüllenden Spiel- und letzten Kinofilm „Wild Christmas“ aus dem Jahre 2000 beging US-Regisseur John Frankenheimer („Die Prophezeiung“) mit der Verfilmung eines Drehbuchs Ehren Krugers das Weihnachtsfest auf eine sehr spezielle Weise, nämlich in Form eines nicht unbedingt harmlosen, eher grimmigen Action-Thrillers.

„So ist es in vielen Beziehungen, dass es Probleme mit der Familie gibt!“

Der verurteilte Autodieb Rudy Duncan (Ben Affleck, „Chasing Amy“) und sein Mitinsasse, der Totschläger Nick Cassidy (James Frain, „Titus“), sollen in drei Tagen pünktlich zum Weihnachtsfest aus der Haft entlassen werden. Schon länger schwärmt Nick von seiner attraktiven Brieffreundin Ashley Mercer (Charlize Theron, „Im Auftrag des Teufels“) und fiebert auf das erste persönliche Treffen hin. Doch Nick wird sie nie zu Gesicht bekommen: Bei einer körperlichen Auseinandersetzung im Speisesaal segnet er das Zeitliche. Da Ashley nicht weiß, wie Nick aussah, Rudy von ihm aber sehr viel über sie erfahren hat, gibt er sich ihr gegenüber kurzerhand als Nick aus, um sich in ein libidinöses Abenteuer zu stürzen. Dieses fällt jedoch abenteuerlicher aus, als ihm lieb ist, denn noch bevor er ihr die Wahrheit sagen kann, muss er Ashleys schwerkriminellen Bruder Gabriel (Gary Sinise, „Forrest Gump“) kennenlernen, der einen Überfall auf das Casino, in dem Nick vor Haftantritt als Wachmann gearbeitet hat, plant – und dafür Nicks Insiderwissen braucht. Dem falschen Nick bleibt nichts anderes übrig als mitzuspielen, denn Gabriel zwingt ihn mit Waffengewalt dazu…

„Wenn du 'ne Zukunft willst, dann nimm sie dir mit Gewalt!“

Bilder toter Weihnachtsmänner respektive Männer in Weihnachtsmannkostümen eröffnen den Film, bevor er erzählt, wie es zu dieser Szene kam und dafür sechs Tage zuvor ansetzt: Rudy sitzt noch im Knast und führt in seine Rolle kurz per Voice-over ein, bevor der Film seine normale Struktur annimmt. Frankenheimer hat damit neugierig gemacht, das Bild blutüberströmter Santas will so gar nicht zur weihnachtlichen Vorfreude hinter den Gefängnismauern passen. Neben den opulent eingefangenen Bildern verschneiter, einsamer Landschaften ist Frankenheimers beliebtestes Stilelement bzw. erzählerischer Kniff in der Folge das Kaskadieren überraschender Wendungen. In deren Zuge entpuppt sich die auch mal blankziehende Ashley als böse Femme fatale, die es bei ihren Angaben zur Verwandtschaft mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, und als stichfestes Argument gegen blind dates.

Die Folge dieser ungesunden Dreiecksbeziehung, in der jeder dem anderen eine andere Identität vorspiegelt, sind heftige Eruptionen körperlicher Gewalt und Schießereien, waghalsige Stunts sowie ein Coup, der anders verläuft als geplant. Das macht recht lange Spaß mitanzusehen, gerade auch wegen seines zeitweise gedrosselten Erzähltempos zwecks nachhaltigerer Etablierung der unwirtlichen, frösteligen Stimmung, und ist spannend umgesetzt sowie gut geschauspielert. Affleck überzeugt in seiner Rolle als anfänglich ambivalenter Schwindler und später bemitleidenswerter Pechvogel, Theron gibt die verruchte Gangsterbraut eiskalt und sexy zugleich und Sinise dürfte wohl so etwas wie die Idealbesetzung eines Gangsters vom Schlage Gabriels sein. Leider bekommt man gegen Ende eine Wendung zu viel vorgesetzt, die zu schlucken schwerfällt, zu unglaubwürdig ist sie ausgefallen. Als habe Frankenheimer das geahnt, legt er seinen Figuren Fragen hinsichtlich der Unwahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Plandurchführung in die Münder – diese „Diskussion“ verläuft jedoch ergebnislos.

Ansonsten ist der mit einigen Neo-noir-Anleihen gespickte und mit vielen Weihnachtsliedern musikalisch zynisch untermalte „Wild Christmas“ (im Original treffender „Reindeer Games“ betitelt) ein reichlich konsequenter Antiweihnachtsfilm: Liebe ist nur geheuchelt, mittels ihrer werden Menschen manipuliert und missbraucht. Sie dient einzig als Mittel zum Zweck. Dieser lautet: Befriedigung der Habgier. Rohe Gewalt übernimmt bald das Zepter und Weihnachtsmänner bringen letztlich den Tod.

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