Dem Horrorfilm ging es die letzten Jahre bekanntlich nicht besonders gut. Zu viel Kommerzware, zu nah am Mainstream orientiert, zu harmlos, zu fad und selten konsequent.
Wes Craven? John Carpenter? Tobe Hooper? George A. Romero? Die Altmeister ziehen sich zurück oder glänzen allerhöchstens noch mit mittelmäßiger Genreware. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Denn frisches Blut braucht das Genre! Einer der wenigen, der das schwere Erbe antreten kann und es mit seinem Leinwanddebüt „Dog Soldiers“ im Grunde auch schon getan hat, ist Neil Marshall. Der britische Filmemacher erntete vor drei Jahren auf vielen Filmfestivals für seinen Werwolfreißer großes Lob und kehrt nun erneut in die Wälder zurück, bleibt aber nicht an der Oberfläche, sondern taucht in ein Höhlensystem ein und sorgt dafür, dass mir zum ersten Mal seit „Saw“ der Allerwerteste gehörig auf Grundeis ging. In knackigen 90 Minuten präsentiert Marshall hier puristischen, ungezähmten Horror: Effektiv, wirkungsvoll, blutig und humorlos. Die reinste Fördermaschine fürs Adrenalin.
Ihm ist weniger daran gelegen, wie einige, ich nenne sie mal anspruchsvolle Kritiker (*hüstel*), die ihm Halbherzigkeit, Substanzlosigkeit, mangelhaften Anspruch und fehlende Innovation vorwerfen, Anspruch mit Horror zu vereinen. Es geht ihm hier um Unterhaltung und nichts anderes ist „The Descent“. „Deliverance“ wurde bereits vor 30 Jahren von John Boorman gedreht. Hätte sich Marshall daran gewagt das Thema neu umzusetzen, hätte man ihn als Plagiator beschimpft. Wer möchte, kann die Höhlen rein metaphorisch als Sarahs Gefühlswelt umsetzen und das Ende damit in einen fatalistischen Kontext setzen. Das soll hier als Ansatz und gleichzeitig Erklärung des Endes reichen. So sehr ging es ihm hier nämlich nicht um eine intelligente Aussage, was dann auch das etwas, in Anbetracht des vorrangegangenen Films, angehängte Ende unterstützt.
Wie er es auch macht, es konnte für ein bestimmtes Klientel nur falsch machen.
Macht allerdings nichts, denn so wie er sein eigenes Drehbuch letztlich angepackt hat, funktioniert der Film von der ersten bis zur letzten Minute großartig.
Nicht ganz einfach darüber nun ein Review zu verfassen, weil jedes geschriebene Wort im Grunde schon zuviel ist. Deshalb empfehle ich auch jeden Interessierten sich den Film zunächst „unbeleckt“ anzuschauen. Zu leicht sind in diesem Fall Spoiler niedergeschrieben und der halbe Filmspaß neutralisiert.
Neuartig und innovativ ist Marshalls Hit in der Tat nicht, doch er hat seit „Dog Soldiers“ noch einmal einiges dazugelernt, sein Können verfeinert und setzt es nun innerhalb einer denkbar einfachen Prämisse in die Tat um. Seine Mittel sind simpel, ihr Einsatz perfekt.
Mitten in die Appalachen versetzt er sechs junge Frauen, die sich jährlich zu einem Abenteuertrip treffen. Doch dieses Jahr ist die Stimmung etwas getrübt und angespannt. Sarah (Shauna Macdonald) verlor vor fast genau einem Jahr bei einem Autounfall Mann und Sohn. Nicht alle wahren damals für sie da. Dementsprechend erfolgt das erste Zusammentreffen etwas zögerlich, doch alsbald scheint alles wie eh und je. Die Stimmung ist ausgelassen, der Abend vor dem Aufbruch in einer Blockhütte inmitten des unendlichen Gebirges durchaus harmonisch und die sechs Hauptprotagonistinnen auch dankbar erwachsene Figuren („I'm an English teacher, not fucking Tomb Raider“) mit denen Marshall jegliche Klischees der altbekannten Opferriege umschiffen kann.
Dem Vorspiel werden lediglich die zwingend notwendigen Charakterzüge abgerungen, was angesichts des folgenden Szenarios auch nicht weiter schlimm ist. Jeder von ihnen wird kurz vorgestellt, ein wenig mehr soll man über sie und ihre Beziehungen untereinander später in den Höhlen erfahren. Das reicht.
Die Optik selbst ist bereits hier kalt, geschliffen und rau, eben wie das feuchte Wetter und die Natur selbst. Ein vor sich hin modernder Hirsch stellt dies schon mal symbolisch klar. Von ihrer einladenden Seite zeigt Mutter Natur sich hier gewiss nicht.
Zwei Schocks als Appetitanreger lässt Marshall sich bis dahin nicht nehmen, ist jedoch nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen soll.
Denn weil dieses Jahr nun mal die Erkundung eines Höhlensystems so ganz fern ab vom Schuss auf dem Programm steht, wird sich, ausgerüstet mit Kletterwerkzeug, in das ausgemachte Ziel abgeseilt, wo dann auch schon das erste Problem wartet. Juno (Natalie Jackson Mendoza) hielt es in ihrer Kurzsichtigkeit für eine gute Idee Neuland zu erkunden, lässt deswegen den Wegplan im Auto, was zur Folge hat, dass sich die Gruppe höllisch verirrt.
Von da an zieht Neil Marshall das Tempo an. Die Ereignisse hier wiederzugeben, wäre Verrat am Film. Deshalb eben nur eine Beschreibung der raffinierten Inszenierung an sich. Die Ausleuchtung wird auf ein Minimum zurückgefahren. Nur Taschenlampen, Helmlichter, Fackeln und später ein Camcorder mit Nachtsichtfunktion erhellen das verschlingende Schwarz. Es wird klaustrophobisch, unübersichtlich und verdammt eng. Marshalls Kameramann Sam McCurdy, schon damals bei „Dog Soldiers“ im Einsatz, bleibt immer möglichst nah an der Gruppe, zeigt ein begrenztes Blickfeld und erzielt damit den gewünschten Effekt, sich als Zuschauer mitten unter ihnen zu fühlen. Die Soundkulisse, hier ein Rieseln, dort ein Knacken, dann wieder Tropfen, überzeugend und äußerst effektiv, trägt ihr übrigens zu dieser wahnsinnig packenden, an den Nerven zerrenden Atmosphäre bei. Wenn ich auf Fingernägeln kauen würde, hätte ich sie nach dem Film sicherlich abgehabt. Unzählige Momente, in denen der Zuschauer weiß, dass jetzt ein Schock kommen muss und dennoch erschreckt man sich, weil der Film sich eben immer wieder mit diese vermeintliche Vorhersehbarkeit zunutze macht.
Marshall ist ein wahrer Meister darin mit der Erwartungshaltung, die das Genre nun mal mit sich bringt, beziehungsweise natürlichen Urängsten des Zuschauers zu spielen, denn sein Gefühl fürs Timing ist punktgenau. Immer wieder deutet er an, nur am den wahren Horror doch nicht von Leine zu lassen und sein Publikum zappeln zu lassen. Er genießt diese Situation wahrlich, kostet sie bis zum letzten Moment aus und steigert die Extremsituation kontinuierlich zum Höhepunkt. Ein Survival – Trip? Im wahrsten Sinne des Wortes…
Lange lässt er seine Gruppe, die langsam Panik entwickelt, in diesem engen, unübersichtlichen Grottengewirr, mal eng und dann wieder unendlich weit, umherirren, kriechen, robben oder klettern, stellt sie vor erste Probleme, schmerzhafte Unfälle, einen verdächtigen Fund und gibt sie, wenn er denn sein Fundament fertig gegossen und sich den Zuschauer zurecht gelegt hat, schließlich frei.
Der archaisch geführte Kampf ums Überleben beginnt mit viel Blut und noch mehr verzweifelten Gekreische. Die Damen gehen, um mal die Realität zu bemühen, eine Spur zu renitent, abgeklärt und brutal zu Werke, folgen damit jedoch den Regeln des Genres und dienen der Dramatik. Ein simples Dahinscheiden und Flüchten hätte wesentlich langweiliger ausgesehen.
Die Explizität des Gezeigten ist enorm und wahrlich nichts für schwache Nerven. Schnittgewitter spart Marshall sich auf, zeigt sich wenig kompromissbereit und hält stattdessen stolz drauf. Es ist Horror und so soll er auch ausschauen: Furchtbar, schmerzhaft, detailliert, grausam und brutal. Eben nichts für schwache Nerven... Eigentlich ein Unding, wenn man mal aktuelle Produkt zu Vergleichen heranzieht.
Nicht aus rein plakativer und provozierend graphischer Berechnung, sondern um den Schmerz, ergänzend zum Psychoterror, sichtbar zu machen, wird die exzellent arbeitende Make-Up Crew bestellt.
Die sparsame Lichtkulisse sorgt für das Übrige, zumal sie mit zunehmender Laufdauer arg dezimiert wird und auch die Batterien zuneige gehen. Regelmäßige Schocks werden platziert, von denen einige in Mark und Bein gehen, weil Bild und Ton so optimal miteinander harmonieren. Positiv ungewöhnlich, dass das Geschehen nicht an Intensität einbüßt und „The Descent“ sein Niveau halten kann ohne einzubrechen.
Fazit:
Beklemmend, klaustrophischer Horrortrip der Extraklasse. Wer Angst vorm Dunkeln hat oder ganz nebenbei an Klaustrophobie leidet, sollte einen großen Bogen um „The Descent“ machen (oder ihn genau dann gucken *gg*). Die durch die Bank weg unbekannten Schauspielerinnen machen ihre Sache klasse, der psychologische wird mit dem physischen Horror in Einklang gebracht und über allem schwebt Neil Marshalls brillante Inszenierung, die so gekonnt den Zuschauer festnagelt, unter Schock setzt und das Niveau aufrecht erhalten kann. Ein Horrorthriller, der nun wirklich denkbar optimal umgesetzt wurde und mir einige Male erhöhten Puls bereitete. Besser geht es kaum noch, auch wenn „The Descent“ wohl leider nur beim ersten Anschauen seine Wirkung richtig entfalten wird.