Review

La boum (1980)
La boum 2 (1982)

von Claude Pinoteau


Claude Pinoteau, geboren 1925, Requisiteur in den 40er Jahren, Regieassistent von 1949 bis 1972 (u. a. bei Jean Cocteau, Jean-Pierre Melville, René Clair, Max Ophüls, Henri Verneuil, Philippe de Broca, Claude Lelouch – und Jacques Pinoteau, seinem älteren, in diesem Jahr 93jährig verstorbenen Bruder). Sieht man von einem kleinen Viertelstünder ab, beginnt seine Karriere als Filmregisseur erst mit dem Lino Ventura-Film "Le silencieux" (1973): Pinoteau ist da bald 50 Jahre alt.
Und wären da nicht "La boum" und "La boum 2", seine kommerziell erfolgreichsten Hits, (und der inoffizielle Nachzügler "L'étudiante" (1988),) so wäre Claude Pinoteau heute allenfalls noch eingefleischten Lino Ventura-Fans ein Begriff. Aber zum Glück gibt es ja "La boum" & "La boum 2": Die Filme, die Sophie Marceau zur Berühmtheit werden ließen – und Richard Sandersons Song "Reality" (1980) (nicht nur in Frankreich und Deutschland) in die Charts stürmen ließen.

Und in der Tat handelt es sich um ausgesprochen sehenswerte Filme – zumindest im Fall von "La boum", wohingegen das Sequel als sympathischer, kurzweiliger, aber doch etwas schwächerer Film das Nachsehen hat.
Dass ein Film wie "La boum", welcher in seinem Schlüsselsong "Dreams are my reality" verkünden lässt und im Laufe seiner Handlung humorvolle Pointen zuhauf einstreut, kein rein eskapistischer Wohlfühlfilm ist, sondern ein doch recht bodenständiger, lebensnaher Film, ist beinahe ein kleines Wunder: Zu verdanken ist das nicht zuletzt auch Danièle Thompson, der für "Cousin, cousine" (1975) oscar-nominierten Drehbuchautorin, die mit Pinoteau – wie auch beim Sequel – das Drehbuch verfasste. Zu den großen Vorzügen dieses Buches zählt zum einen der Umstand, dass der Film keinesfalls bloß die Perspektive eines Pubertierenden einnimmt, wie es der unangebrachte deutsche Titel-Zusatz "Eltern unerwünscht" nahelegt: Nicht weniger als Vic Beretton (Sophie Marceau) stehen auch ihre Eltern im Mittelpunkt des Films – wunderbar verkörpert vom großen Claude Brasseur und von Brigitte Fossey, dem einstigen Kinderstar aus René Cléments "Jeux interdits" (1952). Und auch vom präpubertären Alter – der kleinen Schwester der Freundin Vics (Alexandra Gonin) – bis hin zum Greisenalter – der Urgroßmutter Vics (Denise Grey) – erstrecken sich die Identifikationsfiguren, wenngleich man hier freilich nicht mehr von Hauptfiguren sprechen kann; dennoch sind die Sehnsüchte, Gefühle und Eigenschaften der Jungen und der Alten gleichermaßen anwesend, was zum zweiten Vorzug des Films führt: "La boum" ist erfreulicherweise kein Familienfilm, der die Familie ausschließlich zum Ort der Harmonie und der Geborgenheit werden lässt; Familie ist hier vielmehr Rückzugsort und Krisenherd zugleich, Nest und Gefängnis gleichermaßen – ein Käfig, dessen Tür offensteht, wie es im Film einmal heißt. Die Anhänglichkeit der kleinen Schwester auf dem Schulhof nervt, die jungen Leute haben beim Feiern und im Straßenverkehr kein Verständnis für Sorgen & Ängste der Eltern, die Eltern verstehen die heranwachsenden, launischen Kinder nicht mehr – und durchleiden nach einem Seitensprung eine kleine Beziehungskrise, die eine vorübergehende Auszeit notwendig macht. Und Ratgeberin und Vorbild für Vic ist ausgerechnet die Urgroßmutter, welche in ihrem Leben nie einen Mann an ihrer Seite zu halten verstand (und sich im Sequel mit der Frage herumschlagen muss, ob sie ihren frisch verwitweten Jugendfreund heiraten soll).

"La boum" verklärt – wie sein Sequel – die Familie also nicht über Gebühr, sondern kehrt ihre Vorzüge hervor, ohne darauf zu verzichten, die alltäglichen Probleme und Ärgernisse ins Spiel zu bringen. Im ersten Teil ist es eine alte Affäre von François Beretton, welche ihn kurz nach dem Umzug nach Paris zu einem One Night Stand treibt und damit einen Keil in die Ehe von François und der neuerlisch schwanger werdenden Françoise treibt, woraufhin beide im Mittelteil des Films eine ein-, zweimonatige Trennung beschließen. Vic indes schließt neue Freundschaften (etwa mit Pénélope, deren jüngere Schwester Sam in Vics Vater vernarrt ist) und kommt in das Alter, in welchem sie sich für Feten und Jungs interessiert. Während das Verhältnis zu den Eltern meist von Missverständnissen geprägt ist – wobei sich Vater und Tochter zumindest während der Phase der Trennung der Eltern ein wenig auszusprechen verstehen –, hilft Vics Urgroßmutter Poupette der Urenkelin dabei, die erste Liebe zum jungen Mathieu in die richtigen Bahnen zu lenken. Gleichwohl Vics Deutschlehrer zunehmend die Nähe zu Françoise sucht, kommen die Berettons am Ende letztlich wieder zusammen – wobei die zuvor heile Beziehung sichtlich einen kleinen Sprung erlitten hat. Und dank Poupettes Hilfe kommt auch Vic zu ihrem Mathieu, um sich gegen Ende auf der zweiten großen Fete des Films (im Haus der Berettons) dann aber doch lieber dem jungen Marc zuzuwenden. So entpuppt sich die erste Liebe, die für Vic zunächst alternativlos zu sein schien, als flüchtige Liebelei...
Und so blickt der Film letztlich mit der aufgeklärten, lebenserfahrenen Altersweisheit der Alten auf die Probleme der Jüngeren (die so gewichtig erscheinen und so schnell wieder überstanden sind), ohne die Perspektive der Jungen mit ihrem Lebenshunger, Spieltrieb und Freiheitsdrang aufzugeben. Das verleiht dem Film seinen nostalgisch-melancholischen Grundton, den man freilich als Teenager noch nicht so recht wahrnimmt. Während der Film sein gereiftes Publikum derartig mit dem wehmütigen Blick auf vergangene Zeiten und entschwundene Augenblicke bedient, sichert er sich das Interesse des jungen Publikums am Schicksal der älteren Figuren über zahlreiche Gags: Urgroßmutter Poupette ist eine rüstig-resolute, schrullige Dame, die sich – scheinbar nicht erst im hohen Alter – ausgesprochen unkonventionell gibt... selbst im Straßenverkehr. Claude Brasseur darf sich mehrfach zum Kasper machen: auf der Rollschuhbahn etwa, im Schlagabtausch mit Schulkindern, als Opfer der Infamität seiner Geliebten (deretwegen er sich ein Gipsbein als Alibi für den One Night Stand zulegt) oder als Tolpatsch, der recht unbeholfen genau die falschen Worte wählt, um seine Ehe zu retten. Situationskomik durchzieht in regelmäßigen Abständen den gesamten Film; manchmal etwas zu konstruiert – wie im Fall des Jungen, der wegen seiner Kopfhörer und das Walkmans gar nicht bemerkt, dass die Musik im Raum längst verklungen ist und seine Schmähungen einer Schulkameradin auch von ebendieser bestens gehört werden können –, manchmal aber auch etwas natürlicher...

"La boum 2" behält dieses Konzept bei – und baut sogar die Rollen von Poupette und der kleinen Sam etwas weiter aus: Poupette erfährt zu Beginn des Films vom Tod der Gattin ihrer Jugendliebe, mit der sie am Ende höchst unkonventionell in die Flitterwochen entschwindet – trotz ihrer Haltung, dass die Ehe die Kunst sei "zu zweit an Problemen zu scheitern, die man nicht hätte, wenn man allein geblieben wäre." Und Sam, Pénélopes Schwester, hat nach Gesprächen mit einem Freund der Mutter längst erkannt, dass ihre Schwärmerei für François Beretton dem Wunsch nach einem Vater entspricht; dennoch kommt es gerade in diesem zweiten Teil zu bedeutsamen Gesprächen zwischen ihr und dem älteren Mann, der es mit guten Ratschlägen schafft, ihrer Ballett-Karriere zu einer positiven Wendung zu verhelfen.
Doch solch kleine Neuerungen können nicht kaschieren, dass letztlich bloß die Stärken des Vorgängers kopiert werden sollen, wenngleich mit kleinen Variationen: Die Ehe der Berettons wird diesmal nicht von einer Affäre gefährdet, sondern von der Promotion des Vaters, welcher seine Zahnarzt-Praxis aufgeben und rein wissenschaftlich tätig sein will. Diese neue Krise der Ehe erlebt allerdings nicht mehr zur Hälfte des Films ihren Höhepunkt, um am Ende glücklich aufgelöst zu werden: Hier krieselt es vor allem im letzten Drittel - und der Film endet mit einer (womöglich endgültigen) Trennungsszene am Flughafen, die ergreifend ist, ohne allzu dick aufzutragen. Und Vic – mittlerweile um zwei, drei Jahre gealtert – findet nicht mehr ihre erste, sondern eine neue Liebe; und wartet auf ihr erstes Mal... Im Gegensatz zu ihren Eltern darf sie ein glückliches Finale am Bahnhof erleben. (Welches nur bedingt glücklich stimmt, hat doch der Handlungsstrang ihrer Eltern wenige Minuten zuvor – ebenfalls an einem Ort des Ausbruchs oder der Ankunft – gezeigt, dass Liebesbindungen nicht von Dauer sein müssen.)
"La boum 2" hätte zeigen können, wie rasch sich junge Jugendliche im Laufe von zwei, drei Jahren verändern: Davon ist allerdings – wenngleich Pénélope inzwischen die Pille nimmt und die ganze Clique dem zuvor heißgeliebten Song "Reality" kaum noch etwas abgewinnen kann – kaum etwas zu bemerken. Im Grunde ist alles beim Alten – bloß der dramaturgische Bogen hat diesmal weniger Spannung: Die Trennung der Eltern mag realistischer Ablaufen, besitzt aber dramaturgisch bloß wenig Effekt. Und wenn der erste Teil noch mit einer (titelgebenden) Fete begann und endete, um dazwischen Vics Durchlaufen des ersten Liebe und das Ab & Auf der Ehe ihrer Eltern zu schildern, reist der zweite Teil recht willkürlich von Österreich nach Frankreich und lässt die Liebesprobleme Vics, ihre Beziehung zu ihren Eltern und deren zunehmende Krise erst im letzten Viertel kulminieren – welches mit einer kleinen Straßenschlacht über Gebühr die Nähe zur übertriebenen Komödie sucht.
"La boum 2" ist wesentlich unruder als sein Vorgänger und schöpft sein Potenzial nicht annähernd aus – weist als schwächere Kopie allerdings noch ausreichend Vorzüge des Originals auf. Und diese Vorzüge liegen darin, sich der Perspektive keiner Generation verschlossen zu haben und als Familienfilm nicht die alltäglichen und teils einschneidenden Familienprobleme auszusparen. Das sichert beiden Filmen auch ihre große Aktualität – wobei die anhaltende Beliebtheit wohl weniger einem neuen, jugendlichen Publikum zu verdanken ist, als vielmehr dem einstigen Teenager-Publikum, das sich bei heutiger Sichtung nun auch in die Elternfiguren hineinversetzen kann. Aber auch, wenn die Filme mit ihrem Look und ihrer Musik auf heutige Jugendliche etwas altmodisch wirken, auch wenn Namen wie Ornella Muti, Alain Delon oder die Duse heutigen Jugendlichen eher wenig sagen dürften, haben sich die Filme als zeitlose Filme genügend Identifikationspotenzial für neue Teenager-Generationen bewahrt.

Neben den gut aufgelegten Darsteller(inne)n und einer erfahrenen Crew (die vor zwei, drei Wochen verstorbene Cutterin Marie-Josèphe Yoyotte besorgte den Schnitt!) ist es vor allem die offene, undogmatische – ganz nebenbei Fragen aufwerfende, aber keine Ratschläge erteilende – Haltung der Filme zum Altern, zur Familie, zur Liebesbeziehung, welche eine eigentümlich lebensnahe Wirkung erzielt. Das macht zumindest den ersten Teil zu einer der schönsten französischen Beziehungskomödien seiner Zeit neben den Filmen Coline Serreaus ("Pourquoi pas!" (1977), "Trois hommes et un couffin" (1985))... 7,5 für "La boum", gute 6/10 für "La boum 2".

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