Review

Die Generation der Trittbrettfahrer

Christoph Hochhäusler analysiert scharfsinnig das Problem der modernen Jugend - nämlich, dass es keine wirklichen Probleme mehr gibt.

Biografie eines Trittbrettfahrers
Armin, ein ganz normaler Heranwachsender, der gerade seinen Realschulabschluss fertig hat, aus einer ganz normalen Familie, geht gerne an Autobahnen spazieren. Eines Nachts sieht er ein an die Mauer gepralltes Auto - der tote Fahrer ist, wie sich später herausstellt, ein Großunternehmer - und nimmt ein auf der Straße liegendes Achsenlager des Wagens mit. Obwohl ihn das Erlebnis fasziniert hat, scheint es sein mittelmäßiges, passives Leben nicht zu ändern. Wegen zweier älterer Brüder der Bundeswehr entkommen, bewirbt er sich auf Druck seiner Eltern bei verschiedenen Unternehmen für einen Job. Doch sein eigenes Desinteresse lässt ihn permanent scheitern, ebenso hat er kein Glück bei dem Mädchen, in das er sich verliebt hat. Dann hat er eine Idee, sein Leben aufzupeppen: Er schreibt ein anonymes Bekennerschreiben, in dem er den Autounfall als eine Sabotage seinerseits darstellt. Die Zeitungen springen darauf an, und er steigert sich in seine heimliche Trittbrettfahrerei, während der Rest seiner Familie sich Sorgen um seine Zukunft macht.

Scharfsinnigkeit, Realismus und Humor
Mal ernst, mal mit trockenem Humor zeichnet Hochhäusler stets präzise ein komplexes Bild symptomatischen Verhaltens der heutigen deutschen Jugend. In dem sich die Kamera sehr der subjektiven Sicht des jungen Armin widmet, vermittelt sie spürbar seine Passivität, Antriebs- und Perspektivlosigkeit. Der Film lässt sich Zeit, den Alltag in der typischen Mittelstandsfamilie ausführlich zu schildern, die Beziehungen der Personen untereinander zu entfalten. So zeigt sich beispielsweise ein sehr differenziertes Wechselspiel Eltern-Sohn. Der gelegentliche Kommunikationsmangel zwischen Vater und Sohn wechselt sich mit einem harmonischen Verhältnis zur Mutter ab, das aber immer auch die Abhängigkeit Armins von seinen Eltern betont. Die Darsteller schaffen es mit einer spielerischen Leichtigkeit, ihre Charaktere beachtenswert realistisch erscheinen zu lassen. Vor allem Constantin von Jascheroff (Armin) war eine exzellente Wahl; in seinen Bewegungen, seiner apathischen Mimik und seiner emotionslosen, zwanghaft trägen Sprache lotet er seine Rolle voll aus. Dieser Trumpf wird in den brilliant witzigen Bewerbungsgesprächen genussvoll ausgespielt. Wie die leistungsorientierte, zielstrebige Arbeitswelt der Erwachsenen auf die unbeholfene, naive Gleichgültigkeit Armins prallt, ist nicht nur wahnsinnig lustig, sondern trifft den Nagel auf den Kopf. Überhaupt setzt Hochhäusler, im Vergleich zu den weit pessimistischeren und ernsteren Gesellschaftspathologien Michael Hanekes, auf lockeren Stil und klugen Humor, ohne Sachlichkeit einzubüßen. So sieht man in einer starren Ansicht einige Zeit lang, wie Armin sich in der Badewanne damit vergnügt, einem Springbrunnen gleich aus dem Wasser zu pinkeln. Das Wasser färbt sich gelb und er scheint sich darüber zu amüsieren. Trocken und ehrlich - man lacht hier gerne - offenbart sich hier subtil das scharfsinnig beobachtete Lebensgefühl des Films. Armins Leben hat keine Probleme, noch nie gehabt. In völliger Konformität vegetiert er passiv dahin, doch seine plötzlich aufkeimende Faszination für das Vebotene, auch für den Tod, kommt nicht von ungefähr: Zu lange hat sich etwas in ihm aufgestaut. Der Film versinnbildlicht den Sachverhalt mit Armins maskulinen, homosexuellen, von Narzissmus geprägten Traumwelten über eine rauhe Motorradgang.

Ein Paradigma aus unserer Mitte
Als symptomatisches Fallbeispiel aus unserer Wohlstandsgesellschaft wirft "Falscher Bekenner" entscheidende Fragen auf, ohne jedoch einfache Antworten zu liefern. Einmal wird im FIlm familiär über Terrorangst und Verunsicherung gesprochen. Das Porträt von Armins zaghafter Kriminalisierung zeigt deutlich, dass die Verunsicherung als Merkmal unserer Zeit gar nicht so sehr vor außen kommt (der sogenannte Terror), sondern tief in unserer Mitte sitzt. Armin ist einer von vielen Jugendlichen, die ohne Perspektive aufwachsen. Einer, der die Werte und Normen unseres Systems der Konformität wegen hinnimmt, ohne wirklich an sie zu glauben, geschweige denn sie zu verstehen. Doch woher kommt das? Soziale Probleme? Schlechte Verhältnisse im Elternhaus? Mitnichten! Der Film gewährt diese Antworten nicht, da er nicht die sozialen Randbereiche thematisiert, sondern die Probleme der Mittelstandsjugend. Und das Problem hier ist, dass es schlicht und einfach keine Probleme mehr gibt, die ein Heranwachsender bewältigen muss. Nie war die Kluft stärker zwischen leistungsorientierter Erwachsenensphäre und orientierungsloser Jugendsphäre, obwohl sämtliche Jugendkultur vom Konsumsystem beherrscht ist. Wie kann sich nun eine Persönlichkeit entwickeln, wenn sie vom Leben nicht gefordert, ins Leben nicht integriert, stattdessen zur Passivität erzogen wird? Der Entfaltungsdrang wird unterdrückt und staut sich unbewusst an, gleichzeitig aber stellt sich nach außen hin eine Naivität und eine Abneigung gegen Veränderung, Dynamik und Anstrengung und damit eine Unnahbarkeit gegenüber der wirklichen Welt, die wohl spätestens nach dem Schulabschluss ins Leben dringt, ein. Wir sehen das im Film an Armins Lustlosigkeit bei den Bewerbungen, aber auch an seiner indifferenten Lässigkeit, mit der er es sich bei dem angeworbenen Mädchen versaut. Armin trägt die Anzeichen der Arroganz und Selbstverliebtheit einer Generation ohne Ziele und Werte, deren Naivität im harten Konflikt mit der Wirklichkeit steht.  Ebenso zeigt Armins Abdriften zum kriminellen Trittbrettfahrer, welch besorgniserregende Blüten diese Problematik mit sich bringt. So kommt es übrigens auch nicht von ungefähr, dass Armin in der Konfrontation mit den Auswirkungen des Todes bei der Beerdigung des Unfallfahrers zusammenbricht. In seiner Situation fällt es schwer, das Sterben zu akzeptieren.

Fazit
"Falscher Bekenner" fordert als präzise Darstellung einer Generation von Trittbrettfahrern in einer Zeit der Verunsicherung auf, Fragen zu stellen. Wie konnte es so weit kommen? Hochhäusler zeigt kein düsteres Bild des gesellschaftlichen Verfalls, denn eine Katastrophe liegt von dieser Seite her sicherlich noch nicht vor. Doch der mit kritischem Humor versehene Film kann als eine Warnung, ein Hinweis verstanden werden, denn die zukünftigen Probleme können nicht alleinig auf die sozialen Brennpunkte geschoben werden. Hochhäusler vertritt mit seinem Werk eine neu aufkeimende Sachlichkeit und Scharfsinnigkeit im jungen deutschen Kino. Sicherlich nicht unbeeinflusst von Meistern des Realismus, wie Michael Haneke, nimmt er seine Verantwortung als Künstler wahr und widmet sich ganz unverkrampft aktuellen Gesellschaftsproblemen, jedoch mehr im Sinne einer Diagnose, als einer Pathologie.

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