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Mrs. Paradine wird angeklagt, ihren reichen Mann vergiftet zu haben. Sie bekommt den glücklich verheirateten Anthony Keane als Rechtsanwalt zur Seite gestellt, der sich eingehend mit dem Mordfall beschäftigt und sich unversehens in seine Mandantin verliebt...
Nicht alles, was Hitchcock in seiner langen Karriere als Regisseur inszeniert hat, kann in die Kategorie „Großes Kino“ eingeordnet werden. Auch einem Meister seines Fachs - und Hitchcock ist ja unbestritten einer - darf es gestattet sein, einmal einen schwächeren Film abzudrehen. „Der Fall Paradin“ gehört ganz bestimmt dazu. Sicherlich ist die Angelegenheit nicht im Entferntesten ein Desaster, dazu hat dieses Justizdrama doch noch zu viele Stärken, aber über den Durchschnitt kommt sie wahrlich nicht hinaus.
Ein Grund liegt darin, daß uns der Film auf der Suche nach Identifikationsfiguren schmählich im Stich läßt. Ann Todd als Anthonys bedauernswerte Gattin Gay, die ihren Mann an eine andere Frau zu verlieren droht, eignet sich wahrscheinlich noch am ehesten dafür, aber die beiden Hauptdarsteller sind alles andere als sympathisch.
Gregory Peck (Keane) gehörte mit Sicherheit niemals in die Riege der guten Hitchcock-Darsteller (gerade wenn man seine dürftige Leistung in der Rolle des vermeintlichen Arztes in „Ich kämpfe um dich“ als Maßstab betrachtet). Und obwohl Pecks Darstellung des Verteidigers hier weitaus besser rüberkommt, gelingt es dem Film äußerst selten, den Zuschauer Interesse für diese Figur entwickeln zu lassen. Im Gegenteil: Keanes Liebe zu seiner Mandantin läßt einen seltsam kalt. Dies wiederum ist höchstwahrscheinlich Alida Valli verschuldet. Ich will ihr auf gar keinen Fall schwaches Schauspiel attestieren, sondern vielmehr Kritik am Drehbuch äußern. Frau Valli wirkt in „Der Fall Paradin“ einfach zu kühl, zu distanziert; sie ist wie ein Fremdkörper, beinahe unsympathisch. Man kann keinerlei Mitgefühl für diese Person aufbringen, die über weite Strecken keine Gefühlsregung erkennen läßt.
Hitchcock-Werke haben im allgemeinen allesamt eins gemeinsam: In jedem seiner Filme (eigentlich auch in jedem nicht ganz so gelungenen) gibt es zumindest eine brillante, denkwürdige Szene, an die man sich gern zurückerinnert: „Der zerrissene Vorhang“ hatte die langwierige Ermordungsszene des Stasi-Mannes, „Topas“ die Hinrichtung Juanitas, „Ich beichte“ die Gerichtsszene, in der der des Mordes verdächtigte Pfarrer Michael Logan aufgrund der Verpflichtung zum Beichtgeheimnis kein Wort sagen darf, oder „Die rote Lola“ (wenn auch gern als Negativbeispiel zitiert) die verlogene Rückblende vorzuweisen; hier hingegen wartet man auf einen solchen Augenblick vergeblich, ein Höhepunkt bleibt aus. Das Geschehen plätschert in überlangen 112 Minuten einigermaßen ereignislos und sehr, sehr geschwätzig vor sich hin, so daß man am Ende gar froh ist, wenn endlich der „The End“-Schriftzug das ganze Drama abschließt.
Irgendwie fehlt an allen Ecken und Enden der gewisse Pep. Auf kleinere humoristische Einlagen, die Hitchcock so gern auch in noch so ernste Geschichten einfließen ließ und noch einfließen lassen sollte, muß man fast komplett verzichten. Einzige Glanzpunkte in der Hinsicht sind die Auftritte des Richters Horfield (Charles Laughton) in Kombination mit seiner Frau Sophie (Ethel Barrymore). Während der Richter, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne Mitleid seine Urteile vollstreckt und mit giftigstem Zynismus das Schicksal der Angeklagten kommentiert, entwickelt seine herzensgute Gattin, die sich von ihrer besseren Hälfte ständig unterjochen läßt, größtes Mitgefühl mit den sobald Hingerichteten. Dies sind die besten Charaktere innerhalb dieses Schauspiels!
Erwähnenswert wären noch die aufwendigen Gerichtssequenzen - überhaupt war der Film mit dem damals beachtlichen Budget von 3 Millionen Dollar sehr teuer -, die leider nur etwa ein Drittel des Gesamtfilms ausmachen. Hier wurden mehrere Kameras eingesetzt, auf jede wesentliche Figur eine gerichtet. Somit war es möglich, daß die Darsteller ihre Dialoge ohne größere Unterbrechungen durch etliche Kameraperspektivwechsel herunterrattern konnten. Erst hinterher schaute man sich das vorhandene Material an und entschied dann, welche Aufnahmen in den fertigen Film geschnitten werden sollten.
Ein nicht zu vernächlässigender Grund für das enttäuschende Resultat ist bestimmt auch in den Querelen zwischen Hitchcock und Produzent David O. Selznick zu suchen. Selznick erlaubte es sich, die Endfassung des Drehbuchs selbst zu schreiben. Dabei ging er mit einer Methode vor, die Hitchcock zuwider war: Er schrieb immer nur eine Szene um, schickte sie umgehend zum Drehort, wo sie dann kurz darauf gedreht wurde. Hitchcock zog es nämlich bei seinen Filmen stets vor, das komplette Buch vor Drehbeginn vor Augen zu haben, ohne daß noch irgendwas daran geändert wurde. Kein Wunder also, daß der Regisseur das Projekt lediglich halbherzig beendete. Leider steht dadurch letztlich zu Lasten des erwartungsfrohen Betrachters ein nur mäßiger Justizfilm.

Fazit: Im Gesamtwerk Hitchcocks belegt „Der Fall Paradin“ gewiß einen der letzten Plätze. Wenig aufregend und kaum spannend, vor allem ohne echte Höhepunkte, dafür sehr dialoglastig und langatmig, schreitet der Film voran und hinterläßt am Ende einen unbefriedigenden Eindruck. Nicht gänzlich uninteressant aufgrund der Thematik „Verteidiger-verliebt-sich-in-Angeklagte“, aber man ist einfach Besseres von dem guten alten Hitchcock gewohnt.
GESAMT: 5/10

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