Mord, Sex, Sühne, Tod. Würde man versuchen, „Battle in Heaven" mit vier Wörtern treffend zu charakterisieren, so käme genau diese plakativ anmutende Aufzählung zusammen. Und der Eindruck von Plakativität und Oberflächlichkeit drängt sich weiter auf, wenn man sich die wohl umstrittenste, weil skandalöseste Sequenz des Films anschaut: Gleich zu Beginn sehen wir das Gesicht der adipösen Identifikationsfigur des Films mit Rollennamen Marcos, die Kamera fährt langsam nach unten und wir sehen wie der gänzlich unbekleideten Mann von Ana, einer attraktiven Professionellen, oral befriedigt wird - und das in aller Deutlichkeit und in einer Explizität, die dem Film den Vorwurf der Pornographie einbrachte. Der Vorwurf ist durchaus berechtigt, doch lenkt dieser von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem zweifelsohne differenzierteren Plot dieses durchaus ambitionierten Werks ab. Bei selbiger Sequenz setzt dann ein deprimierendes Streicherthema auf der Tonspur ein, welches ihr eine der Alltagswelt scheinbar enthobene, erhabene Intensität verleiht. Die Drastik des Gezeigten wirkt dabei so schonungslos, überstilisiert, verstörend und doch gleichzeitig so real, dass Alltag und Traum, Kunst und Exploitation ambivalent aber bipolar gegenüber stehen. Wahrlich keine Mischung, die innerhalb eines Films funktionieren kann.
Marcos (Marcos Hernández) ist pleite, weswegen er ein Kind entführt hat, welches verstorben ist. Dies erfahren wir retrospektiv, als er seiner Obsession, der Prostituierten Ana (Anapola Mushkadiz) davon erzählt. Während Ana ihm rät, sich so schnell wie möglich zu stellen und zur Polizei zu gehen, bittet ihn seine Frau (Bertha Ruiz) darum, seine Schuld durch einen Pilgermarsch zu sühnen. Marcos entscheidet sich für letztere Option und wird es nicht überleben...
„Battle in Heaven", der Kampf im Himmel, so kann man mutmaßen, bezieht sich dabei auf Marcos´ innere Zerrissenheit, die Unsicherheit, was im Angesicht von Schuld und Sühne zu tun ist. Die Wolken am Himmel symbolisieren die Anwesenheit und Zeugenschaft Gottes bei Marcos´ verwerflicher Tat und dem streng gläubigen Marcos plagt sein schlechtes Gewissen. Marcos sucht Halt, wankt durchs Leben, sucht Nähe, welche er mit Sex verwechselt und kann doch solange nicht glücklich werden, wie er nicht Buße getan hat. Hier werden Assoziationen zu der von Benicio Del Toro dargestellten Figur des reumütigen, von Schuldgefühlen zerfressenen Konvertierters in „21 Gramm" wach, welche aufopferungsvoll jedwede Qual überstehen will, um ihre Taten büßen zu können. Doch genau an dieser Stelle versagt „Battle in Heaven" durch mangelnde Klarheit, Stringenz und seine Befremdlichkeit. Spätestens als Marcos Mitwisserin Ana blutig ersticht, um hinterher auf Knien rutschend einen Pilgermarsch zur Jungfrau von Guadalupe in eine Basilika anzutreten, in der er dann - mit einem Sack über seinen Kopf gestülpt - rätselhaft stirbt, bleiben die Motivation von Marcos und die Intention des Films verborgen.
Marcos Hernández gelingt es dabei nicht, mit dem ständig gleichen traurigen, aber letztendlich leerem Gesichtsausdruck, seiner Figur Tiefe oder dem Zuschauer Einblick zu geben in ihr Seelenleben. Sein Handeln und sein Innenleben bleiben auch durch die weitgehende Vermeidung musikalischer Untermalung unreflektiert. Er steht bewegungslos in einem Flur, starrt fixiert in den Raum, aus dem Fenster, umarmt seine Frau mit der er zuvor Sex hatte, onaniert zu einer Fußballübertragung im Fernsehen bei traurig-schwermütiger Blasmusik, ohne dass wir tatsächlich mehr über ihn erfahren, als wir seit seinem Geständnis bei Ana wissen: Er entführte ein Baby, um an Geld zu kommen, doch das Baby starb und er hat Schuldgefühle. Marcos vermittelt nur durch wenige, nahezu leere Dialogzeilen das, was ihn bewegt und so kommt es, dass diese ohnehin schon nicht wirklich positive Identifikationsfigur befremdlich und konturlos bleibt, so dass ihr Schicksal letztendlich kalt lässt. Auch ihr finales Ableben, welches im Dunkeln bleibt und einzig der Zuschauer mit eigenen Gedankengängen konstruieren muss, tangiert leider wenig.
Die retrospektive Schlusssequenz um das Geständnis von emotionaler Liebe im Angesicht körperlicher Liebe, von Oralsex, wirft dabei mehr Fragen auf als sie beantwortet. Nähe und Entfremdung in ihrer Dialektik bilden das zentrale Motiv von „Battle in Heaven", wobei dies am deutlichsten in einer Kopulations-Sequenz und ihrer Inszenierung etwa in der Mitte des Films illustriert wird. Der passive Marcos und die aktive Ana haben Sex in der Reiterstellung, die schwebende Kamera scheint sich jedoch kaum für diese Szenerie zu interessieren, schwenkt über die umliegenden Häuser, um dann wieder ihr zentrales Motiv des Pärchens - mittlerweile nach beendetem Akt - zu fixieren. Nackt nebeneinander liegend wird die Scham von Ana in Großaufnahme eingeblendet, beide fassen sich an die Hände und ein trauriges Bläserthema setzt ein. Selten wurde körperliche und seelische Verbundenheit so schonungslos offen, aber auch plakativ thematisiert wie hier. An dieser exemplarischen Sequenz wird der tiefe Gehalt dieses extrem nüchternen, aber letztendlich leider nur bedeutungsschwanger und prätentiös denn gelungenen Films evident. Denn: Pornografie ist aufgrund ihres provokativen, in dem Kontext eines Spielfilms schockenden Charakters eines der am wenigsten geeigneten Mittel, körperliche Nähe und ontologische Sinnsuche zu zeigen.
Ja, dieses immerhin für die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes 2005 nominierte Werk von Regisseur und Autor Carlos Reygadas ist ambitioniert, soviel ist sicher. Auch möchte man diesem Spektakel nur gern das Prädikat "Kunst" aufdrücken, weil man glaubt, irgendwo - wenn auch verborgen - so etwas wie einen Genius zu vermuten. Nur sollte ein so kontroverser Film wie „Battle in Heaven" - so behaupte ich polemisch - eine klar herausgearbeitet Botschaft zu vermitteln haben abseits von seiner formalen Extraordinarität um die ruhige, unaufgeregte und doch verstörende Inszenierung mit langen Einstellungen und Kameraschwenks, ohne auch nur einmal in die Inszenierungskonventionen Hollywoods mit schnellen Schnitten und klassischem Schuss-Gegenschuss-Prinzip bei Dialogen zu verfallen. Diese bedächtig anmutenden Kunstgriffe wirken zwar zuweilen langweilend sowie narrativ überflüssig (wie beispielsweise die lang gezeigte Autofahrt zu Beginn), atmen aber - wie die selten eingesetzte subjektive Kamera - eine spröde Atmosphäre der Verunsicherung.
„Oberflächlich betrachtet ist der Schock ein ästhetischer, doch das Tabu geht tiefer. Hier geht es um soziale Unterschiede." hat Carlos Reygadas, der Regisseur über „Battle in Heaven" gesagt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass er Provokation und Skandal mit einem reflektierten Bruch gesellschaftlicher Normen - welcher sein Film zweifelsohne gern wäre - verwechselt hat. „Battle in Heaven" ist leider nur der löbliche, aber prätentiöse Versuch, mit einem ästhetischen Schock eine seriöse Geschichte um Schuld und Sühne zu erzählen, welche leider gerade durch den Einsatz seiner pornografischen Mittel diesen Anspruch konterkariert. In jedem Fall eine diskussionswürdige, harte und sperrige Gratwanderung von einem Film. Darin dürfte wohl jeder Zuschauer konform gehen.