Review

Suche nach Erlösung

Bloßgestellte Körper, gefangen in Stasis. Mexico City als tristes Häusermeer. In Reygadas Film wird die diesseitige Erlösung verwehrt, es bleibt nur Buße zu tun.

Schuldgefühle
"Battle in Heaven" geizt vor allem am Anfang sehr mit Hintergründen. Nur wenig erfährt man vom Protagonisten Marcos, einem Arbeiter für einen Militärgeneral, der Leute herumchauffiert und jeden Morgen mit der Armee beim Hissen der Nationalflagge anwesend ist. Seine Frau und er, beide - vor allem sie - fettleibig, haben ein Kind entführt, und dieses ist ihnen dann bei einem Unfall gestorben. Warum, erfährt man nicht, doch hat es wohl mit ihrer niedrigen sozialen Position zu tun. Marcos plagen im Gegensatz zu seiner Frau deshalb Schuldgefühle, und so beichtet er die Tat Ana, der Tochter seines Chefs, die, obwohl gutsituiert, scheinbar aus Langeweile heraus als Prostituierte arbeitet. Marcos entwickelt eine Zuneigung zu ihr, zu ihrer körperlichen Schönheit. Sie schenkt ihm sogar ein wenig Geborgenheit, als sie mit ihm schläft. Dann fordert sie ihn auf, sich der Polizei zu stellen. Seine Frau jedoch rät ihm, Ana zum Schweigen zu bringen. Marcos muss sich entscheiden.

Kühler Schwermut in der Hitze Mexicos
Leicht verdaulich ist "Battle in Heaven" keinesfalls. Stattdessen gibt er sich vor allem in der ersten Hälfte ungemein sperrig und langsam. Man findet kaum Zugang zu den schwermütigen lange abgefilmten Blicken des Protagonisten, während die Geräusche aus dem Off die Umgebung andeuten, weil die Handlung nur wenig spärliche Informationen über Marcos als Charakter durchsickern lässt. Man scheint nicht so recht zu wissen, worüber man beim Sehen der tristen Bilder in den blassen Farben nachdenken soll. Das ist anstrengend, denn erst später ergeben sich die Zusammenhänge langsam. Dahingegen stellt der Film die Stadt Mexico City auf unerwartet triste und kühle Weise dar, ganz anders als in den gewohnt hitzigen Bildern, die man so kennt. In der U-Bahn stehen die Polizisten mit Maschinengewehren Wache. Riesige, stark befahrene Straßennetzwerke durchziehen die eintönigen Häusermeere der Stadt, Anonymität herrscht vor. Man fühlt sich zum Teil an das derzeitige deutschsprachige Autorenkino erinnert. Allerdings ist die Präsenz der sozialen Kluft zwischen Arm und Reich deutlicher präsent. Die Macht und Selbstverständlichkeit der Reichen auf der einen und die Wehrlosigkeit der Armen auf der anderen Seite offenbart sich in mitunter absurder Komik. Hinzu kommt die Darstellung der allgegenwärtigen christlichen Religiosität. Die Schlüsselrolle spielt dabei die Wallfahrt, die eher einer institutionalisierten Massenabfertigung gleicht. Menschenmassen, vor allem die Armen, strömen zum Ritual in der zentralen Basilika, um gemeinsam für die Erlösung im Jenseits zu beten.

Sex, Religion und Erlösung
Gleich zu Beginn sieht man, warum der Film so skandalträchtig in Cannes aufgenommen wurde: In einer Art, wie wir am Ende erfahren, Jenseitsvision steht Marcos nackt da und lässt sich oral von Ana befriedigen. Während sie seinen Penis im Mund hat, weint sie. Reygadas verwendet die explizite Darstellung der Nacktheit als Hauptmotiv, um, ähnlich zu Chereaus "Sein Bruder", die Verlorenheit und innere Blöße des Protagonisten zu verbildlichen. Der Film zeigt die Körper nüchtern, kühl und ohne inszenierte Erotik. Völlig antipornografisch das, weil fettes Fleisch, Schweiß, die trostlose Umgebung und vor allem die statische Bildsprache jeglichen Voyeurismus im Keim ersticken, ganz im Gegensatz zur primitiven Skandalosität eines "Ken Park". Fast schon bizarr und unwirklich wirken die beiden diametralen Sexszenen des Films. Beide lässt Marcos in entrückter Stasis über sich ergehen, während die darin vorkommenden Partner (einmal Ana, einmal seine Frau) sozusagen die Verfleischlichungen von Sündenfall und Erlösung darstellen. Die Bildsprache verdeutlich die Polarität und religiöse Symbolik des Films: Die grobe Kopulation von Marcos mit seiner Frau ist getaucht in dunkle erdig-rote Farbtöne, schweißnasse Fleischberge stoßen aneinander, heiseres Schnaufen ertönt. Man denkt an eine abstoßende Höllenvorstellung - es ist Marcos Zuhause. Verfolgt man die Metapher weiter, so ist demnach Marcos ein Gefallener, dessen teuflische, gewissenlose Frau ihn mit Liebesbeteuerungen bei sich hält und ihn auffordert, Ana zu töten. Und Marcos hat bereits den Weg des Sünders eingeschlagen, ein Kind entführt, das daraufhin gestorben ist. Er zweifelt. Und dann kommt plötzlich Ana des Weges, mit ihrer engelsgleichen, zerbrechlichen Schönheit. Sie bringt ihn dann letztendlich auf den Weg der Buße. Der Sex mit ihr, in hellen grau-bis-weiß-Tönen abgefilmt, bringt die Möglichkeit der Erlösung ins Spiel. Und doch, konstatiert Reygadas, ist sie unerreichbar fern. Marcos dicker alter Körper gibt einen ätzenden Kontrast zu Anas filigraner Schönheit. Zu bizarr sieht es aus, wie sie auf ihm liegt. Zu trist ist das helle Betongrau in Anas Welt, die sie im Gegensatz zu Marcos aus der Oberschicht kommt. Seine ungepflegte Erscheinung passt so gar nicht in jene Welt.
So läuft alles auf eine verzweifelte, unbeholfene Gewalttat heraus, obwohl sich sein Inneres, ja sogar sein Körper vehement zu wehren scheint. Es ist, als wolle uns Reygadas das Elend der Menschheit, ihren Sündenfall bitter darlegen, ganz im katholischen Sinne. Er kann nicht gegen seine Natur, und so muss er für die Erlösung Buße tun, bis an sein Ende.  

Fazit
Doch der fade Nachgeschmack von Marcos Taten bleibt, und so wirkt die am Ende des Films wieder aufgegriffene Jenseitsvorstellung falsch und unbefriedigend. Ist das gerecht? Kann es sein, dass Marcos als Lohn für seine Buße derart vergeben wird, dass Ana ihn auf ewig oral befriedigt? Sie sagt, mit seinem steifen Penis in der Hand, dass sie ihn liebt. Nach dem, was passiert war, wirkte die Abschlussszene absurd und irritierend auf mich. Es ist schwer zu sagen, ob der Regisseur damit ein kritisches Licht auf den jenseitsorientierten Fatalismus der gläubigen Menschen werfen will. Auch Anas Rolle in der Geschichte ist ambivalent und keineswegs nur die des "guten Engels". Etwas unwohl fühlte ich mich während des Abspanns an den Witz erinnert, in dem ein alter Mann im Himmel seinen alten Freund trifft, auf dessen Schoß ein schönes nacktes Mädchen sitzt. Er fragt ihn, ob das seine Belohnung sei. "Nein," antwortet der Freund, "ich bin ihre Strafe."
Was "Battle in Heaven" anfangs durch seinen allzu zähen Verlauf einbüßt, gewinnt er durch sein verstörendes Ende zurück. Man merkt, dass Reygadas durch seine statische Inszenierung genau darauf hingearbeitet hat: Schwierige, unangenehme Fragen ohne leichte Antworten sind es, die dem Zuschauer letztlich bleiben.

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