Für Kevin Costner war „Wyatt Earp“ der Beginn eines fast zehnjährigen Durststrecke. Anfang der Neunziger in Serie mit Filmen wie „Dances with Wolves“, „Robin Hood: Prince of Thieves“, „JFK oder „The Bodyguard“ oben auf einer Erfolgswelle schwimmend, entwickelte sich der Hitgarant plötzlich zu einem Flopgarant erster Güte. Eingeleitet wurde dieses Karrieretief ausgerechnet von Lawrence Kasdan („French Kiss“, „Dreamcatcher“), der ihm nicht nur „The Bodyguard“ schrieb, sondern vor allem mit „Silverado“ zum Durchbruch verhalf und in Costner die Liebe zum Western weckte.
Ähnlich wie George P. Cosmatos im Vorjahr gestarteter „Tombstone“ scheiterte „Wyatt Earp“ an den Kinokassen, wenn auch aus anderen Gründen. Kasdans zweiter Western ist überlang (im Director’s Cut immerhin 3,5 Stunden), ausufernd, schickt photographiert, aber leider nie episch. Die Ursachen dafür sind im Drehbuch zu finden.
Trotz beeindruckender Starpower (hier spielt selbst die kleinste Nebenrolle ein bekanntes Gesicht) und allen Elementen, die in Western immer so wichtig erscheinen, kann „Wyatt Earp“ dem Anspruch gerecht werden, DER „Earp“ – Film zu sein und das obwohl, er hier keineswegs das Mythos stilisiert, sondern ein sehr neutrales Bild des berühmten Revolverhelden zeichnet.
Wyatt ist ein Mann, dem schon als Kind die stete Nähe zur Familie anerzogen wurde. Sein jugendlicher Tatendrang wird früh von seinem Vater Nicholas unterbunden. Seine Brüder kehren desillusioniert und verwundet aus dem Krieg zurück, da folgt der junge Wyatt nur zu gern den Predigten des Vaters, der die Familie über alles stellt. Draußen in der Welt lauert nichts Gutes, warum also das bequeme Heim verlassen?
Noch jung und behütet baut er sich seine Existenz auf. Als die Liebe seines Lebens stirbt, findet er keinen Halt mehr, wird kriminell und kann letztlich nur von seinem Vater mit Müh’ und Not vor der Todesstrafe bewahrt werden. Über Umwege, sich unter anderem als Büffeljäger verdingend, kommt er schließlich an den Posten eines Gesetzeshüters. Bis dahin keine Spur von einem Helden.
Kasdan, soviel sei ihm gutgeschrieben, versucht sich nicht an einer Legendenbildung – auch wenn heute nicht sicher ist, welche der Geschichten nun Fiktion und Wirklichkeit sind. Wyatt Earp ist eine sehr zwiespältige Person, die gar nicht mal so sympathisch rüberkommt. Er vertritt seinen ganz eigenen Standpunkt was Recht und Gesetzt angeht und setzt sich ohne Rücksicht auf Verluste durch. Die Wunden seiner Vergangenheit schmerzen ihn und lassen ihn nicht los. Deswegen umgibt er sich auch stets mit bekannten Gesichtern, seinen Brüdern, dem todkranken Zyniker und Killer Doc Holiday (Dennis Quaid) und zwischendurch auch den Masterson-Brüdern (Bill Pullman, Tom Sizemore).
Nicht kapitelhaft, wohl aber in mehrere Akte unterteilt, schildert „Wyatt Earp“ die wichtigsten Stationen und Ereignisse. Während einige Charaktere wie die Mastersons etwas zu kurz kommen, erhalten besonders weiblichen Parts hier überraschend viel Spielraum, um gegen Wyatt mobil zu machen. Der ist mit seiner zweiten Frau wenig glücklich, geht deswegen ein Verhältnis ein und stellt sich stur, als die Frauen ihn auffordern, er solle doch endlich sesshaft werden oder ohne seine Brüder weiterziehen. Diese ständige Unruhe Wyatts, die ihn sein ganzes Leben begleitet, sind zumindest sie satt. Dabei will er nur für sich und seine Familie, seine Brüder nur eine sichere Zukunft, doch die findet er nirgends und deswegen ist er so rastlos. Doch genau aus diesem Verlangen nach einem friedlichen Platz, wo man in Ruhe alt werden und aussorgen kann, entwickelt sich immer wieder das verderbliche Töten. Das soll später auch einen Namen bekommen: Die Clanton-Familie.
Die Schauwerte beschränken sich größtenteils auf die Ausstattung und die von Owen Roizman („The French Connection“, „The Exorcist“) festgehaltenen Weiten der unendlichen Prärie. Deshalb muss man auch etwas Geduld mitbringen, denn die Action selbst hält sich in Grenzen. Selbst das Finale, das Gefecht am O.K. Corral, ist kurz und zeigt nur das Innerste Earps, der zu der Zeit längst nur noch von Rache beseelt, sich auf einem Feldzug befindet, bei dem ihm alles egal ist. Keinesfalls heldenhaft, sondern frontal und gnadenlos von vorn mit der Schrotflinte mordet er hier. Dem in diversen Earp-Filmen oftmals wichtigsten Punkt folgt noch ein Epilog – das wohl beeindruckendste Kapitel. Hier ist ein gealterter, ergrauter und müder Wyatt zu sehen, der von einem jungen Mann auf seine Heldentaten angesprochen wird und selbst nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden kann – dies aber auch nicht mehr als wichtig erachtet.
Im Vergleich zu „Tombstone“ schneidet „Wyatt Earp“ besser ab, weil er sich intensiver mit dem Charakter seines Hauptdarstellers auseinandersetzt. Das ist dank der Mammutlaufzeit eine mitunter langatmige Angelegenheit, weil in den Mainplot immer wieder Subplot einbrechen, man über den Tellerrand schaut und kurzfristig Ereignisse einschiebt, doch wer möglichst viele Informationen über den vieldiskutierten Gesetzeshüter möchte, der wird hier besser bedient.
Ambitioniert geht Lawrence Kasdan an den Stoff, brillant umgesetzt hat er ihn nicht. Wie schon in „Silverado“, wo er sich auch nie zwischen Revolution oder Restauration entscheiden konnte, bleibt „Wyatt Earp“ ein zwiespältiges Vergnügen. Auf der einen Seite kratzt er am Mythos, auf der anderen Seite traut er sich jedoch auch nie ihn einzureißen oder zumindest zu diskutieren. Dabei sind die Ansätze ja vorhanden.
Für den Western-Fan, der gar nicht so tief graben möchte, der sich nur pure Unterhaltung erwünscht, gibt es hier mit ein paar Abstrichen allerdings auch genug zu sehen. Costner verkörpert Wyatt Earp so verbissen und markig, dass man ständig hin und her gerissen ist, ob man ihn nun lieben und hassen soll. Auch Dennis Quaid als Doc Holiday liefert eine Klasseleistung als Zyniker und guter Freund ab. Staubig und atmosphärisch ist „Wyatt Earp“, aber nicht zum Drinversinken und doch war er das Beste, was bis „Open Range“ in diesem Genre auf die Beine gestellt wurde.
Fazit:
Gut gemeinter, letztlich leider wieder nur überlanger, passabel unterhaltender, weil alle wichtigen Elemente vereinender Western, dem die nötige Konsequenz fehlt. Die Starriege, alle voran Quaid und Costner spielen gut, schick photographiert und toll ausgestattet ist „Wyatt Earp“ auch, doch episch wird er leider nie. Das hat er Lawrence Kasdan gleich in doppelter Hinsicht zu verdanken. Dem Drehbuch fehlt die Mut und der Inszenierung fehlt der letzte Schliff – auch wenn James Newton Howard (Sein Score ist das einzige ansatzweise epische hier) sich redlich müht das zu vertuschen.