Review

Dass Walter Hill Westernfan ist, merkt man seinen Arbeiten (egal welchen Genres) meist an, doch erst mit seiner vierten Regiearbeit „Long Riders“ durfte er einen waschechten Western drehen.
Es geht um die James-Yonger-Gang, angeführt von Jesse James (James Keach), dessen Name (im Gegensatz zu vielen anderen Verfilmungen seiner Geschichte) nicht im Filmtitel erscheint. Hill sind alle Figuren gleich wichtig, neben Jesse gibt es noch seinen Bruder Frank (Stacy Keach), das Brüdertrio Cole (David Carradine), Jim (Keith Carradine) und Bob Younger (Robert Carradine) sowie Clell Miller (Randy Quaid), dessen Bruder Ed (Dennis Quaid) Jesse aus der Gang schmeißt. Es ist der häufig zitierte Clou des Films, dass Brüder Brüder spielen, neben den Keachs, den Carradines und den Quaids sind Christopher Guest/Charlie Ford und Nicholas Guest/Robert Ford als Darsteller bzw. Figuren an Bord.
Obwohl Jesse James Gewaltanwendung auf ein Minimum reduziert, sind die dreisten Raubzüge der steckbrieflich gesuchten Gang ein Dorn im Auge der Regierung, welche die hartgesottenen Pinkerton-Detektive auf die Bande ansetzt. Bald entwickelt sich ein Privatkrieg zwischen beiden Parteien…

Hill ist als Actionregisseur bekannt, doch gerade den Actionenthusiasten könnte „Long Riders“ weniger zusagen, wirkt er mit seinem ruhigen Tempo beinahe wie eine Vorstudie für den noch weiter entschleunigten „The Assassination of Jesse James“, aber eben nur beinahe. Sicher, gelegentlich gibt es kurze, in Zeitlupe und extrem blutige Schießereien, die nicht nur an Hills Idol Sam Peckinpah erinnern, sondern „Long Riders“ auch gelegentliche Nennungen im Bereich Splatter einbrachten. Jedoch nur das Finale, ein bombastisches Shoot-Out inmitten einer Stadt, zelebriert die Action so wirklich, neben den famos geschnittenen Schusswechseln gibt es dort feinste Stuntarbeit zu sehen, wenn Getroffene von Dächern fallen, sich Ross und Reiter beim Stürzen überschlagen und die Banditen in einer Verzweiflungsaktion durch Scheiben reiten. Diese Szenen werden in Zeitlupe auf Überlebensgröße gedehnt und mit einem exzellenten Sounddesign noch kraftvoller gestaltet.
Davor gibt sich Hills Film jedoch sehr ruhig, verzichtet auf einen stringenten Mainplot, selbst die immer weiter eskalierende Gewalt zwischen den nervösen Pinkertons, deren unüberlegtes Handeln oft nur Angehörige und Freunde der Gang umkommen lässt, und den Banditen, die durch diese Verluste nur noch weiter getrieben werden, verdichtet Hill erst langsam zu einer Abwärtsspirale. Man sieht die gealterten Gauner, die eher funktionieren als noch wirklich zu leben, bei ihrem Tagesgeschäft und ihrer Freizeit, in der weder der Prostituiertenbesuch noch das Glücksspiel die Aufregung von einst mitbringt. Hill stellt seine These vom Mann, der tut, was ein Mann tun muss, weil er nichts anderes tun kann oder zu tun weiß, aus, romantisiert seinen Jesse James nicht, gibt sogar anderen Gangmitgliedern mehr Raum: Gerade Cole entpuppt sich als heimliche Hauptfigur, vielleicht auch nur weil seine eigenwillige Beziehung zu der Prostituierten Belle (Pamela Reed) etwas ganz besonderes ist: Sie ist die zentrale Frau in seinem Leben, doch heiraten möchte er sie nicht – selbst als der Rest der Gang beginnt sesshaft zu werden.

Hills Film ist eher ein sehr später Spätwestern als ein früher Neowestern, ein Abgesang auf die alten Tage, die es jetzt nicht mehr gibt oder die es vielleicht auch nie gegeben hat, die früher nur gern heroischer dargestellt worden. Gleichzeitig bleiben seine Figuren etwas leer, werden eigentlich nur über ihr Handeln in der Gegenwart charakterisiert, über ihre Vergangenheit erfährt man selten etwas – zu selten. Denn ohne ein bestimmtes Vorwissen über den Mythos Jesse James, die Formierung der James-Younger-Gang und den Sezessionskrieg wird der Kontext vieler Szenen nicht klar. Außerdem passt die relativ grobe Charakterzeichnung zwar zu Hills Projekt die Banditen als Ausgebrannte darzustellen, die nur noch nach Muster funktionieren, beraubt viele Szenen aber ihrer emotionalen Wucht – vor allem in der Passage, die auf das famose Finale folgt.
Obwohl Jesse James nicht die Hauptfigur ist, so ist die Wahl James Keachs als dessen Verkörperung auch nicht unbedingt die gelungenste. Sicher, James und Stacy Keach haben den Film geschrieben und produziert, doch Stacy Keach hat wesentlich mehr Charisma und Leben in seinem Spiel als sein Bruder, David Carradine als heimliches Herz des Films spielt ihn easy an die Wand, während sich andere (wie Keith Carradine und Randy Quaid) vollkommen wohl als zweite Geige fühlen und man dies auch merkt. Pamela Reed als starke Frau beeindruckt in dem Männerhaufen, James Remar, mit dem Hill bereits „The Warriors“ drehte und den er später als „Nur 48 Stunden“-Fiesling castete, hat eine kleine Rolle, während Dennis Quaid, damals kurz vor dem Durchbruch, etwas verschenkt wirkt.

„Long Riders“ ist ein stimmiger, lakonischer Spätwestern, getragen von Hills Inszenierung und Ry Cooders Musik, gekrönt mit einem famosen Finale, aber auch heruntergezogen von der etwas zu groben Charakterzeichnung und dem etwas farblosen James Keach. Ein gelungener Film in Hills Schaffen, aber keiner seiner besten.

Details
Ähnliche Filme