Am Badestrand des Touristenörtchens Amity geht ein weißer Hai auf arglose Spaß- und Erholungssuchende los. Sheriff Brody (Roy Scheider, „Das fliegende Auge“) muss sich mit Stadtrat und Bürgermeister herumstreiten, die die Gefahr nicht ernst nehmen und aus kommerziellen Gründen den Strand keinesfalls absperren lassen möchten. Schließlich tut sich Brody mit dem Biologen Hooper (Richard Dreyfuss, „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“) und Seemann Quint (Robert Shaw, „Liebesgrüße aus Moskau“) zusammen, um Jagd auf das Tier zu machen.
Steven Spielberg („E.T. – Der Außerirdische“, „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, „Jurassic Park“ etc.) ist der Meister des Kitsches. Wie kaum ein anderer Regisseur prägte er den Stil mehr oder weniger familienfreundlicher US-amerikanischer Mainstream-„Blockbuster“. Damit habe ich grundsätzlich kaum ein Problem, solange es sich um Kinderunterhaltung handelt. Anders verhält es sich, wenn ein Film als Horrorfilm angekündigt wird, wie der 1975 veröffentlichte „Der weiße Hai“, um den seinerzeit ein großer Hype veranstaltet wurde und der von der Generation, die ihm damals ausgeliefert war, bis in Filmkritikerkreise hinein bis heute nostalgisch verklärt kritiklos überbewertet wird. Nein, „Der weiße Hai“ war nicht der erste Tierhorrorfilm, zuvor gab es bereits Hitchcocks „Die Vögel“ und davor wiederum gab es Filme wie „Tarantula“ und „Formicula“, die Tierhorror mit Science-Fiction-Elementen verbanden sowie bereits Filme mit anderen Meeresbewohnern, ganz zu schweigen von „Godzilla“ und „King Kong“. „Der weiße Hai“ hat aber eine Welle an Tierhorror-Produktionen losgetreten, da viele aufgrund des großen Erfolgs etwas vom Kuchen abbekommen wollten. Ironischerweise sind einige in diesem Zuge entstandene Filme tatsächlich besser als Spielbergs Film. Warum das nicht unbedingt zu den schwierigsten Aufgaben zählt, möchte ich zu erläutern versuchen.
Als ich als Präpubertierender nach Horrorfilmen gierte, konnte ich mir auch die „Der weiße Hai“-Reihe im TV ansehen. Ich erinnere mich, dass ich zwar moderat unterhalten wurde, aber doch eher enttäuscht war. Das sollte alles gewesen sein? Das waren die berüchtigten weißen Haie? Als ich kurze Zeit später Tierhorrornachzügler sah, die stumpf normale Tiere auf Überlebensgröße aufbliesen und dadurch Angst und Schrecken verbreiten wollten, ohne aber den Charme der alten Schwarzweiß-Produktionen reproduzieren zu können, war das Kapitel „Tierhorror“ zunächst für mich abgehakt und wurde zur uninteressantesten Genre-Spielart. Nach einigen befriedigenden Ausflügen ins Tierhorror-Subgenre als Erwachsener drängte ich irgendwann auf eine Neusichtung und -bewertung des weißen Hais, so nun geschehen:
Selbstverständlich versteht es Steven Spielberg, Filme zu drehen. Er erzeugt schöne, durchkomponierte Bilder, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Er weiß, wie man Stimmungen überträgt, wie man Emotionen schürt. Doch wie er sein Talent für die Verfilmung des mir unbekannten Romans Peter Benchleys einsetzt, stößt mir bisweilen sauer auf. Dass das Drehbuch den Zuschauer für dumm verkauft, indem es nicht einmal den Versuch unternimmt, eine Erklärung für die vollkommen unrealistischen Haiattacken zu liefern, ist schlimm genug und hat letztlich entschieden dazu beigetragen, diese Tiergattung beinahe auszurotten, nimmt das dumme „Blockbuster“-Publikum den Unfug doch für bare Münze. Spielberg indes macht gute Miene zum bösen Spiel und verhindert durch ständige platte Gags konsequent jegliche bedrohliche Atmosphäre, ironisiert dafür das Geschehen und macht eine halbe Komödie aus dem nach ein paar abgetrennten Gliedmaßen zusehends familientauglicher werdenden Film. Den Hai bekommt man lange Zeit überhaupt nicht zu sehen, was völlig in Ordnung geht, aber auch verdeutlicht, dass man tricktechnisch nicht allzu viel zu tun hatte. Geplant war das anscheinend anders, doch der mechanische Hai funktionierte schlicht nicht richtig. Erst im Finale sieht man ihn in ganzer Pracht, wo ich mich aber weniger erschreckt, als mir viel mehr gewünscht habe, er möge das Trio endlich verspeisen und möglichst nicht wieder ausspucken.
Denn die Charakterzeichnungen fielen viel zu flach und eindimensional aus. Wen wundert’s, wenn das Drehbuch keinen Platz für Schurken mit dunklen Geheimnissen oder falsche Spiele spielende Unholde bietet? Dass Brody der typische heldenhafte US-Amerikaner ist, der ein Wässerchen höchstens mit Haiblut trüben kann, liegt ja noch auf der Hand; weshalb man Dreyfuss aber ein so peinliches Overacting als hyperaktivem Biologen gestattet, begreife ich nicht. Das ist Charakterzeichnung mit dem Holzhammer. Dass es sich beim kauzigen Haijäger Quint um einen Kriegsveteranen handelt, der herhalten muss, um eines von vielen Ami-Kriegstraumata krampfhaft in den Film hineinzupressen, zu verarbeiten zu versuchen und gleichzeitig den Atombombenabwurf auf Japan zu rechtfertigen, ist man hingegen beinahe gewohnt, was es aber nicht weniger ärgerlich macht. Drei Männer auf einem Boot – da ist schlecht Fotzelecken, aber gut den aufopferungsvollen Patrioten Raushängenlassen, bis der Hai seine Märtyrer fordert, wiederum wenig überraschend, denn wer überlebt, steht von vornherein fest.
Der langwierig erscheinende Weg zum Finale ist gepflastert mit wenigen Toten, dafür umso mehr Dialogen zwischen Brody und denjenigen Figuren, die hier die andere Menschen in Gefahr bringenden, skrupellosen Geschäftemacher sein sollen, vom Drehbuch aber so dermaßen mit Samthandschuhen angefasst werden, dass man fast Verständnis für sie entwickelt. Das war sicherlich beabsichtigt, denn wirklich böse ist hier natürlich niemand außer dem Hai. Geld muss verdient werden, ist doch klar, so ist das nun mal im land of the free. Dass bei einer derartigen Figurenkonstellation die Dramaturgie auf der Strecke bleibt, liegt in der Natur der Sache. Spielberg begegnet dem mit einigen starken Suspense-Szenen wie dem am Strand wachenden Brody, der das wuselige, laute Treiben der Menschen beobachten und differenziert beurteilen muss. Natürlich muss auch der minimalistische Soundtrack als Glücksgriff betrachtet werden, der mit seinen gerade einmal zwei bis drei, aber dafür dramatisch arrangierten Klängen wie kein zweiter für nahendes Unterwasserunheil steht und die eine oder andere Szene aufwertet bzw. erst zu dem macht, was sie ist. Einsamer Schockmoment, der wirklich überrascht, ist der Tod eines Kindes. Doch offensichtlich dachte Spielberg, damit wäre es genug und er könne seinem Publikum keinesfalls mehr zumuten; anschließend scheint er sich fast dafür entschuldigen zu wollen.
Herrje, auch wenn es gerade den gegenteiligen Anschein erweckt: Ich habe wirklich versucht, diesen Film zu mögen, ihn endlich als den großen, wichtigen Klassiker akzeptieren zu können, als den ihn so viele betrachten. Stattdessen bekam ich aber den üblichen Spielberg-Kitsch, wie er immer wieder kopiert wird und mir schon immer zum Halse heraus hing. „Der weiße Hai“ fehlt es an dem entscheidenden Quäntchen Düsternis, der Prise Verkommenheit, dem anarchischen Etwas, das einen Horrorfilm zu einem Horrorfilm macht. „Der weiße Hai“ ist weder furchterregend, noch intelligent, er ist zu nett und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des Massengeschmacks ausgerichtet, ohne die Massen, die er anzieht, wirklich verstören zu wollen. Spielbergs emotionalem und fotographischem Geschick zum Trotz ist „Der weiße Hai“ ein Schritt zurück gegenüber dem Tierhorror der 1950er. Von „Der weiße Hai“ ermutigte Produktionen, die sich an deren Grundsujet erinnerten und mit einer klugen, ökologischen Aussage einhergehen, ohne dabei den Unterhaltungsfaktor zu vernachlässigen – ganz im Gegenteil, sind sie doch gerne weniger zimperlich als Spielberg – liegen in meiner Gunst eindeutig höher und wenn es dabei auch mal holpert und rumpelt und nicht so glattgebügelt erscheint wie Spielbergs Urlaubsidylle, umso besser.