Ein weißer Hai beginnt eines Nachts einen grausamen Feldzug und versetzt ein Küstenstädtchen in Angst und Schrecken. Als der vermeintliche Hai gefangen wird, ist die Gefahr gebannt - glaubt man. Einzig der Ortssheriff Brody und der Meeresbiologe Hooper befürchten, daß noch ein weiteres Ungeheuer vor der Küste auf weitere Opfer lauert. Doch der Bürgermeister ignoriert die Befürchtungen, um nicht den aufkommenden Tourismus zu verhindern. Dann schnappt der Hai jedoch ein weiteres Mal zu, und es muß gehandelt werden...
Einer der ganz großen Beiträge zum Horrorgenre. Steven Spielberg versteht es in seinem dritten Film großartig, Hochspannung zu erzielen.
Da wäre zum einen die Musik von John Williams, die heute weltberühmt ist und keinem mehr aus dem Kopf gehen wird, der sie gehört hat. Durch die Musik wird der weiße Hai, den der Zuschauer im ersten Teil nicht einmal zu Gesicht bekommt, angekündigt. Beim ersten Opfer wird nur eine simple Unterwasserkamera eingesetzt, die sich aus der Tiefe des Meeres immer näher an das Mädchen heranpirscht, bis der Hai zuschlägt - begleitet von der Musik. Mit minimalen Mitteln hat Spielberg ein Maximum an Spannung erreicht.
Im zweiten Teil rückt diese Sichtweise in den Hintergrund, und die Schreck- bzw. Schockeffekte rücken an die erste Stelle, denn jetzt kann man den bedrohlichen weißen Hai auch endlich in seiner ganzen Pracht erleben. Die Subjektivität - das Sehen mit den Augen des Hais - weicht der Objektivität. Hat in der ersten halben Stunde noch ein plötzlich herumschwimmender Kopf eines Opfers für einen der größten Schreckeffekte der Filmgeschichte gesorgt, so steigt nun der Blutgehalt rapide in die Höhe - allen voran beim letzten Toten, worauf hier nicht weiter eingegangen werden soll. So viel sei gesagt: Die Szene war so ziemlich das Heftigste, was der Kinozuschauer bis dato zu Gesicht bekommen hat. Sie ist auch ein Grund dafür, daß viele Menschen nach diesem Schocker nicht mehr im Meer baden wollten und selbst die Badewanne mit einem mulmigen Gefühl betraten. Auch fast 30 Jahre später erreicht sie noch eine immense Wirkung und erzielt den "Am-liebsten-wegschauen"-Effekt eindrucksvoll. Doch auch die Sequenzen, in denen der Hai urplötzlich auftaucht, ohne daß er von der Musik angekündigt wird, sorgen für ein Zusammenzucken. Der Film spekuliert zweifelsohne auf ein starkes Nervenkostüm des Zuschauers. Ein Wunder, daß Spielbergs Klassiker in der damaligen - noch leichter zu schockierenden - Zeit schon ab 16 freigegeben war. Eine größere Wirksamkeit hatte bis 1975 wohl kaum ein anderer Film. Mir fällt spontan nur "Die Nacht der lebenden Toten" ein.
Zugegeben - die überbetonten Bluteffekte spielen eine große Rolle in "Der weiße Hai", aber Spielberg begeht Gott sei Dank nicht den Fehler, den viele moderne Filmemacher zu tun pflegen, siehe die Regisseure der Fortsetzungen von "Halloween": Er vernächlässigt zu keinem Zeitpunkt die Spannung. Im Gegenteil: Spannender kan ein Horrorfilm einfach nicht sein. Allein die Ausgangslage der letzten Dreiviertelstunde ist nicht zu übertreffen: Drei Männer auf dem weiten Meer, kein Land in Sicht, auf der Jagd nach dem Riesenhai, der fast größer als ihr Schiff, die "Orca" ist. Diese Situation reicht vollends aus, um Nervenkitzel im Überfluß zu produzieren. Die Spannung gerät zur Unerträglichkeit, je mehr das Schiff demoliert wird, bis es schließlich zu sinken droht.
Zusätzlich bringen die drei grundverschiedenen Charaktere noch Pfeffer in den Film: Quint, der bärbeißige und besessene Haijäger, ein erfahrener Seemann, dem es nur um das Geld geht, das er für die Ergreifung des Hais bekäme; Hooper, der junge Meeresbiologe, der die nötigen Grundkenntnisse für die Haijagd mitbringt; Brody, der Ortssheriff, der wasserscheu bis zum Gehtnichtmehr ist, aber mitmacht, weil er den Tod eines Kindes verschuldet. Streit vor allem mit dem Sturkopf Quint ist somit natürlich vorprogrammiert. Doch je aussichtsloser die Lage wird, desto mehr entwickeln sie sich zu einem weitgehend funktionierenden Trio.
Was verständlicherweise gern an Spielbergs Meisterwerk kritisiert wird, ist die hohe Einfachheit der Handlung. Das Schema in der ersten Hälfte ist immer gleich: Der Hai taucht immer wieder auf, schnappt sich ein Opfer und verschwindet wieder. Die Prozedur durchleben wir gleich dreimal bzw. viermal, jedoch einmal ohne Todesfolge. Nebenbei lernen wir noch die drei Akteure kennen, mit denen sich der Zuschauer später noch auf dem Boot identifizieren wird, wobei Brody und seine Familie jedoch klar im Mittelpunkt steht. Zudem gibt es einen rücksichtslosen Bürgermeister kennen, dem klingelnde Kassen wichtiger sind als Sicherheit. Er verschuldet damit auch den Tod eines Mannes. Teil zwei befaßt sich ausschließlich mit der Jagd dreier Männer auf den Hai. Schluß, Aus, Ende. Einfacher kann eine Grundhandlung nicht aussehen. Sie ist ganz ohne Schnörkel inszeniert, beschränkt sich auf das Wesentliche. Aber sollen in diesen Film etwa noch zwei, drei weitere Handlungsstränge eingebaut werden, um "Der weiße Hai" etwas komplexer zu gestalten? Nein, ich finde nicht. Der bis dahin erfolgreichste Film aller Zeiten, der sein zuerst vorgesehenes Budget für die Dreharbeiten deutlich überschritt, aber letztendlich achtstellige Einnahmesummen zu verbuchen hat, hat sein Hauptziel erreicht: Er hat dem Zuschauer das Fürchten gelehrt, nervenzerrende Spannung hervorgebracht und das Mitleiden mit den drei Protagonisten auf hoher See bewirkt. Was anderes als pure Unterhaltung hat Spielberg garantiert auch nicht beabsichtigt.
Erstaunlich sind noch heute die beeindruckenden Haimodelle, die so erschreckend realistisch wirken, daß sie auch von der heutzutage üblichen Computertechnik nicht übertroffen werden können. Nicht zu fassen: Der Film ist von 1975!
Roy Scheider, Richard Dreyfuss (am Anfang seiner großen Filmkarriere) und Robert Shaw passen in ihre Rollen wie kein zweiter. Welche Schauspieler mir auch in den SInn kommen, keiner könnte das kongeniale Team ersetzen.
Peter Benchley, der Autor der Vorlage, spielt übrigens in einer klitzekleinen Nebenrolle als Reporter mit, der über die schrecklichen Taten des Hais berichtet.
Zusatzinformation aus dem "Guinness-Buch des Films": "Das Sinken der Orca [...] war nicht simuliert. Obwohl es sich um ein mit Polyurethan überzogenes Stahlrahmen-Modell und nicht um einen echten Hai handelte, war es doch monströs genug, um das Schiff unbeabsichtigt zu versenken. Die Kamera-Crew wurde aus dem Wasser gerettet. Taucher mußten die Kameras vom neun Meter tiefen Meeresgrund heraufholen. Das Filmmaterial wurde sofort mit frischem Wasser abgespült und entwickelt. Glücklicherweise hatte ihm das Meereswasser keine Schäden zugefügt, und die bereits gedrehten Sequenzen konnten für den Film verwendet werden." - Nicht auszudenken, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre.
Fazit: Spielberg schuf mit "Der weiße Hai" einen Film für die Ewigkeit. Sein Meisterwerk - in jeder Hinsicht - ist ein Musterbeispiel für perfekten Spannungsaufbau mit der legendären Musik von John Williams. Dem absoluten Klassiker folgten einige Nachzügler, u.a. drei Fortsetzungen sowie zahlreiche Plagiate, die allesamt dem Original nicht nur ansatzweise das Wasser reichen können.