Es gibt Filme, die sind bereits berühmt bevor sie überhaupt veröffentlicht wurden. Das meist passiert dann, wenn die Dreharbeiten so katastrophal verlaufen, dass es der Presse mehrere Berichte wert ist. Einer dieser Fälle war Steven Spielbergs zweiter Kinofilm „Jaws“, hierzulande als „Der weiße Hai“ (gefällt mir persönlich besser) bekannt. Denn der Film wurde am, im und auf dem Meer gedreht, was sich in der Filmgeschichte immer wieder als Herausforderung entpuppte. Ähnliche bekannte Fälle waren „Moby Dick“ (1956), „Das Boot“ (1981) „Waterworld“ (1995) und auch „Titanic“ (1997)
Und so war die Entstehung von „Der weiße Hai“ dann auch eine harte Bewährungsprobe für das damals 28jährige Wunderkind Spielberg. Bis der Film im Kasten war hatte er auch tatsächlich als erster Filmregisseur in der Geschichte den Drehplan um über 100 Tage überzogen (von 52 auf 155 Drehtage) und das Budget von 2,3 auf 8,5 Mio. Dollar ansteigen lassen (allein 3 Mio. verschlangen die drei Hai – Modelle, weniger wegen der Baukosten sondern eher aufgrund von Wartung, Bedienung und diversen Unfällen)
Ohne Zweifel ist Steven Spielbergs zweiter Kinofilm „Der weiße Hai“ einer der besten und wirkungsvollsten Thriller aller Zeiten, für mich neben John Carpenters „Halloween“ das spannendste Stück Film, das jemals auf Zelluloid gebannt wurde.
Die Spannung rührt nicht zuletzt daher, dass man den Hai kaum zu Gesicht bekommt. In der ersten Hälfte gar nicht und auch in der zweiten immer nur kurze, schockartige Aufnahmen seines Kopfes (oder besser Maules) oder seiner durchs Wasser streifende Rückenflosse. So wird der Hai zu einer anonymen, ungreifbaren Gefahr im Wasser, womit der Film auch gleichzeitig die Urängste des Menschen vor den unbekannten Tiefen des Meeres anspricht.
Das beste Beispiel hierfür ist die berühmte Anfangsszene, in der ein nacktes Mädchen nachts allein im Meer schwimmt. Es ist dunkel, sie ist allein, hat nichts an, ist also völlig ungeschützt, und der Zuschauer weiß durch den Titel (bzw. dem Vorspann) und die charakteristischen Musikakkorde, dass der Hai da ist.
Die Musik ist das zweite wichtige Element, das dem Film seine enorme Wirkung verleiht. Der Komponist John Williams schrieb mit dem Titelthema eine der bekanntesten Filmmelodien aller Zeiten. Das Thema zieht sich quer durch den ganzen Film, ist aber auch der perfekte musikalische Ausdruck für den weißen Hai. Alles in allem stellt der Soundtrack zu „Der weiße Hai“ einen der besten der Filmgeschichte dar und wurde zu Recht mit dem Oscar prämiert.
Doch trotz des deutschen Titels stehen in dem Film die menschlichen Figuren und nicht der Hai im Vordergrund. Der Hai erhält, wie schon erwähnt, seine Bedrohlichkeit
dadurch, dass er so selten zu sehen ist. Der Film zeigt wie die Menschen versuchen mit dieser Bedrohung umzugehen. Dabei schildert die erste Hälfte noch das typische Katastrophenszenario der 70er Jahre, mit den typischen an Ibsens „Der Volksfeind“ erinnernden Konflikten zwischen Polizist und Bürgermeister. Jedoch wird auch die erste Hälfte immer wieder durchsetzt mit spannungsfördernden Sequenzen wie z. b. eine Strandszene, die aus der Sicht des Polizeichefs gefilmt ist, so dass der Zuschauer, ebenso nervös wie er, die Badegäste beobachtet. Die kommunalpolitischen Konflikte spielen in der Romanvorlage von Peter Benchley eine noch größere Rolle, wurden für den Film aber zum Glück heruntergespielt. Die seifenopernhaften Elemente um die Ehekrise des Polizeichefs wurden dankenswerterweise ganz weggelassen. Trotzdem gelingt es dem Skript sehr gut den Figuren Profil zu verleihen.
Der Polizeichef Brody wird glänzend von Roy Scheider verkörpert, der hier in seiner besten Hauptrolle zu sehen ist. Er wirkt als besorgter Normalbürger und Familienmensch, der als Polizist aber auch durchaus über Kampfgeist verfügt absolut
glaubwürdig. Der herrliche Einfall, den Chief wasserscheu zu machen gibt ihm zusätzlich Gelegenheit für einige köstliche Szenen, in denen der Großstadtmensch Brody auf hoher See sichtlich verlorenen scheint. Er ist eindeutig die Identifikationsfigur des Films.
Robert Shaw als rauhbeiniger Seebär ist ebenfalls großartig besetzt. Seine bekannte Indianapolis – Rede (die historisch zugegebenermaßen nicht ganz korrekt ist, interessiert aber nur die Krümelkacker) wurde, zumindest teilweise, von ihm selbst verfasst. Auch für ihn war es die größte Filmrolle seines Lebens.
Richard Dreyfuss, in jenen Tagen durch Filme wie „American Graffiti“ und „Das Leben des Duddy Kravitz“ sehr populär, war hier das Alterego für Steven Spielberg. Abweichend vom Roman spielt er einen nicht unsympathischen, besserwisserischen und fast teddybärhaften Meeresbiologen aus reichem Hause. Die drei Akteure und ihre dargestellten Figuren Brody, Quint und Hooper bilden das typisch Freudsche Dreiergespann Ich, Es und Über - Ich.
Wenn es die drei in der Mitte des Films hinaus aufs Meer zieht, um dem weißen Hai zu jagen entfaltet sich das Spannungspotential zur Gänze. Hier draußen auf dem Meer, sind die Männer allein auf sich und ihre Technik gestellt. Die Bestie ist in ihrem Element, dem Meer. Und während sich sämtliche Aktionen der Männer als wirkungslos erweisen, werden die Angriffe des Hais immer heimtückischer und stärker. Bewusst wird hier am Horizont kein Land gezeigt. Die Isolation der Männer wird so für den Zuschauer spürbar und die Bedrohung durch den Hai so noch intensiver.
Dass Spielberg den Anblick der Bestie auch hier geschickt zu dosieren weiß (meist sieht man die Flosse, durchs Wasser gezogene Fässer, zerfetzte Taue und manchmal kurz den Kopf) ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass er aus der Not eine Tugend machte, als das Hai - Modell während der Dreharbeiten des Films streikte.
Erst als es im spektakulären Finale ums nackte Überleben der Männer geht, wird auf die volle Ansicht des Hais gesetzt. Dabei kommen bei dem genial montierten Unterwasserangriff auf den Antihaikäfig sowohl Aufnahmen des berühmt berüchtigten Polyuhrethan - Monsters (gefilmt im Studiobassin) als auch Naturaufnahmen aus dem Great Barrier Reef in Australien zum Einsatz. Wenn der Hai schließlich das Boot völlig zerstört und auch über Wasser umherschnappt, sieht man ihm durchaus seine Herkunft aus einer großen Werkstatt an, das ganze ist aber so packend gefilmt, das dies überhaupt nicht mehr ins Gewicht fällt. Hier zeigt sich bereits Steven Spielbergs Talent für die handwerklich äußerst ausgefeilte Inszenierung technisch aufwendiger Action – Szenen.
Der im Buch eindeutig an Kapitän Ahab angelehnte Tod des Hai erfahrenen Quint wird im Film zu einer quälend langen, blutigen und grausamen, gleichwohl genial gefilmten, Todes- (oder besser Fress-) Szene. Wenn es bei „Der weiße Hai“ zu Hai – Attacken kommt, dann fallen diese auch entsprechend hart aus. Das beginnt mit der erwähnten Anfangsszene, die noch die Phantasie des Zuschauers anspricht (was ja auch ziemlich grausam sein kann) und geht weiter mit ein Paar, nicht unblutigen Angriffen, in denen mitunter auch Leichenteile übrig bleiben. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie man dem Film seinerzeit ein PG – Rating verpassen konnte. Da ist die deutsche Altersbeschränkung schon eher sinnvoll (erst ab 16).
Statt des düster, beschwichtigenden Schlusses des Romans (hier erliegt der Hai, nachdem er erst Hooper und dann Quint getötet hat und bevor er Brody töten kann, seinen Verletzungen und sinkt auf den Meeresgrund) gibt es im Film, eine angemessen spektakuläre, finale Auseinandersetzung zwischen Mensch und Ungetüm im Stile von David und Goliath. Dabei reist natürlich John Williams Musik bis zum Schluss nicht ab, sondern bleibt eine wesentliche Stütze für die Aktionen.
Man muss sagen, dass dem damals gerade 28 jährigen Steven Spielberg mit „Der weiße Hai“ ein wahres Meisterwerk gelungen ist (obwohl Spielberg selber einräumte, dass Williams Musik einen überdurchschnittlich hohen Anteil am Erfolg hatte) . Der Film zeigt eindrucksvoll, dass auch Unterhaltungsfilme ohne Tiefgang auf hohem Niveau funktionieren können.
„Der weiße Hai“ gilt im Übrigen als der Film, der das sogenannte Blockbuster – Kino begründete. Damit sind Filme gemeint, die mit einem beachtlichen Werberummel und eine besonders großen Anzahl an Filmkopien (in diesem Fall waren es etwa 300 in den Vereinigten Staaten, Mitte der 70er beachtlich) veröffentlicht werden um so einen enormen Geldbetrag einzuspielen. Obwohl sie mit Walt Disney und den James Bond – Filmen der 60er Jahre durchaus Vorbilder hatten, galt die Werbekampagne, die die Produzenten Dick Zanuck und David Brown für den „Weißen Hai“ betrieben als bis dahin beispiellos. Irgendwann drohte angeblich der Handel mit Filmzubehör sogar das Hauptprodukt zu überwuchern, so dass man in der Zeitschrift Newsweek eine Annonce aufgab in der stand, „Es ist AUCH ein Film“. Dass „Der weiße Hai“ auch ein finanzieller Megaerfolg wurde ist ja hinreichend bekannt. Spielbergs erster Spitzen – Reiter der Box – Office Charts.
(Nur zur Info: „Der weiße Hai“ war nicht der erste Film, der über 100 Mio. Dollar an den US-Kinokassen einspielte, es war der erste Film, der seinem Studio mehr als 100 Mio. Dollar Nettoeinnahmen einbrachte. 129,5 Mio. Dollar ist die Zahl des Nettoeinspiels, das Bruttoeinspielergebnis in den USA betrug ca. 260 Mio. Dollar, das weltweite knapp 460 Mio.).
Hier noch ein interessanter Fakt:
Hiermit möchte ich (in Kenntnis der offiziellen Biografie) einen weit verbreiteten Irrtum aufklären. Steven Spielberg wurde am 18. 12. des Jahres 1946 geboren, und nicht 1947 (er hat wegen der falschen Angabe auch schon juristische Probleme bekommen).
10 / 10