Review

Die Achtziger, das für Walter Hill („Southern Comfort“, „48 Hrs.“) hinsichtlich seines Schaffens wichtigste Jahrzehnt, ließ der das Testosteron-Kino entscheidend mitdefinierende Filmemacher mit „Johnny Handsome“, der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ken Friedman („The Taking of Pelham One Two Three“), unüblich ruhig ausklingen. Abseits seines Metiers offenbarte Hill zum ersten Mal seit „The Long Riders“ wieder, dass es ihm an narrativen Talent mangelt seine mehrdimensionalen Figuren dem Zuschauer zugänglich zu machen, auch wenn er hier mit Mickey Rourke („Year of the Dragon“, „Angel Heart“) einen der damals gefragtesten Stars in der Hauptrolle besetzte. Was in „48 Hrs.“ oder „Red Heat“ nie eine Rolle spielte, wird hier leider allzu offensichtlich.

Denn bereits mit Rourke treten die ersten Probleme auf. 16 Jahre vor „Sin City“ zeigt er sich hier als entstellter Außenseiter John Sedley, von allen nur schmerzhaft Johnny Handsome genannt. Seine gehandicapte Figur nimmt den Zuschauer nicht für sich ein, bleibt hässlich, aber nie ein Wesen, dem man Gefühle entgegenbringt, das einem gar Leid tut oder um das man sich schert. Dafür gibt Hill zu wenig von ihm preis, zeigt ihn nicht als verletzliches Wesen oder etwa in seinem traurigen Schicksal versunken.

Hills Stärken liegen woanders und das soll auch „Johnny Handsome“ wieder deutlich machen. In der feinsten Achtziger-Jahre-Schmuddel-Optik entlässt er John, dessen besten und einzigen, in Geldnöten steckenden Freund Mikey (Scott Wilson) sowie deren Komplizen (u.a. der schmierig-diabolische Lance Henriksen als sie hintergehender Verräter) in einen Juwelier-Überfall, den Hill in seinem typisch rauen, harten Bilderstil ohne mit Gewaltausbrüchen zu sparen und mit seiner herben Ästhetik zu glänzen, umsetzt.
Doch so minutiös bis ins letzte Detail durchgeplant der Coup auch war, mit diesem Verrat von Rafe (Henriksen, „The Terminator“, „Aliens“) konnte selbst der misstrauische John nicht rechnen, muss, als sich der Rauch lichtet, seinen toten Kumpel Mikey beweinen und umgehend geschnappt in den Knast wandern, wo Rafe ihm alsbald Killer auf den Hals hetzt, um den einzigen Zeugen mundtot zu machen. Trotzdem packt John nicht aus, denn er hat sich längst ein Ziel gesetzt.
Knapp dem Tod entronnen, wird John in ein Krankenhaus verlegt, wo der von seinem Fall faszinierte, plastische Chirurg Dr. Steven Fisher (Forest Whitaker, „Body Snatchers“, „Battlefield Earth: A Saga of the Year 3000“) ihm das Angebot unterbreitet, ihm die modernste Medizin zukommen zu lassen und damit einen neuen Menschen aus John zu machen.

Nun zeigt sich John jedoch erst während seines Gefängnisaufenthalts und später im Krankenhaus leider bis auf Fragmente seiner Vergangenheit wenig offen, so dass das Potential der eigentlich ausgeklügelten Prämisse leider nur marginal ausgeschöpft wird. Denn Fishers idealistische These, dass ein neues Gesicht auch einen neuen Menschen machen kann, wird von dem von Vorurteilen zehrenden Cop Lt. A.Z. Drones (Morgan Freeman, „Se7en“, „Kiss the Girls“), der John schon ewig als Kleinkriminellen kennt, in Frage gestellt. Nein anders, er weiß nur zu genau, was hinter Johns Gesicht lauert und warnt davor, um auf Fishers taube Ohren zu stoßen.
Diese beiden gegensätzlichen Ansichten soll eigentlich der Zuschauer während der voranschreitenden Genesung Johns, der richtig sprechen lernt und am Ende tatsächlich ein makelloses Gesicht besitzt, abwiegeln: Stecken in John nun noch kriminelle Energien und Rache oder will er nun die Chance ergreifen und ein neues Leben in der Gesellschaft, die ihn einst ächtete und verstieß, beginnen?

Die Frage beantwortet der Film erst später und er ist gut darin sein Publikum zu täuschen, denn John, der Freigang und später Bewährung bekommt, ergreift einen Job in einer Werft, lernt eine dort in der Verwaltung arbeitende, attraktive, aber auch naive Frau kennen und scheint auf soliden Füßen zu stehen, während in seinem Hinterkopf schon längst ein ausgetüftelter Racheplan vor sich hinschlummert, der ihm nicht nur viel Geld, sondern auch Genugtuung verschaffen wird.
Er findet zwar einen Menschen, der ihm Gefühle entgegenbringt, kann sich aber die Erinnerungen seiner Vergangenheit nicht aus seinem Kopf löschen und geht final in die Offensive, was zu einem harten, blutigen und tragischen Ende auf dem Friedhof führt, wo alle Fronten geklärt werden.

Bis dahin lässt „Johnny Handsome“ aber seine letzte Klasse vermissen. Hill nimmt sich noch einmal die Zeit für eine seiner souverän umgesetzten Actionsequenzen, die dann einen Überfall auf die Löhne der Werftarbeiter vorsieht, was endlich auch den schnüffelnden und Recht behaltenden Drones wieder aktiv zurück in die Handlung katapultiert.
Leider vermag Hill nebenher aber nicht ein eindringliches Drama zu inszenieren. Er bleibt hinsichtlich seiner Hauptfigur, die, um an ihr Ziel zu kommen, alles gerade Gewonnene, ruppig abstößt, sehr oberflächlich, gönnt ihr kaum den Raum der tieferen Entfaltung und zeigt sie nur bei ihrem kontinuierlichen Rutsch in die hässliche Vergangenheit, wo Rafe schon auf ihn wartet und trotz des neuen Gesichts erfährt, wer hinter seinem neuen Partner steckt. Johns Zwiespalt wird zugunsten seiner Raffgier, Besuchen von immerhin ein Eighties-Feeling aufkommen lassenden Kneipen und Hills schwelgende Faszination für die dunklen Seiten von New Orleans leider zusehends verwässert, als dass hier zumindest im letzten Drittel noch ein packendes Drama entstehen könnte.

So endet „Johnny Handsome zu dem mal wieder vortrefflichen Score von Ry Cooder letztlich in blutiger Gewalt, um die einfachste Lösung zu wählen – das dann aber immerhin konsequent.
Die vorangegangenen Fehler kann dieses Ende kurzfristig vergessen machen, sie aber nie egalisieren. Zu finden sind sie im Drehbuch und bei Walter Hill, der bei aller inszenatorischer Versiertheit nie ein begabter Erzähler war, wenn es um Dramen ging, die von ihren tragischen Figuren leben. Sie nur zu zeigen, reicht nämlich nicht aus, um sie dem Zuschauer zugänglich zu machen und für sich einzunehmen. In ihr Inneres vorzudringen, ist der Schlüssel zum Erfolg.


Fazit:
Oberflächliches Actiondrama von Walter Hill, das sich visuell mit seinen trostlosen Bildkompositionen und den soliden Darstellern nichts vorzuwerfen hat, aber als Drama weitestgehend versagt, obwohl das Potential vorhanden gewesen ist. „Johnny Handsome“ verweilt damit bei Hills schwächeren Werken abseits seines eigentlichen Metiers. Dank der leider raren, aber guten Actionszenen, meiner persönlichen Eighties-Nostalgie und einer Variation der des klassischen Rächer-Plots reicht es für den guten Durchschnitt. Mehr ist bei aller Sympathie für Walter Hill aber einfach nicht drin.

Details
Ähnliche Filme