Nach seinem hervorragenden Zwischenhoch „Man on Fire“ ist Tony Scott mit „Domino“ wieder ins Mittelmaß zurückgekehrt, von wo aus er sich nun schon seit „Crimson Tide“, also gut 10 Jahren, verzweifelt mit durchschnittlichen Filmen wie „The Fan“, „Enemy of the State“ oder „Spy Game“ über Wasser hält - zum Teil auch mit finanziellem Erfolg.
Der blieb „Domino“ allerdings verwehrt, denn der Film floppte grandios und dürfte, wenn ich mich recht entsinne, mit einem Einspiel von 10 Millionen Dollar am amerikanischen Boxoffice bis dato Scotts kommerziell schwächster Film gewesen sein.
Nun hatte der Mann aber im Vorfeld auch Ambitionen, bei denen er sich selbst im Weg stand. Weg von den Thriller und Actionthrillern der letzten Jahre, sollte es nun ein loses Biopic über die schillernde Kopfgeldjägerin Domino Harvey, die als Tochter von Hollywood-Schauspieler Laurence Harvey („The Manchurian Candidate“, „The Running Man“) sich als junges Mädchen aus dem reichen, wohlbehüteten Elternhaus ausklinkte, um etwas zu erleben, zu modeln und schließlich zu einer der berühmtesten Kopfgeldjägerinnen Amerikas wurde, werden.
Scott bringt das Problem mit sich als Regisseur ein Macho und Prolet zu sein, dessen Bildsprache immer unter Starkstrom steht. Damals in den Neunzigern hat er zusammen mit Kollegen wie Michael Bay die damals revolutionäre Videoclipästhetik mit erfunden und scheint seitdem darauf versessen, jeden seiner Filme in unendliche Bilderrausche zu steigern. Jeder seiner folgenden Film übertraf den vorangegangenen an Experimentierfreudigkeit. Schon bei „Man on Fire“ war er kurz davor die Überforderung des Zuschauers rücksichtslos in Kauf zu nehmen, hatte aber immerhin noch Denzel Washington („Crimson Tide“, „Training Day“) und das Drehbuch von Brian Helgeland („L.A. Confidential“, „The Order“) in petto. Bei „Domino“ sind nun leider Hopfen und Malz verloren.
Denn als Biopic scheitert der Film auf voller Linie. Abgelenkt durch Scotts orgastisch- ekstatischen Wahn jede Einstellung zu verfremden, sie zu wiederholen, mit Stilmitteln zu versorgen, dann wieder mit Farbgebungen zu spielen, Zoom in, Zoom out, Cut, Vorlauf, Rücklauf, Steadycam, *wackelwackel*, um sich auch ja in keinem Frame eine Auszeit zu erlauben, bleibt der Zuschauer nun endgültig distanziert vom Film, erschlagen durch den visuellen Rausch, ohne Anteilnahme vor „Domino“ sitzen und harrt der Dinge die da kommen. Domino Harvey wird so mit Sicherheit nicht interessanter. Auch nicht, wenn sich die Protagonisten später unfreiwillig selbst mit Meskalin volldröhnen und die Realität wohl vermutlich so sehen, wie wir den Film.
Das Verquere daran ist aber, dass Scott damit, wenn auch versehentlich, sehr viel richtig macht. Seine Filme sind ein audiovisuelles Erlebnis sondergleichen und wenn man am Rande der Epilepsie schon fast kapitulieren möchte, irgendwas an dem Film aber trotzdem attraktiv findet, was ausreicht, um ihn zu Ende zu sehen, hat Scott zumindest seine Schuldigkeit getan. Evergreens dröhnen zu Dominos hastig abgetastetem Leben, Untertitel surren durchs Bild und überall die ungezügelte Lust des Regisseurs alle Konventionen auszusperren. Das ist Tony Scott, wie er leibt und lebt. Ein Maestro, der den Taktstock entgegen aller Regeln der Inszenierung schwingt und sein Orchester an Instrumenten als eine Exzess-Orgie auf den Zuschauer einhageln lässt. Hier ist er nur leider endgültig zu weit gegangen und ich hoffe inständig, dass er zu seinem früheren, gemäßigtem Stil hiernach wieder zurückfindet.
Eine Teilschuld des Misslingens von „Domino“ trifft allerdings auch ganz klar Richard Kelly, dessen „Donnie Darko“ – Skript hoffentlich nicht nur eine Eintagsfliege war. Seine Zusammenfassung des Menschen Domino Harvey besteht aus einer Aneinanderreihung mehr oder weniger interessanter Kapitel ihres Lebens, die ihren Wandel, die Beweggründe, ihren Weg zur Kopfgeldjägerin und schließlich die Ausübung ihres Jobs behandeln, dabei aber mehr als nur einmal den Faden verliert, gar nicht einmal so wichtigen Nebenfiguren mehr Zeit einräumt als nötig und nie zu Domino selbst vordringt, auch wenn eine Handvoll Schlüsselszenen, die sie entscheidend bei ihren Entschlüssen beeinflussten, mit integriert worden sind.
Nach „Domino“ weiß man über sie nicht viel mehr als vorher, denn den Zugang zu ihr, versperrt Richard Kelly mit seinem Drehbuch, das mitunter völlig aus dem Fokus gerät, nur unzureichend ihren Charakter durchleuchtet und ihre Einstellung eben nicht zur Oberklasse gehören zu wollen, obwohl sie dort hinein geboren wurde, höchst minimalistisch auf ein paar Monologe reduziert, die dann größtenteils leider auch nur ihre Ablehnung unterstreichen.
Sein verschachtelter Aufbau, der mitunter doppelt in der Vergangenheit erzählt, dann Vergangenes neu aufrollt, um es neu zu gestalten, verzettelt sich teilweise arg, während er jene uninteressanten Nebenschauplätze, wie die kaum kritisch hinterfragte Medien-Show, die schlussendlich eigenen Interessen des Afghanen Alf (Riz Abbasi) und die schon ewig ins Bodenlose strauchelnden „Beverly Hills 90210“ – Ex-Stars zugunsten dieser Aspekte hätte ausklammern können.
Seine guten Seiten hat der Film aber, auch wenn sie teilweise gut versteckt sind. Dafür sorgt die exquisite Besetzung. Mickey Rourke („Year of the Dragon”, „Sin City”), der inzwischen seinen zweiten Frühling erlebt, ist als Dominos Mentor Ed Mosbey, ein berühmter, erfolgreicher mit allen Wassern gewaschener Kopfgeldjäger, der sich des aufdrängenden Mädels zunächst nur widerwillig und dann interessiert wie neugierig annimmt, das charismatische, nebenbei bemerkt einmal mehr saucoole Bonus in einer Nebenrolle, während insbesondere Christopher Walken („God’s Army“, „The Rundown“) als findiger Fernsehproduzent, der das Bounty Hunter – Trio mit einer Reality-Show vermarkten will und das Geschehen mit ein paar komischen Kommentaren versieht, in der Funktion des Edeljokers sticht, allerdings etwas zu kurz kommt. Das Gleiche gilt für die große, alte Dame Jacqueline Bisset („Airport“, „The Deep“) als Dominos Mutter Sophie Wynn und Delroy Lindo („Romeo Must Die“, „Heist“), der nur leider zu wenig zu tun hat.
Hauptaugenmerk liegt aber natürlich auf Keira Knightley („Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl”, „King Arthur”) in der Hauptrolle und sie meistert sie, wobei großartige Leistungen in Scotts Opus von ihrer Seite auch kaum von Nöten sind. Die sich nicht bändigen lassende, kompromisslose Kämpferin lässt sie problemlos heraushängen und das Interagieren mit ihren männlichen Kollegen, insbesondere auf rauer, verbaler Ebene, macht beizeiten sogar richtig Fun.
Dennoch geht mit fortlaufender Zeit trotz des tollen Casts das Interesse flöten, wobei der Film mit über zwei Stunden ohnehin ein Stück zu lang für das ist, was er eigentlich zu erzählen hat.
Der dann den letzten Schwerpunkt setzende, fingierte Überfall eines Geldtransporters, auf dessen Räuber dann Ed, Domino und Choco (Edgar Ramirez) angesetzt werden, unwissentlich dabei aber nur einer Finte folgen und prompt dafür verantwortlich gemacht werden, die Söhne eines hochrangigen Mafiosos auf dem Gewissen zu haben, läutet den Schlussakt ein.
Bis dato gab es nicht sonderlich viel Action zu sehen. Bounty Hunter sind auch meist dann erfolgreich, wenn kein Schuss fällt und so wartet der Zuschauer abseits einer brutalen Armamputation via Schrotflinte, einer Handvoll schicker Explosionen und ein paar abgefeuerter Schüsse auf den großen Bums, der dann in Las Vegas, im obersten Stock des Stratosphere-Towers, genauer in der obersten Etage im Top of the World – Restaurant, stattfindet, weil Domino und ihre beiden Partner die Bredouille in die sie sich versehentlich manövriert haben, wieder egalisieren wollen, dabei aber nicht mit der Verrücktheit eines Afghanen gerechnet haben.
Während um das Gebäude herum ein schießwütiger Heli kreist, bricht in einer der schillerndsten Orte von Las Vegas ein finaler Shootout aus, der vor lauter Überinszenierung im Grunde nur noch andeutet, anstatt zu zeigen und sich damit seiner expliziten Schauwerte selbst beraubt. Zwischen Mafia-Killern und Bodyguards versucht das Trio sich den Weg in die Freiheit zu bahnen, während der Zuschauer sich noch darauf konzentrieren muss, überhaupt etwas zu erkennen, um sich zusammenzureimen, wer da gerade stirbt und davonkommt. Als letzter Showdown dann leider nur noch eine herbe Enttäuschung, weil zu unübersichtlich und schemenhaft inszeniert, als dass sich die Action genießen ließe.
Fazit:
„Domino“ ist ein Film auf Designer-Droge. Sie heißt Tony Scott. Verliebt in seinen exzentrischen Stil, der in einem Overkill bar jeglicher Sehgewohnheiten Richard Kelly schwaches Skript zu einem sich an der Wirklichkeit lose orientierenden Unruheherd umfunktioniert, erschlägt er den Zuschauer mit einem, umgekrempelten, audiovisuellen Sperrfeuer ohne Unterlass und ohne Rhythmus.
Das ist letztlich zwar ein Fest für die Sinne, auf die Dauer aber genauso ermüdend wie eintönig, denn Emotionen bleiben außen vor und um Scotts erzählerische Qualitäten ist es hier nicht besonders bestellt. Die Kohlen aus dem Feuer holt der meist chancenlose, aber exquisit besetzte Cast und ein paar gute Dialoge. Ansonsten hält „Domino“ den Zuschauer schwungvoll auf Distanz, klappert notdürftig Dominos wichtigste Stationen ab und serviert einen actiongeladenen, kaputt inszenierten Abschluss. Irgendwie schade drum, denn als Widmung der Verstorbenen eigentlich ohne Würde.