Wie viel wahr ist von dem, was Kopfgeldjägerin Domino im Polizeiverhör in Rückblenden aus ihrem Leben preisgibt, hat den Zuschauer "einen Scheiß" zu interessieren - so ähnlich schließt Domino zumindest ihre nicht nur an Lucy Liu gerichteten Ausführungen und auch zu Beginn des Filmes macht Regisseur Scott klar, dass das Ganze nur auf einer "fast" wahren Begebenheit basiert. Kein Problem eigentlich, schließlich sind wir ja im Kino, und da darf man schon mal dramaturgisch nachhelfen, um ein wenig mehr Spannung und Fallhöhe in eine (fast) wahre Geschichte zu bringen.
Leider haben Script und Regie aber offenbar genau das Gegenteil im Auge gehabt: Echte Konflikte oder Abgründe in der Seele der von Keira Knightley dargestellten Film-Domino sucht man vergeblich, obwohl es sie in der realen Geschichte sicherlich zu Genüge gäbe. Der Drogengenuss, dem die echte Domino bereits Anfang 2005 erlag, wird beispielsweise im Film erwähnt, wird dort aber nur gezeigt, als der Bountyhunter-Gang von Fremden etwas in den Kaffee gemixt wird. Als Drogensüchtige wollte man die Filmheldin dann wohl doch nicht zu deutlich zeichnen. Überhaupt erfährt man kaum etwas über Domino, was über die Plotline hinausgeht: gelangweilte Luxusgöre wird Kopfgeldjägerin, um endlich mal legal auf die Kacke hauen zu können – für tiefere Einblicke ist in den immerhin zwei Stunden kein Platz.
Auch die anderen Protagonisten bleiben Abziehbilder, die sich weit unter ihren Fähigkeiten verkaufen. Rourke, Walken, halbwegs cool aber ohne jeden Spielraum. Denn Tony Scott bügelt mit einem regelrechten Inferno aus Schnitten, Farbfiltern und hektischen Kameraschwenks einfach alles platt. Waren solche Eskapaden in "Man on Fire" noch halbwegs nuanciert und in passenden Szenen eingesetzt, brennt Scott das Feuerwerk diesmal über die gesamte Filmlänge ab.
Das Ergebnis - so gut Scott dieses Handwerk auch verstehen mag - ermüdet auf Dauer zwangsläufig und beraubt den Film aller Möglichkeiten: Keine Zwischentöne, keine Emotionen, keine Chance, echte Spannung aufzubauen. Welche Wirkung kann eine Actionszene noch entfalten, wenn der Rest des Filmes im gleichen Tempo geschnitten ist? Wie kann ein Film fesseln, wenn man nicht die geringste Bindung zu den Protagonisten aufbauen kann?
Die (noch) hippe Bildsprache, das zu Rebellen stilisierte Kopfgeldjäger–Trio und zahlreiche Gastauftritte wie jener von Tom Waits gaukeln Kultpotential vor, können aber nur mühsam die totale Leere dahinter kaschieren. Ob man echte Anteilnahme und Emotionen beim MTV-geschulten Publikum durch visuelle Reize völlig ersetzen kann, bleibt abzuwarten. In Punkto Bildspielerei müsste Scott nun eigentlich das Ende der Fahnenstange erreicht haben, zumal er bei Domino nicht einmal mehr Neuland betritt, sondern letztendlich nur bereits Erprobtes bis zum Exzess auspielt und sich so permanent selbst zitiert - und das im übrigen nicht nur auf stilistischer, sondern auch auf inhaltlicher Ebene, was im Finale mal wieder deutlich ins Auge fällt.
Vielleicht bringt eines Tages echte Experimentierfreudigkeit Scott ja wieder zurück zu den Zeiten, in denen das Gesicht eines Schauspielers länger als Sekundenbruchteile in einer Einstellung stehen blieb. Ich würde es mir zumindest wünschen...