Eine Landstraße im dänischen Nirgendwo. Ein Bus kommt an und hält irgendwo in diesem Nirgendwo. Heraus tritt ein grimmig dreinschauender Neonazi mit einer kleinen Reisetasche. Ein dünner, seriös wirkender Mann in kurzen Hosen betritt die Szenerie, begrüßt den glatzköpfigen Skinhead freundlich und angstfrei, um ihn in seinem Auto mitzunehmen. Der Neonazi ist Adam, der Held dieser Geschichte?
Wenn man dies bejaht, dann beherbergt „Adams Äpfel“ einen der ungewöhnlichsten und ungemütlichsten Helden der Filmgeschichte. Wenn man die Frage verneint, muss man dem von Ulrich Thomsen dargestellten Charakter zumindest zugestehen, dass er die größte Veränderung im Verlaufe des Filmes durchmacht und insofern dem Film zurecht den Namen verleiht. Wenn man die Eingangsfrage verneint, dann ist der andere Protagonist der beschriebenen Eröffnungsszene der Held. Landpfarrer Ivan, gespielt von Mads Mikkelsen, der durch kaum etwas aus der Ruhe zu bringen ist (zumindest scheinbar) und mit einem maximal positiven Blick gen Zukunft schaut. So weit so gut. Die beiden Hauptcharaktere könnten am Anfang von „Adams Äpfel“ nicht weiter entfernt sein. Auf der einen Seite ein durch und durch böser Schläger, der dich ohne mit der Wimper zu zucken krankenhausreif prügelt und auf der anderen Seite ein Gutmensch, der in jedem von Gottes Kindern etwas Gutes sieht.
Die Anfangs vergeblichen, wie geradezu selbstlosen Versuche des Pfarrers, Adam auf den rechten Weg zu bringen sind manchmal amüsant, manchmal absurd, manchmal allerdings auch erschreckend. Letztgenanntes, wenn Ivan von Adam mehr als ausgiebig verprügelt wird und Ivan dann mit entstelltem Gesicht die rohe Gewalt mit purer Freundlichkeit heimzahlt. Diese Momente sind es, die beim Zuschauer eine Mischung aus Entsetzen und Belustigung hervorrufen und ihn damit stärker an die Handlung fesseln.
Die erste Hälfte des Filmes zeichnet sich vor allem durch diesen Gegensatz zwischen den beiden Protagonisten aus. Hier sieht es so aus, als könnten die Beiden nicht zusammenfinden. Ganz im Gegenteil. Zwischen den lustigen Szenen baut sich beim Zuschauer eine enorme Spannung auf. Diese ergibt sich weniger aus der Frage, ob es Ivan schafft, Adam auf einen guten Pfad zu bringen, sondern vielmehr, ob Adam es schafft, Ivan den unerschütterlichen Glauben an das Gute zu nehmen. Diese Prämisse macht aus „Adams Äpfel“ mehr als nur eine skurrile Komödie. Der Film vermischt den aus Skandinavien bekannten und beliebten skurrilen Humor mit tragischen sowie dramatischen Momenten. Die Dosierung dieser Mischung ist es, die „Adams Äpfel“ in besonderem Maße auszeichnet.
Denn schon bald bilden sich erste Risse in der fliederfarbenen Fassade des Pfarrers, der sich bis dato aufopferungsvoll um eine kleine Gruppe Gestrandeter gekümmert hat. Die kleine Kirche wird nämlich noch bewohnt von einem alkoholsüchtigen und schwer übergewichtigen Ex-Profitennisspieler, der nie über eine Schiedsrichter-Fehlentscheidung hinweggekommen ist. Ein weiterer „Insasse“ ist ein arabischer Tankstellenräuber, der seine impulsive Stimmung kaum unter Kontrolle hat. Wie wichtig Ivan für diese Gestalten ist, zeigt sich umso deutlicher, als Ivans Fassade aus Glauben und Optimismus bröckelt.
Ivan ist nämlich vom Leben hart gestraft. Bei seiner Geburt starb seine Mutter, sein Vater hat ihn und seine Schwester als Kind missbraucht, seine Schwester ist gestorben, sein Sohn spastisch gelähmt, seine Frau an einer Überdosis Tabletten gestorben und Ivan selbst unheilbar an einem Tumor erkrankt. Aus diesem Meer an schlechten Erfahrungen hat sich ein Ivan gebildet, der alles Schlechte verdrängt, nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei anderen Menschen. Wie viele Schicksalsschläge kann ein Mensch ertragen? Ivans Schutzmechanismus schützt ihn vor seinem eigenen Tumor und auch die anderen Bewohner seiner Kirche vor ihren schlechten Neigungen. Adam ist von der Nettigkeit des Pfarrers nur genervt und hat sich zur Aufgabe gemacht, den Gäubigen von seiner Schlechtigkeit zu überzeugen, um ihn letztendlich zu brechen.
So entspinnt sich ein Psychoduell erster Güte, das der schwarzen Komödie wesentlich mehr Tiefe gibt, als vergleichbaren Produktionen. Regisseur Anders Thomas Jensen vermischt dies mit einer ausgeprägten Symbolik. So setzt Ivan Adam das einfache Ziel einen Apfelkuchen zu backen, mit Früchten aus dem Garten. Adam wird kontinuierlich an diesem Vorhaben gehindert durch gierige Krähen, Unwetter oder Würmer. Damit Adam Erlösung findet, muß er diesen Apfelkuchen backen.
SPOILER
Dies gelingt ihm am Ende auch, trotz aller Widerstände. Und tatsächlich ist er am Ende des Filmes ein völlig anderer Mensch, als zu Anfang. Dass dieser krasser Wandel so glaubwürdig daherkommt, ist dem natürlichen, wie eindrucksvollen Spiel Ulrich Thomsen zuzurechnen, der es schafft, einen unsympathischen Charakter mit einem Hauch Liebenswürdigkeit auszustatten, auch am Anfang, als sein Adam noch ein Prototyp eines brutalen Arschlochs ist. Dies ist gerade bei einem Neonazi nicht unheikel, doch das clevere Drehbuch und Thomsens differenzierte Leistung ermöglichen diese Glanzleistung, die jede etwaige Klippe umschifft.
SPOILER ENDE
Auch Mads Mikkelsen glänzt als Ivan. Seine Figur verhält sich genau im Gegensazu zu Adam. Mikkelsen schafft es schon zu Anfang in seine Gutmenschendarstellung einige Untiefen einzubauen, die den Zuschauer verunsichern und auf den Hintergrund der Figur neugierig machen. Diese Untiefen werden zu tiefen Strudeln, wenn dem Zuschauer ein Nackenschlag nach dem anderen aufdeckt, dem Ivan ausgesetzt war.
Im Verlaufe des Filmes verselbständigen sich die Charaktere der Beiden, nehmen ihre beachtlichen Entwicklungen gekonnt, ohne an einer Stelle unglaubwürdig zu wirken und entwickeln eine immer stärkere Chemie. Trotz der vielen skurrilen und lustigen Momente ist es das Zusammenspiel dieser beiden begnadeten Schauspieler, das den Film trägt und ihn zu dem macht, was er ist. Selbst wenn die Geschehnisse auf der Leinwand im weiteren Verlaufe ins Absurde abdriften, ist der Zuschauer vor allem von Mikkelsen und Thomsen fasziniert.
Verstärkt werden die beiden durch überzeugende Nebendarsteller, die in ihren nicht minder skurrilen Rollen überzeugen und der schon ordentlich gewürzten Suppe den fertigen Geschmack verleihen.
„Adams Äpfel“ ist ein Road-Movie, ohne dass er von einer Reise im herkömmlichen Sinn erzählt. Vielmehr ist dieser Film eine Reise mehrerer Charaktere auf der Suche nach dem inneren Seelenfrieden. Dass diese so aufregend, witzig und dramatisch verläuft, macht „Adams Äpfel“ zu etwas Besonderem. Dass der Film dazu noch der typische skandinavische Humor innewohnt macht ihn zu einem eindeutigen Tipp für alle Freunde des hintergründigen Humors. Diese Klientel wird zudem mit einer packenden Story, tollen Schauspielern und einem unwahrscheinlichen, wie schönen und dennoch nicht aufgesetzt wirkenden Happy-End belohnt. Wenn das kein Grund ist, sich diesen Film anzuschauen?
Fazit:
9 / 10