Als der Chauffeur den Kofferraum der Botschafterlimousine öffnet, liegt darin - eine entstellte Frauenleiche. Der Botschafter verhält sich der Polizei gegenüber zwar durchaus entgegenkommend, ist aber nichtsdestotrotz ein Botschafter, und damit quasi fremdes Staatseigentum. Inspektor Lawrence muss also zur Aufklärung dieses Mordfalles zu ungewöhnlichen Methoden greifen, und seine ungewöhnliche Methode heißt Norton. Inspektor Norton, genannt „Der Henker“. Norton versucht erstmal, Zugang zur Familie des Botschafters zu bekommen, indem er mit der Tochter des Botschafters ins Bett geht und ungehemmt mit der Ehefrau flirtet. Aber er kann nicht verhindern, dass die Mitglieder der Familie eines nach dem anderen grauenhaften Säureattentats zum Opfer fallen. Und dann konzentriert sich der Mörder auch noch auf die Familie von Norton …
Der rote Hering mit dem feurigen Atem. Die Menge an roten Heringen ist riesig, und ich hatte selten so wenig Ahnung, wer denn letztendlich der Mörder sein mag. Was sehr wohl als Kompliment zu versehen ist, handelt es sich bei BESTIE schließlich um einen archetypischen Whodunit-Giallo, mit vielen Zutaten die ein Giallo aus dieser Zeit so benötigt: Ein Mörder mit schwarzen Handschuhen, grausige Morde, sinistere Atmosphäre, … OK, der Ermittler ist dieses Mal keine Privatperson und steht nicht selber unter Verdacht, die nackten Damen sind recht selten, und das ganze spielt nicht unter der warmen Sonne Italiens sondern im kalten Nieselregen Dublins (was auch erklären könnte, warum die Frauen so standhaft angezogen bleiben. Bis auf Dagmar Lassander, aber als Deutsche ist sie dieses Klima natürlich eher gewohnt …). Die Charaktere sind durch die Bank merkwürdig und haben auch alle irgendwie Dreck am Stecken, oder zumindest tun sie so als ob, wodurch generell eine kühle und bedrückte Stimmung aufgebaut wird, in der sich die düstere Story um den Mörder mit der Vitriolflasche unaufhaltbar entfalten und verästeln kann.
Dabei ist viel den erstklassig gecasteten Schauspielern zu verdanken, allen voran Anton Diffring als arroganter Diplomat Sobieski, der genau weiß, dass ihm niemand etwas kann. Und ja, gegen Ende des Films merkt er, dass auch das Gegenteil zutreffen mag. Dann natürlich Luigi Pistilli als Ermittler Norton. Raubeinig und hemdsärmelig prügelt er sich bis in die Auflösung dieses Rätsels, und sein Holzfällercharme ist genau das, was BESTIE vom Mittelmaß abhebt: Pistillis Natürlichkeit und Erdung bieten das perfekte Gegenstück zum distinguiert-abgehobenen Diffring. Zwei entgegengesetzte Pole von Männlichkeit, die sich mit einem gesunden gegenseitigen Misstrauen umschleichen, ergänzt vom trocken-biederen Arthur O’Sullivan als Inspektor, der seine Fragen wie ein Heckenschütze aus dem Hinterhalt abfeuert, dabei aber niemals die Fasson verliert.
Bei den Frauen natürlich die wundervolle Valentina Cortese, welche die Ehe mit Sobieski nur erträgt, weil sie sich dem regelmäßigen Genuss von Marihuanazigaretten hingibt, und weil die jetzige Situation immer noch erheblich besser ist als diejenige, in der Sobieski sie damals aufgelesen hat. Und, ganz wichtig, die Filmtochter Dagmar Lassander, die unabhängig von der Familie ihre völlig eigenen Wege geht. Sowohl in der Wahl der Männerbekanntschaften wie auch der Aufenthaltsorte ist ihre Helen modern und lässt sich von niemandem etwas vorschreiben. Eine Diplomatentochter mit Hang zur Straße. Ganz die (Stief-)Mama …
Aber auch die Nebenfiguren sind hinreißend gezeichnet: Nortons krimilesende Mutter, die nur gut hört wenn sie ihre Brille aufhat. Der Chauffeur mit der Sehschwäche. Der ausgesprochen skurrile Arzt, der mit seiner drolligen Art die Figur eines Dr. Brinkmann aus DER WIXXER vorwegnimmt („Der Mörder muss ein Experte sein. So wie ich!“). Oder vielleicht auch eines Professors Boerne aus den Münster-TATORTs, je nachdem wie man das sehen mag. Nur Werner Pochath hätte gerne mehr Screentime haben dürfen. Auf der anderen Seite: Mit Halbglatze schaut Pochath fast aus wie Ralf Wolter …
Dazu ein ohrenschmeichelnder Score von Stelvio Cipriani, eine unauffällige Kameraführung von Silvano Ippoliti, und was dann am Ende herauskommt mag vielleicht kein Highlight des Giallogenre sein, aber es unterhält enorm. Das Einzige, was man dem Film vorwerfen kann, und woran ich Freda mittlerweile auch erkenne, ist sein fehlendes Gefühl für gute Special Effects. Bereits der erste Mord erweckt schlimme Erinnerungen an den Autounfall in DAS GESICHT IM DUNKELN oder die Axtattacke in MURDER OBSESSION. Aber gut, da muss man einfach drüber stehen. Der Rest passt schließlich und stellt einen erstklassig besetzten Giallo aus der zweiten Reihe dar, der seinen geringen Bekanntheitsgrad und den schlechten Ruf überhaupt nicht verdient hat …