Review

Beinahe ließe sich François Truffauts "Schießen Sie auf den Pianisten" mit der Anführung nur einer kleinen Szene beschreiben: Im Bett haben es sich Charlie und die Prostituierte Clarisse gemütlich gemacht. Doch was ist das? Die Brüste der Schwarzhaarigen sind zu sehen! Charlie zieht die Decke auf die sichere Höhe: "Vergiss nicht, dass so was in einem Film nicht erlaubt ist."

Damit ist Truffauts Film ein Film, der sich als solcher selbst begreift. Der nicht des Humors entbehrt. Der sich wohl auch nouvelle-vague-typisch nicht an den Theorien filmischer Gesetzmäßigkeiten labt. Der mit einem Spiegel arbeitet, der sein Angesicht reflektiert, um dieser Rückstrahlung mit einer Gegenreflexion zu begegnen. Geflogenheit ist es, Frauen nicht oberkörperfrei zu filmen, aber dies einmal mit Menschenverstand bedacht, hat sich gar selten eine Dame vor dem Schäferstündchen bis zum Halse mit Daunen zugeknöpft. Mithin ein Kino ohne Schranken, gleichwohl kein schrankenloses. Formal wie inhaltlich frei, aber noch lange nicht schwebend. So wird ganz entkrampft, aber bodenständig getanzt in einer schmucklosen Bar zu Charlies Musik, einem introvertierten Virtuosen an einem Klavier, das sich selbst genügt wie auch sein Pianist, dem es ganz gleich scheint, auf ruppigen Klimperkästen zu brillieren oder - wie einst - auf edlen Konzertflügeln.

Säuen Perlen vorzuwerfen sei die Bestimmung dieses Daseins, meint der notorisch kriminelle Bruder. Nun, den kleinbürgerlichen Säuen gefällt's und mir auch. Da schwofen etwa zwei von links kommend ins Sichtfeld der Kamera…

"Sagen Sie mal, warum schauen Sie dauernd auf meine Brust?", fragt die Dame den männlichen Gegenüber, der sich überhaupt nicht vom Tanz mit dem Dekolleté beirren lässt.
"Weil ich Medizinstudent bin."
"Achso."

…und geradewegs rechts schon wieder raus aus dem Bild.
Dann wird wenig später von Weibsbildern mit Brustvergrößerungen gesungen und ich merke, dass nun bereits zum dritten Male Brüste einen eigenen Auftritt erhalten. Und tatsächlich kommt dem weiblichen Geschlecht eine wichtige Rolle hier zuteil, wenn es nicht gar die Hauptattraktion selbst ist. Um Wollust ist so manches Sinnieren über das Mysterium Frau nicht verlegen und die Worte des Off-Kommentars geben besonders die Unsicherheit beim Buhlen wieder. Umso aufschlussreicher sind sie, wenn das letztendliche Handeln überraschend dem zuvor Gedachten entgegenläuft. Vor allem jedoch sind es die kleinen Gesten, denen eine Bedeutung zugesprochen wird. Wenn Charlie versucht, Léna zu berühren, sich ihrer Taille nähernd, zögerlich darauf abzielend, sie zu umschlingen und dann doch das Vorhaben aufgibt, weil der Moment der rechte noch nicht ist. Jedoch wird Charlie der Augenblick nicht verwehrt, er bekommt ihn später und charakteristischer könnte dabei nicht sein, dass nicht er, der schüchterne, den finalen Schritt vollführt. Still, aber aufmerksam feiert der Zoom schließlich das Einhängen ihres Armes in den seinen.

Die Hollywoods Gangsterfilmen huldigende Geschichte allerdings - und dies tut vielleicht der Unkonventionalität, nicht aber der Homogenität der Stimmung gut - ist in ihrer Sache eine zutiefst tragische und wird kein gutes Ende nehmen. Und so ist es kein Leichtes, bei aller Unbeschwertheit der Bilder, aller Unbeschwertheit im Einfangen der Körpersprache und so mancher Dialoge, die Schwere des (doppelten) Unglücks zu erfassen. Es ist eine Tragik ohne Trauer, ohne sichtbare zumindest. Was bleibt, ist ein bloßes Gesicht, das das unsere sein könnte: gedankenverloren, verarbeitend.

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